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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr.

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Dichterfreundinnen.

und hingegeben in Anteil und Liebe. Ein Sturz vom Pferde hat eine Wunde
in seiner Brust zurückgelassen; er selbst glaubt nicht lange zu leben. Das
alles mit seinen schönen, reinen Zügen und der edelsten Gestalt, die ich je ge¬
sehen, zieht zu einem gewaltigen Anteil an ihm hin. Ich kann's ihm nie genug
danken, was er mir jetzt ist. Die rheinische Mundart, die Goethe so liebt, hat
eine unaussprechliche Grazie an ihm. Er singt sehr schön zur Guitarre. Kurz,
an diesem Ami ist kein Tadel. Du und die vkörs mors würdet ihn lieben."
In dieser Vergötterung eines Hausfreundes, in diesen Anspielungen auf eine
mögliche künftige Verbindung ergeht sich die sechsundvierzigjährige Frau an dem
Schmerzenslager des todkranke" Gatten, der jeden Tag seine Auflösung erwartet!
Wirklich trug sie diese neue Leidenschaft mit sich herum bis 1811; da ernüchterte
sie der Geliebte selbst dadurch, daß er heiratete.

Nach dem Tode ihres Mannes hielt sich Karoline viel bei dem geliebten
Fürst-Primas auf, der seit 1810 als Großherzog von Frankfurt meist in
Aschaffenburg residirte. Bekanntlich nahm die politische Weisheit des schön¬
geistigen Dalberg einen schlimmen Ausgang. Als Fürst-Primas des Rheinbundes
diente er dem französischen Eroberer und würde nach dem Freiheitskriege in
bittere Not und Verachtung gefallen sein, wenn ihm nicht der Kongreß von
Wien eine Pension von 100000 Gulden gewährt hätte. Er starb als Erz-
bischof von Regensburg am 10. Februar 1817. Wie eng sich Karoline an ihn
anschloß, ersieht man daraus, daß er ihr 12000 Gulden als unverzinsliche An¬
leihe überließ. Mit ihrer politischen Anschauung hatte diese Freundschaft nichts
gemein, denn sie selbst war voll des reinsten Patriotismus und gab demselben
in den schwersten Zeiten einen begeisterten Ausdruck, wie sie auch gleichzeitig
und später mit dem Freiherr" von Stein in häufigem Verkehr stand. Ihre
Anhänglichkeit an Dalberg bis zu dessen Tode zeigt ein Tagebuchblatt, welches
aus dem Jahre 1818 stammt: "Hier ^in Aschaffenburg^ im Gemäuer des Domes
ruht das Herz, an dessen Schlägen das meinige hing. O dieses Herz war der
Quell wie von tausend Schmerzen, so tausendfacher Seligkeit. Denn sein Leben
riß an sich, und die Gewalt seiner Liebe beherrschte, was in seinen Kreis kam.
Zauberisch fesselte dieses Herz, es gab den Worten Leben, und mächtig strömten
diese in die lieberfüllte Brust der ihm ergebenen und durchdrangen sie mit ihrer
Fülle." In denselben Tagebuchcrgüssen überläßt sie sich etwas später der Er¬
innerung. "Im Jahre 1791, am Tage nach Karolinens ^von Humboldts
Hochzeit, empfingen wir in Dalbergs Hause in der Abendgesellschaft die Nach¬
richt von Ludwigs XVI. in Varennes vereitelter Flucht. Ergriffen von dieser
Begebenheit, ergoß sich die Gesellschaft in ihren Empfindungen und Ansichten.
Ich trat mit den beiden Humboldts und Karolinen auf den Balkon. Dalberg,
damals noch eine hohe, edle Gestalt, trat zu uns und faßte meine Hand, der
Mond stand uns gegenüber, der Himmel voll Sterne. Er hob seine Augen
zu ihnen empor und sprach mit der innigen, volltönenden Stimme, die immer


Grenzboten I. 1887. 76
Dichterfreundinnen.

und hingegeben in Anteil und Liebe. Ein Sturz vom Pferde hat eine Wunde
in seiner Brust zurückgelassen; er selbst glaubt nicht lange zu leben. Das
alles mit seinen schönen, reinen Zügen und der edelsten Gestalt, die ich je ge¬
sehen, zieht zu einem gewaltigen Anteil an ihm hin. Ich kann's ihm nie genug
danken, was er mir jetzt ist. Die rheinische Mundart, die Goethe so liebt, hat
eine unaussprechliche Grazie an ihm. Er singt sehr schön zur Guitarre. Kurz,
an diesem Ami ist kein Tadel. Du und die vkörs mors würdet ihn lieben."
In dieser Vergötterung eines Hausfreundes, in diesen Anspielungen auf eine
mögliche künftige Verbindung ergeht sich die sechsundvierzigjährige Frau an dem
Schmerzenslager des todkranke» Gatten, der jeden Tag seine Auflösung erwartet!
Wirklich trug sie diese neue Leidenschaft mit sich herum bis 1811; da ernüchterte
sie der Geliebte selbst dadurch, daß er heiratete.

Nach dem Tode ihres Mannes hielt sich Karoline viel bei dem geliebten
Fürst-Primas auf, der seit 1810 als Großherzog von Frankfurt meist in
Aschaffenburg residirte. Bekanntlich nahm die politische Weisheit des schön¬
geistigen Dalberg einen schlimmen Ausgang. Als Fürst-Primas des Rheinbundes
diente er dem französischen Eroberer und würde nach dem Freiheitskriege in
bittere Not und Verachtung gefallen sein, wenn ihm nicht der Kongreß von
Wien eine Pension von 100000 Gulden gewährt hätte. Er starb als Erz-
bischof von Regensburg am 10. Februar 1817. Wie eng sich Karoline an ihn
anschloß, ersieht man daraus, daß er ihr 12000 Gulden als unverzinsliche An¬
leihe überließ. Mit ihrer politischen Anschauung hatte diese Freundschaft nichts
gemein, denn sie selbst war voll des reinsten Patriotismus und gab demselben
in den schwersten Zeiten einen begeisterten Ausdruck, wie sie auch gleichzeitig
und später mit dem Freiherr» von Stein in häufigem Verkehr stand. Ihre
Anhänglichkeit an Dalberg bis zu dessen Tode zeigt ein Tagebuchblatt, welches
aus dem Jahre 1818 stammt: „Hier ^in Aschaffenburg^ im Gemäuer des Domes
ruht das Herz, an dessen Schlägen das meinige hing. O dieses Herz war der
Quell wie von tausend Schmerzen, so tausendfacher Seligkeit. Denn sein Leben
riß an sich, und die Gewalt seiner Liebe beherrschte, was in seinen Kreis kam.
Zauberisch fesselte dieses Herz, es gab den Worten Leben, und mächtig strömten
diese in die lieberfüllte Brust der ihm ergebenen und durchdrangen sie mit ihrer
Fülle." In denselben Tagebuchcrgüssen überläßt sie sich etwas später der Er¬
innerung. „Im Jahre 1791, am Tage nach Karolinens ^von Humboldts
Hochzeit, empfingen wir in Dalbergs Hause in der Abendgesellschaft die Nach¬
richt von Ludwigs XVI. in Varennes vereitelter Flucht. Ergriffen von dieser
Begebenheit, ergoß sich die Gesellschaft in ihren Empfindungen und Ansichten.
Ich trat mit den beiden Humboldts und Karolinen auf den Balkon. Dalberg,
damals noch eine hohe, edle Gestalt, trat zu uns und faßte meine Hand, der
Mond stand uns gegenüber, der Himmel voll Sterne. Er hob seine Augen
zu ihnen empor und sprach mit der innigen, volltönenden Stimme, die immer


Grenzboten I. 1887. 76
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[0601] Dichterfreundinnen. und hingegeben in Anteil und Liebe. Ein Sturz vom Pferde hat eine Wunde in seiner Brust zurückgelassen; er selbst glaubt nicht lange zu leben. Das alles mit seinen schönen, reinen Zügen und der edelsten Gestalt, die ich je ge¬ sehen, zieht zu einem gewaltigen Anteil an ihm hin. Ich kann's ihm nie genug danken, was er mir jetzt ist. Die rheinische Mundart, die Goethe so liebt, hat eine unaussprechliche Grazie an ihm. Er singt sehr schön zur Guitarre. Kurz, an diesem Ami ist kein Tadel. Du und die vkörs mors würdet ihn lieben." In dieser Vergötterung eines Hausfreundes, in diesen Anspielungen auf eine mögliche künftige Verbindung ergeht sich die sechsundvierzigjährige Frau an dem Schmerzenslager des todkranke» Gatten, der jeden Tag seine Auflösung erwartet! Wirklich trug sie diese neue Leidenschaft mit sich herum bis 1811; da ernüchterte sie der Geliebte selbst dadurch, daß er heiratete. Nach dem Tode ihres Mannes hielt sich Karoline viel bei dem geliebten Fürst-Primas auf, der seit 1810 als Großherzog von Frankfurt meist in Aschaffenburg residirte. Bekanntlich nahm die politische Weisheit des schön¬ geistigen Dalberg einen schlimmen Ausgang. Als Fürst-Primas des Rheinbundes diente er dem französischen Eroberer und würde nach dem Freiheitskriege in bittere Not und Verachtung gefallen sein, wenn ihm nicht der Kongreß von Wien eine Pension von 100000 Gulden gewährt hätte. Er starb als Erz- bischof von Regensburg am 10. Februar 1817. Wie eng sich Karoline an ihn anschloß, ersieht man daraus, daß er ihr 12000 Gulden als unverzinsliche An¬ leihe überließ. Mit ihrer politischen Anschauung hatte diese Freundschaft nichts gemein, denn sie selbst war voll des reinsten Patriotismus und gab demselben in den schwersten Zeiten einen begeisterten Ausdruck, wie sie auch gleichzeitig und später mit dem Freiherr» von Stein in häufigem Verkehr stand. Ihre Anhänglichkeit an Dalberg bis zu dessen Tode zeigt ein Tagebuchblatt, welches aus dem Jahre 1818 stammt: „Hier ^in Aschaffenburg^ im Gemäuer des Domes ruht das Herz, an dessen Schlägen das meinige hing. O dieses Herz war der Quell wie von tausend Schmerzen, so tausendfacher Seligkeit. Denn sein Leben riß an sich, und die Gewalt seiner Liebe beherrschte, was in seinen Kreis kam. Zauberisch fesselte dieses Herz, es gab den Worten Leben, und mächtig strömten diese in die lieberfüllte Brust der ihm ergebenen und durchdrangen sie mit ihrer Fülle." In denselben Tagebuchcrgüssen überläßt sie sich etwas später der Er¬ innerung. „Im Jahre 1791, am Tage nach Karolinens ^von Humboldts Hochzeit, empfingen wir in Dalbergs Hause in der Abendgesellschaft die Nach¬ richt von Ludwigs XVI. in Varennes vereitelter Flucht. Ergriffen von dieser Begebenheit, ergoß sich die Gesellschaft in ihren Empfindungen und Ansichten. Ich trat mit den beiden Humboldts und Karolinen auf den Balkon. Dalberg, damals noch eine hohe, edle Gestalt, trat zu uns und faßte meine Hand, der Mond stand uns gegenüber, der Himmel voll Sterne. Er hob seine Augen zu ihnen empor und sprach mit der innigen, volltönenden Stimme, die immer Grenzboten I. 1887. 76

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200104/601>, abgerufen am 23.12.2024.