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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr.

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Dichterfreundinnen.

ganze Schillersche Kreis, Humboldt und Wolzogen natürlich eingeschlossen, eine
"Kolonie auf einer Insel am Rhein" aufrichten werde, in der ein sorgenfreies,
ideales Dasein ungestört erblühen könne. In nicht immer sehr zarten Aus¬
drücke" wünschten sie dem Alten in Mainz ein baldiges Ende. Die Damen ver¬
kehrten, so oft sie in Erfurt waren, möglichst viel mit dem lieben Koadjntor.
Karoline von Dachröden, die ihm räumlich am nächsten war, ruft aus: "Ach,
der Koadjutor ist hier mein einziger Trost; wo er nicht ist, gähne ich mich
bald zu Tod!" Dann klagt sie über die Leerheit der Menschen und fährt fort:
"Den Koadjutor nehme ich aus, der gehört zu uns, den habe ich auch bei mir
allein gesehen. Ach, vor ihm geht einem das Herz auf, so gepreßt es auch sei.
Mein Wesen kann sich mit so vollem Vertrauen in ihm niederlegen." Auch
Lotte und die Frau von Stein suchten ihn gern auf und erquickten sich an
seiner Teilnahme. Am meisten aber fühlte sich Karoline zu ihm hingezogen.
Mit der krankhaften Energie ihrer Freundschaftssucht klammerte sie sich an die
vertraulichen Zwiegespräche mit dem bald sentimental schwärmenden, bald diplo¬
matisch zurückhaltender geistlichen Herrn. ,,Habt Ihr noch nichts vom Schatz
gehört -- fragt sie im Winter 1790--91 bei Lotten an --, er hat mir gar lieb
geantwortet und eine große Freude über das Märchen gehabt*); er ist gar
zu lieb, und es ist ihm ein ordentliches Anliegen, mich durch etwas interessirt
zu wissen. Ich habe den Brief so lieb, daß ich ihn nicht schicken kann." Dem
Schwager und der Schwester erschien diese zudringliche Freundschaft für den
katholischen geistlichen Herrn bedenklich; sie warnten, aber umsonst. "Liebe Lotte,
-- schreibt sie am 2. April 1792 an die Schwester von Erfurt aus --, ich danke
dir sehr für deine treue Meinung. Ich kann nichts übel finden, was du meinst zu
meinem Besten zu sagen, aber sehr fatal ist mir's, daß ihr durchaus dies von
der ungraziösen Seite ansehen wollt. Ich habe nichts gethan, was mich kom-
promittiren könnte, also noch weniger euch. Ich habe mir diese Art der
Existenz mit dem Schatz zum Lebensplan gemacht, und ich muß mich selbst
durch längere Bekanntschaft mit seinem Wesen überzeugen, ob er auszuführen
ist oder nicht. Ich glaube fast, daß ihr Recht habt, und daß er keine Kon¬
sequenz in dieser Art von Gefühlen hat; doch muß ich noch gewisser werdeu,
um meiner Seele eine andre Richtung zu geben. Diese Zeit jetzt habe ich dazu
bestimmt, weil sich die Umstände nicht so leicht wieder so treffen werden. Vor
der Welt ist gar nichts Auffallendes, daß ich bei der Li Mroliue, Humboldts
Frau! bin." Dann wieder: "Der liebe Schatz ist noch nicht so offen gegen
mich, als ich's wünschte, doch wird es noch kommen. Alles deutet mir, daß er
etwas Bleibendes uuter uus wünsche, ich sollte mich doch scheiden lassen, hat
er letzt der Li wieder gesagt. Die Seele wird mir merklich, stiller, und die
Gewißheit, daß ich Zeit habe, alles rein auszuspinnen, macht mir wohl. Der
vllöro nrör"z hast du doch nichts davon gesagt? Sie muß ruhig bleiben, bis ich



5) Sie hatte eins gedichtet.
Dichterfreundinnen.

ganze Schillersche Kreis, Humboldt und Wolzogen natürlich eingeschlossen, eine
„Kolonie auf einer Insel am Rhein" aufrichten werde, in der ein sorgenfreies,
ideales Dasein ungestört erblühen könne. In nicht immer sehr zarten Aus¬
drücke» wünschten sie dem Alten in Mainz ein baldiges Ende. Die Damen ver¬
kehrten, so oft sie in Erfurt waren, möglichst viel mit dem lieben Koadjntor.
Karoline von Dachröden, die ihm räumlich am nächsten war, ruft aus: „Ach,
der Koadjutor ist hier mein einziger Trost; wo er nicht ist, gähne ich mich
bald zu Tod!" Dann klagt sie über die Leerheit der Menschen und fährt fort:
„Den Koadjutor nehme ich aus, der gehört zu uns, den habe ich auch bei mir
allein gesehen. Ach, vor ihm geht einem das Herz auf, so gepreßt es auch sei.
Mein Wesen kann sich mit so vollem Vertrauen in ihm niederlegen." Auch
Lotte und die Frau von Stein suchten ihn gern auf und erquickten sich an
seiner Teilnahme. Am meisten aber fühlte sich Karoline zu ihm hingezogen.
Mit der krankhaften Energie ihrer Freundschaftssucht klammerte sie sich an die
vertraulichen Zwiegespräche mit dem bald sentimental schwärmenden, bald diplo¬
matisch zurückhaltender geistlichen Herrn. ,,Habt Ihr noch nichts vom Schatz
gehört — fragt sie im Winter 1790—91 bei Lotten an —, er hat mir gar lieb
geantwortet und eine große Freude über das Märchen gehabt*); er ist gar
zu lieb, und es ist ihm ein ordentliches Anliegen, mich durch etwas interessirt
zu wissen. Ich habe den Brief so lieb, daß ich ihn nicht schicken kann." Dem
Schwager und der Schwester erschien diese zudringliche Freundschaft für den
katholischen geistlichen Herrn bedenklich; sie warnten, aber umsonst. „Liebe Lotte,
— schreibt sie am 2. April 1792 an die Schwester von Erfurt aus —, ich danke
dir sehr für deine treue Meinung. Ich kann nichts übel finden, was du meinst zu
meinem Besten zu sagen, aber sehr fatal ist mir's, daß ihr durchaus dies von
der ungraziösen Seite ansehen wollt. Ich habe nichts gethan, was mich kom-
promittiren könnte, also noch weniger euch. Ich habe mir diese Art der
Existenz mit dem Schatz zum Lebensplan gemacht, und ich muß mich selbst
durch längere Bekanntschaft mit seinem Wesen überzeugen, ob er auszuführen
ist oder nicht. Ich glaube fast, daß ihr Recht habt, und daß er keine Kon¬
sequenz in dieser Art von Gefühlen hat; doch muß ich noch gewisser werdeu,
um meiner Seele eine andre Richtung zu geben. Diese Zeit jetzt habe ich dazu
bestimmt, weil sich die Umstände nicht so leicht wieder so treffen werden. Vor
der Welt ist gar nichts Auffallendes, daß ich bei der Li Mroliue, Humboldts
Frau! bin." Dann wieder: „Der liebe Schatz ist noch nicht so offen gegen
mich, als ich's wünschte, doch wird es noch kommen. Alles deutet mir, daß er
etwas Bleibendes uuter uus wünsche, ich sollte mich doch scheiden lassen, hat
er letzt der Li wieder gesagt. Die Seele wird mir merklich, stiller, und die
Gewißheit, daß ich Zeit habe, alles rein auszuspinnen, macht mir wohl. Der
vllöro nrör«z hast du doch nichts davon gesagt? Sie muß ruhig bleiben, bis ich



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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200104/594>, abgerufen am 27.08.2024.