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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr.

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Neue Briefe von Robert Schumann.

hat Erker aus "Gründen der Pietät" nicht aufgenommen. Unter den bisher
ungedruckten Briefen befinden sich sehr viele geschäftlichen Inhalts, welche teils
die Redaktion der "Neuen Zeitschrift," teils den Verkehr mit den Verlegern
angehen. Gegen den Vorwurf, Unwesentliches zum Abdruck gebracht zu haben,
sucht sich Erker durch die Angabe zu wahren, daß er noch beinahe zweihundert
Briefe besitze, welche er ihres wesentlich geschäftlichen Inhalts wegen nicht ver¬
öffentlicht habe. Er hätte aber noch manchen Brief zurückhalten können, und
auch dann würde er von dem befürchteten Vorwurfe nicht frei sein, weil er
grundsätzlich alle Briefe ohne jede Verkürzung bringt. Während die Jugend-
briefe mit ihren zahlreichen Gedankenstrichen schmerzliche Lücken ausweisen, giebt
Erkers Sammlung zu viel. Häufige Wiederholungen stören den Genuß des
Lesens, das außerdem durch die sonderbare Druckeinrichtnng unbehaglich gemacht
wird. Die Erlüuternngen sind nämlich nicht als Fußnoten gegeben, sondern
in kleinerer Schrift in den Text der Briefe selbst gesetzt worden. So stehen
nun zwei Schriftarten, Bourgeois und Petit, immer durcheinander; dazu kommt,
daß die vielen von Schumann unterstrichenen Wörter nicht gesperrt gedruckt,
sondern auch mit gedruckten Linien unterstrichen worden sind. Durch beides
hat der Druck ein unruhiges und unschönes Aussehen erhalten.

Doch nun zum Inhalt der Briefe. Bisher galten die an Hensclt gerich¬
teten Briefe für verloren: drei derselben haben sich doch noch wiedergefunden.
Sie sprechen von der warmen Liebe, welche Schumann für Henselts Werke
empfunden hat, sowie er sie kennen gelernt hatte. Er gesteht dabei, daß er
"bei Erfassung eines neuen Geistes weder Maß noch Ziel kenne in seiner
Freude." Diese Äußerung müssen mir Wohl auch anwenden auf Schumanns
feurige Lobsprüche über Hermann 'Hirschbach als Komponisten,*) der in den
"Gesammelten Schriften" doch ruhiger beurteilt wird als in den Briefen. Da
heißt es: "Wer das Höchste von'ihm verlangt, wird freilich an ihm viel aus¬
zusetzen finden. Das Glück einer frühzeitigen richtigen Leitung half Musiker)
scheint unser Kunstjünger nicht genossen zu haben."

Bisher nicht bekannt gewordene Briefe an Taubert, Spvhr, Chelard
handeln ausführlich von technischen Einzelheiten, welche bei dem Vortrage der
L-Äur-Symphonie zu beachten sind. Über den poetischen Gehalt des Werkes
spricht sich Schumann sehr schön ans (an Taubert): "Könnten Sie Ihrem Or¬
chester beim Spiel etwas wie Frühlingssehnsucht einwehen; die hatte ich haupt¬
sächlich dabei, als ich sie schrieb im Februar 1841. Gleich den ersten Trom¬
peteneinsatz möcht' ich, daß er wie aus der Höhe klänge, wie ein Ruf zum
Erwachen -- in das Folgende der Einleitung könnte ich dann hineinlegen, wie
es überall zu grüneln anfängt, wohl gar ein Schmetterling auffliegt, und im
Allegro kommt nach und nach alles zusammen, was zum Frühling etwa gehört.



*) Seine Verdienste um die musikalische Kritik habe ich selbst vor kurzem hervorgehoben.
Neue Briefe von Robert Schumann.

hat Erker aus „Gründen der Pietät" nicht aufgenommen. Unter den bisher
ungedruckten Briefen befinden sich sehr viele geschäftlichen Inhalts, welche teils
die Redaktion der „Neuen Zeitschrift," teils den Verkehr mit den Verlegern
angehen. Gegen den Vorwurf, Unwesentliches zum Abdruck gebracht zu haben,
sucht sich Erker durch die Angabe zu wahren, daß er noch beinahe zweihundert
Briefe besitze, welche er ihres wesentlich geschäftlichen Inhalts wegen nicht ver¬
öffentlicht habe. Er hätte aber noch manchen Brief zurückhalten können, und
auch dann würde er von dem befürchteten Vorwurfe nicht frei sein, weil er
grundsätzlich alle Briefe ohne jede Verkürzung bringt. Während die Jugend-
briefe mit ihren zahlreichen Gedankenstrichen schmerzliche Lücken ausweisen, giebt
Erkers Sammlung zu viel. Häufige Wiederholungen stören den Genuß des
Lesens, das außerdem durch die sonderbare Druckeinrichtnng unbehaglich gemacht
wird. Die Erlüuternngen sind nämlich nicht als Fußnoten gegeben, sondern
in kleinerer Schrift in den Text der Briefe selbst gesetzt worden. So stehen
nun zwei Schriftarten, Bourgeois und Petit, immer durcheinander; dazu kommt,
daß die vielen von Schumann unterstrichenen Wörter nicht gesperrt gedruckt,
sondern auch mit gedruckten Linien unterstrichen worden sind. Durch beides
hat der Druck ein unruhiges und unschönes Aussehen erhalten.

Doch nun zum Inhalt der Briefe. Bisher galten die an Hensclt gerich¬
teten Briefe für verloren: drei derselben haben sich doch noch wiedergefunden.
Sie sprechen von der warmen Liebe, welche Schumann für Henselts Werke
empfunden hat, sowie er sie kennen gelernt hatte. Er gesteht dabei, daß er
„bei Erfassung eines neuen Geistes weder Maß noch Ziel kenne in seiner
Freude." Diese Äußerung müssen mir Wohl auch anwenden auf Schumanns
feurige Lobsprüche über Hermann 'Hirschbach als Komponisten,*) der in den
„Gesammelten Schriften" doch ruhiger beurteilt wird als in den Briefen. Da
heißt es: „Wer das Höchste von'ihm verlangt, wird freilich an ihm viel aus¬
zusetzen finden. Das Glück einer frühzeitigen richtigen Leitung half Musiker)
scheint unser Kunstjünger nicht genossen zu haben."

Bisher nicht bekannt gewordene Briefe an Taubert, Spvhr, Chelard
handeln ausführlich von technischen Einzelheiten, welche bei dem Vortrage der
L-Äur-Symphonie zu beachten sind. Über den poetischen Gehalt des Werkes
spricht sich Schumann sehr schön ans (an Taubert): „Könnten Sie Ihrem Or¬
chester beim Spiel etwas wie Frühlingssehnsucht einwehen; die hatte ich haupt¬
sächlich dabei, als ich sie schrieb im Februar 1841. Gleich den ersten Trom¬
peteneinsatz möcht' ich, daß er wie aus der Höhe klänge, wie ein Ruf zum
Erwachen — in das Folgende der Einleitung könnte ich dann hineinlegen, wie
es überall zu grüneln anfängt, wohl gar ein Schmetterling auffliegt, und im
Allegro kommt nach und nach alles zusammen, was zum Frühling etwa gehört.



*) Seine Verdienste um die musikalische Kritik habe ich selbst vor kurzem hervorgehoben.
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[0607] Neue Briefe von Robert Schumann. hat Erker aus „Gründen der Pietät" nicht aufgenommen. Unter den bisher ungedruckten Briefen befinden sich sehr viele geschäftlichen Inhalts, welche teils die Redaktion der „Neuen Zeitschrift," teils den Verkehr mit den Verlegern angehen. Gegen den Vorwurf, Unwesentliches zum Abdruck gebracht zu haben, sucht sich Erker durch die Angabe zu wahren, daß er noch beinahe zweihundert Briefe besitze, welche er ihres wesentlich geschäftlichen Inhalts wegen nicht ver¬ öffentlicht habe. Er hätte aber noch manchen Brief zurückhalten können, und auch dann würde er von dem befürchteten Vorwurfe nicht frei sein, weil er grundsätzlich alle Briefe ohne jede Verkürzung bringt. Während die Jugend- briefe mit ihren zahlreichen Gedankenstrichen schmerzliche Lücken ausweisen, giebt Erkers Sammlung zu viel. Häufige Wiederholungen stören den Genuß des Lesens, das außerdem durch die sonderbare Druckeinrichtnng unbehaglich gemacht wird. Die Erlüuternngen sind nämlich nicht als Fußnoten gegeben, sondern in kleinerer Schrift in den Text der Briefe selbst gesetzt worden. So stehen nun zwei Schriftarten, Bourgeois und Petit, immer durcheinander; dazu kommt, daß die vielen von Schumann unterstrichenen Wörter nicht gesperrt gedruckt, sondern auch mit gedruckten Linien unterstrichen worden sind. Durch beides hat der Druck ein unruhiges und unschönes Aussehen erhalten. Doch nun zum Inhalt der Briefe. Bisher galten die an Hensclt gerich¬ teten Briefe für verloren: drei derselben haben sich doch noch wiedergefunden. Sie sprechen von der warmen Liebe, welche Schumann für Henselts Werke empfunden hat, sowie er sie kennen gelernt hatte. Er gesteht dabei, daß er „bei Erfassung eines neuen Geistes weder Maß noch Ziel kenne in seiner Freude." Diese Äußerung müssen mir Wohl auch anwenden auf Schumanns feurige Lobsprüche über Hermann 'Hirschbach als Komponisten,*) der in den „Gesammelten Schriften" doch ruhiger beurteilt wird als in den Briefen. Da heißt es: „Wer das Höchste von'ihm verlangt, wird freilich an ihm viel aus¬ zusetzen finden. Das Glück einer frühzeitigen richtigen Leitung half Musiker) scheint unser Kunstjünger nicht genossen zu haben." Bisher nicht bekannt gewordene Briefe an Taubert, Spvhr, Chelard handeln ausführlich von technischen Einzelheiten, welche bei dem Vortrage der L-Äur-Symphonie zu beachten sind. Über den poetischen Gehalt des Werkes spricht sich Schumann sehr schön ans (an Taubert): „Könnten Sie Ihrem Or¬ chester beim Spiel etwas wie Frühlingssehnsucht einwehen; die hatte ich haupt¬ sächlich dabei, als ich sie schrieb im Februar 1841. Gleich den ersten Trom¬ peteneinsatz möcht' ich, daß er wie aus der Höhe klänge, wie ein Ruf zum Erwachen — in das Folgende der Einleitung könnte ich dann hineinlegen, wie es überall zu grüneln anfängt, wohl gar ein Schmetterling auffliegt, und im Allegro kommt nach und nach alles zusammen, was zum Frühling etwa gehört. *) Seine Verdienste um die musikalische Kritik habe ich selbst vor kurzem hervorgehoben.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200104/607>, abgerufen am 23.12.2024.