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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr.

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Hie Waiblingl Hic Weist

und sind die sichere Beute der Phrasendrescher; die Schuld der besonnenen Leute
ist es, diesem Treiben so lange Zeit unthätig zugesehen zu haben. Jetzt er¬
kennen sie ihre Pflichtversäumnis, und wenn die Mandate nach dem Verhältnis
der abgegebenen Stimmen in ganz Berlin verteilt würden, so kämen eins oder
zwei den " Septennatisten" zu. Das ist für den Anfang ein Erfolg, der zu
weiterer Thätigkeit anspornen muß.

An und für sich bedauern wir den Ausfall der Berliner Wahlen garnicht,
im Gegenteil. Dies Ergebnis wird noch manchem die Augen öffnen. Die
Hauptstadt wird vertreten durch zwei Männer, deren Anspruch auf eine poli¬
tische Rolle darauf beruht, daß sie in einem langen Leben nichts gelernt haben,
durch einen für kitzliche Angelegenheiten gesuchten Verteidiger, durch einen
meiningischen Landrat, durch einen jener sozialdemokratischen "Schriftsteller,"
welche unlängst in einem Nürnberger Blatte so rücksichtslos abkonterfeit wurden,
und, um allem die Krone aufzusetzen, durch einen jüdischen "Konfektionär,"
welcher das einträgliche Geschäft geschickt mit dem Vergnügen der mündlichen
Vertretung der Arbeiterinteressen zu verbinden weiß; es wäre jammerschade,
wenn diese Figur fehlte! Noch malerischer würde allerdings die Gruppe sein,
wenn auch die Herren Windthorst, Antoine, Jazdzewski und Johannsen hätten
Berliner Mandate erhalten können. Berlin als Patronin sämtlicher Parteien,
welche kein Reich, oder mindestens kein starkes Reich wollen, das wäre ein Bei¬
spiel von Uneigennützigkeit, welches man in Paris und Petersburg aufrichtig
bewundern, wenn auch nicht nachahmen würde. Inzwischen erfreuen wir uns
an der Rettung des Freisinns. Denn die Mission dieser Herren ist noch nicht
beendigt. Sie haben ihrer Partei das Grab gegraben, sie müssen auch noch
den Hügel darüber wölben, den Stein darauf wälzen und dann als trostlose
Hinterbliebene das Mitleid der Vorübergehenden anrufen. Sie können und
werden ihren" Geschick nicht entgehen, verlassen von allen Anhängern, deren
Vaterlandsgefühl nicht in dem Parteitreiben gänzlich erstickt ist, verlassen dann
auch von den vorsichtigen Ratten, welche berechnen, daß ihre Anwesenheit das
sinkende Schiff ja nicht retten könne, sich entweder als politische Landsknechte
dem nächsten Besten zu verdingen, der mit dem verhaßten Staatswesen in Fehde
liegt, oder als vereinsamte Sonderlinge ihre Klagelieder über die verderbte und
undankbare Welt zu singen. Vielleicht erinnern sie sich noch manches "Ver¬
gangenen," der einst als Freund und Bruder dieselbe Bank mit ihnen drückte,
z. B. eines gewissen Freese, der als Soldschreiber des Königs von Hannover,
der österreichischen ultramontan-feudalen Partei und wer weiß wessen noch ein
unrühmliches Ende gefunden hat, oder Johann Jacobys, der mit solcher Kon¬
sequenz alle Standpunkte "überwand," daß er endlich bei den Vaterlandslosen
anlangte. Nur wenig bleibt ihnen noch zu thun, seitdem Virchow und Munckcl
den radikalen Sozialisten die Bruderhand gereicht haben, was Herr Virchow
"mit Ehren grau werden" nennt. Den Sozialisten aber dürfte er zu "grau"


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und sind die sichere Beute der Phrasendrescher; die Schuld der besonnenen Leute
ist es, diesem Treiben so lange Zeit unthätig zugesehen zu haben. Jetzt er¬
kennen sie ihre Pflichtversäumnis, und wenn die Mandate nach dem Verhältnis
der abgegebenen Stimmen in ganz Berlin verteilt würden, so kämen eins oder
zwei den „ Septennatisten" zu. Das ist für den Anfang ein Erfolg, der zu
weiterer Thätigkeit anspornen muß.

An und für sich bedauern wir den Ausfall der Berliner Wahlen garnicht,
im Gegenteil. Dies Ergebnis wird noch manchem die Augen öffnen. Die
Hauptstadt wird vertreten durch zwei Männer, deren Anspruch auf eine poli¬
tische Rolle darauf beruht, daß sie in einem langen Leben nichts gelernt haben,
durch einen für kitzliche Angelegenheiten gesuchten Verteidiger, durch einen
meiningischen Landrat, durch einen jener sozialdemokratischen „Schriftsteller,"
welche unlängst in einem Nürnberger Blatte so rücksichtslos abkonterfeit wurden,
und, um allem die Krone aufzusetzen, durch einen jüdischen „Konfektionär,"
welcher das einträgliche Geschäft geschickt mit dem Vergnügen der mündlichen
Vertretung der Arbeiterinteressen zu verbinden weiß; es wäre jammerschade,
wenn diese Figur fehlte! Noch malerischer würde allerdings die Gruppe sein,
wenn auch die Herren Windthorst, Antoine, Jazdzewski und Johannsen hätten
Berliner Mandate erhalten können. Berlin als Patronin sämtlicher Parteien,
welche kein Reich, oder mindestens kein starkes Reich wollen, das wäre ein Bei¬
spiel von Uneigennützigkeit, welches man in Paris und Petersburg aufrichtig
bewundern, wenn auch nicht nachahmen würde. Inzwischen erfreuen wir uns
an der Rettung des Freisinns. Denn die Mission dieser Herren ist noch nicht
beendigt. Sie haben ihrer Partei das Grab gegraben, sie müssen auch noch
den Hügel darüber wölben, den Stein darauf wälzen und dann als trostlose
Hinterbliebene das Mitleid der Vorübergehenden anrufen. Sie können und
werden ihren« Geschick nicht entgehen, verlassen von allen Anhängern, deren
Vaterlandsgefühl nicht in dem Parteitreiben gänzlich erstickt ist, verlassen dann
auch von den vorsichtigen Ratten, welche berechnen, daß ihre Anwesenheit das
sinkende Schiff ja nicht retten könne, sich entweder als politische Landsknechte
dem nächsten Besten zu verdingen, der mit dem verhaßten Staatswesen in Fehde
liegt, oder als vereinsamte Sonderlinge ihre Klagelieder über die verderbte und
undankbare Welt zu singen. Vielleicht erinnern sie sich noch manches „Ver¬
gangenen," der einst als Freund und Bruder dieselbe Bank mit ihnen drückte,
z. B. eines gewissen Freese, der als Soldschreiber des Königs von Hannover,
der österreichischen ultramontan-feudalen Partei und wer weiß wessen noch ein
unrühmliches Ende gefunden hat, oder Johann Jacobys, der mit solcher Kon¬
sequenz alle Standpunkte „überwand," daß er endlich bei den Vaterlandslosen
anlangte. Nur wenig bleibt ihnen noch zu thun, seitdem Virchow und Munckcl
den radikalen Sozialisten die Bruderhand gereicht haben, was Herr Virchow
„mit Ehren grau werden" nennt. Den Sozialisten aber dürfte er zu „grau"


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200104/612>, abgerufen am 23.12.2024.