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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr.

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Dichterfreundinnmi.

Auch Dalberg. der seit 1802. nach dem Tode des Mainzer "Alten," als
Kurfürst, Reichskanzler, Metropolitan und Primas von Deutschland in Neaens-
burg residirte, seit 1806 auch den Titel Fürst-Primas führte, hielt sich damals
in Paris auf und ließ sich den Verkehr mit seiner treuen Verehrerin Wohl ge¬
fallen. Er war gealtert, ein angehender Sechziger, sein Gedächtnis hatte etwas
abgenommen, aber er schrieb noch immer neue Werke und zeigte dasselbe Ge¬
misch von Sentimentalität und diplomatischer Zurückhaltung wie früher. Karoline
brachte in der Regel die Morgenstunden bei ihm zu und fand ihn, wenn sie
mit ihm allein war, "wie in den ersten Tagen ihrer Bekanntschaft in Erfurt."
Für die Schillersche Familie bedauerte er zunächst nichts thu" zu können, die
Söhne sollten nur erst heranwachsen, dann wolle er für sie sorgen. Er half
sich, wie es scheint, gern mit Versprechungen allgemeiner Art. Neben dieser
alten Seelenfreundschaft pflegte Karoline noch eine andre mit dem Grafen
Gustav von Schlabrendvrf, einem siebennudsünszigjährigeu Sonderling, mit dem
sie schon während ihres ersten Aufenthaltes in Paris viel verkehrt hatte. Der
alte Narr philosophirte über die Wallungen und Wandlungen seines Herzens
und sagt sehr hübsch von sich: "Zuerst hofft man Liebe, dann sucht man sie,
zuletzt schwatzt man gern davon." Die Freundschaft wurde zur Vertraulichkeit
und endlich mit dem "Du" besiegelt.

Im Mai 1808 verließ Karoline Paris mit dem Gatten, der kurz zuvor
wieder einen schweren Kraukhcitsanfall überstanden hatte. Sie mußte sich nun
in die Rolle der Krankenpflegerin finden, und sie war dazu bereit. Den Sommer
1808 brachte sie mit dem armen "Alten" in Wiesbaden zu, 1809 kehrte sie mit
ihm dahin zurück, im Dezember erlöste ihn der Tod. Leider zieht sich durch
diese Zeit der bangen Sorge und der Trauer ein Mißton, der das innerste
Gemütsleben Karolinens grell beleuchtet. In Wiesbaden gesellten sich zu ihr
mehrere wohlmeinende Männer, die ihr mit Rat und That beistanden, darunter
einer, den sie mit besondrer Vorliebe ihren "Ami" nennt. Über diesen schreibt
sie an Lotten: "Ohne meinen Ami wäre ich in der völligster Einsamkeit, aber
er wird mir täglich mehr. Ich bin auch eine wundervolle Erscheinung in dieser
Einöde für ihn und ein Band zum ästhetische" und Kunstleben, wohin seine
ganze Natur geht. Niemand habe ich noch gefunden, der das Gcschüftsleben,
eigentlich das Regieren, in so einem tiefen Sinne nähme und so geistvoll auf¬
faßte wie er. Alles, was er treibt, geht von der höchsten Idee aus, und er
adelt jedes Geschäft. Er ist zum Höchsten in diesem Fache geschaffen. Mein
Ideal des öffentlichen Lebens für einen Mann finde ich so in ihm ausgesprochen,
daß es mich oft zur Bewunderung hinzieht. Er hat etwas tief trauriges in
seinem Gemüt und ist in der Epoche des Lebens, wo unser Ideal immer an
die Wirklichkeit stößt und den Busen zerreißt. Ich hoffe ihm auch viel zu sein
und noch mehr zu werden, wenn ich selbst ruhiger bin. Er ist scharf, klug in
der Welt, impoinrend durch Gegenwart lind Einsicht, nur bei mir kindlich offen


Dichterfreundinnmi.

Auch Dalberg. der seit 1802. nach dem Tode des Mainzer „Alten," als
Kurfürst, Reichskanzler, Metropolitan und Primas von Deutschland in Neaens-
burg residirte, seit 1806 auch den Titel Fürst-Primas führte, hielt sich damals
in Paris auf und ließ sich den Verkehr mit seiner treuen Verehrerin Wohl ge¬
fallen. Er war gealtert, ein angehender Sechziger, sein Gedächtnis hatte etwas
abgenommen, aber er schrieb noch immer neue Werke und zeigte dasselbe Ge¬
misch von Sentimentalität und diplomatischer Zurückhaltung wie früher. Karoline
brachte in der Regel die Morgenstunden bei ihm zu und fand ihn, wenn sie
mit ihm allein war, „wie in den ersten Tagen ihrer Bekanntschaft in Erfurt."
Für die Schillersche Familie bedauerte er zunächst nichts thu» zu können, die
Söhne sollten nur erst heranwachsen, dann wolle er für sie sorgen. Er half
sich, wie es scheint, gern mit Versprechungen allgemeiner Art. Neben dieser
alten Seelenfreundschaft pflegte Karoline noch eine andre mit dem Grafen
Gustav von Schlabrendvrf, einem siebennudsünszigjährigeu Sonderling, mit dem
sie schon während ihres ersten Aufenthaltes in Paris viel verkehrt hatte. Der
alte Narr philosophirte über die Wallungen und Wandlungen seines Herzens
und sagt sehr hübsch von sich: „Zuerst hofft man Liebe, dann sucht man sie,
zuletzt schwatzt man gern davon." Die Freundschaft wurde zur Vertraulichkeit
und endlich mit dem „Du" besiegelt.

Im Mai 1808 verließ Karoline Paris mit dem Gatten, der kurz zuvor
wieder einen schweren Kraukhcitsanfall überstanden hatte. Sie mußte sich nun
in die Rolle der Krankenpflegerin finden, und sie war dazu bereit. Den Sommer
1808 brachte sie mit dem armen „Alten" in Wiesbaden zu, 1809 kehrte sie mit
ihm dahin zurück, im Dezember erlöste ihn der Tod. Leider zieht sich durch
diese Zeit der bangen Sorge und der Trauer ein Mißton, der das innerste
Gemütsleben Karolinens grell beleuchtet. In Wiesbaden gesellten sich zu ihr
mehrere wohlmeinende Männer, die ihr mit Rat und That beistanden, darunter
einer, den sie mit besondrer Vorliebe ihren „Ami" nennt. Über diesen schreibt
sie an Lotten: „Ohne meinen Ami wäre ich in der völligster Einsamkeit, aber
er wird mir täglich mehr. Ich bin auch eine wundervolle Erscheinung in dieser
Einöde für ihn und ein Band zum ästhetische» und Kunstleben, wohin seine
ganze Natur geht. Niemand habe ich noch gefunden, der das Gcschüftsleben,
eigentlich das Regieren, in so einem tiefen Sinne nähme und so geistvoll auf¬
faßte wie er. Alles, was er treibt, geht von der höchsten Idee aus, und er
adelt jedes Geschäft. Er ist zum Höchsten in diesem Fache geschaffen. Mein
Ideal des öffentlichen Lebens für einen Mann finde ich so in ihm ausgesprochen,
daß es mich oft zur Bewunderung hinzieht. Er hat etwas tief trauriges in
seinem Gemüt und ist in der Epoche des Lebens, wo unser Ideal immer an
die Wirklichkeit stößt und den Busen zerreißt. Ich hoffe ihm auch viel zu sein
und noch mehr zu werden, wenn ich selbst ruhiger bin. Er ist scharf, klug in
der Welt, impoinrend durch Gegenwart lind Einsicht, nur bei mir kindlich offen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200104/600>, abgerufen am 23.12.2024.