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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr.

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Dichterfreundinnen.

nicht an den seltsamen Gestalten meiner Seele, die oft in schnellen Übergängen
wechseln, sie haben mit unsrer Liebe nichts zu thun!" bekennt sie: "Mein Lieber,
ich wollte dir keine Vorwürfe machen durch meine Zweifel, mein Geliebter!
Aber sie kommen mir zuweilen, wenn mein Herz dnrch das Gefühl der Liebe
zu dir zu heftig bewegt ist, und ich fühle dann doch wieder, wie wenig ich dir
geben kann, wie wenig überhaupt sich die Empfindung dieses Gefühles aus-
drücken läßt. Dies macht mir weh, und diese Stimmung meiner Seele hat sich
meinem Briefe eingeprägt. Ich war überhaupt zu angespannt, zu viel mit
meinen Gefühlen beschäftigt die Zeit über, besonders da wir so wenig Ruhe
hatten. Und noch kann ich das geschäftslose Leben, das wir im Kaffeehause
führten, nicht ganz vergessen; es hat mir keine angenehmen Eindrücke gemacht.
Und so mag uns das Schicksal nie wieder alle Sechse so unbeschäftigt zusammen¬
führen." Unterdessen hatte Schiller an die Mutter geschrieben und um Lottchens
Hand angehalten. Am 22. Februar 1790 war die Hochzeit, Lotte zog allein
nach Jena. Durch die Kraft ihrer Liebe und ihres geraden Sinnes gelang es
ihr, das Verhältnis des Gatten zur Schwester in die rechte Bahn zu lenken,
und so blieb ihr der Sieg. Der leidende Dichter erhob sich zu einer schöpferischen
Vergeistigung, welche "das Gemeine, das uns alle bändigt," weit hinter ihm ließ.

Unterdessen trieb Karolinens Herz oder vielmehr ihre Phantasie einem
neuen Magnet zu. Durch Karoline von Dcichrvden war sie in Erfurt mit
dem Koadjntor von Mainz, Karl Theodor von Dalberg, bekannt geworden, einem
katholischen geistlichen Herrn, der bereits die Mitte der vierziger Jahre erreicht
hatte. Er war Philosoph und Schöngeist, verkehrte gern mit Dichtern und
Frauen, hoffte aber noch eine große staatsmännische Karriere zu machen, denn
er war zum Nachfolger des Kurfürsten von Mainz bestimmt, der als alt und
stumpf geschildert wird. Goethe verkehrte gern mit ihm, weil er sein un-
befangenes Urteil schützte und in Regierungsangelegenheiten gern seine Ansicht
hörte, Dalberg aber fühlte sich noch mehr zu Schiller hingezogen und wurde
von den weiblichen Verehrerinnen desselben nach Kräften in dieser Hinneigung
bestärkt. Man wünschte in dem Schillerschen Kreise, daß er sich um den Dichter
ein besondres Verdienst erwerben möchte, indem er ihm eine glänzende Anstellung
in Mainz verschaffte. Schiller selbst trug sich lange mit dieser Hoffnung. Aber
Dalberg war zurückhaltend und beschränkte seine Gönnerschaft zunächst darauf,
daß er Schiller regelmäßig, wenn dieser ihm ein vollendetes Werk verehrte, eine
Rolle Dukaten schickte. Deshalb hieß er uuter Schillers Vertrauten der "Gold¬
schatz." Im übrigen erklärte er den unermüdlichen Mahnerinnen, daß ihm zur
Zeit die Hände gebunden seien, daß er aber, sobald er den Mainzer Stuhl
bestiegen haben werde, seine Freunde um sich versammeln wolle. Im Dezember
1789 ersuchte ihn Schiller um seine Verwendung bei dem Mainzer Kurfürsten,
erhielt aber eine ausweichende Antwort, aus der er nichts machen konnte. Länger
und zäher als Schiller hielten die Freundinnen an der Hoffnung fest, daß der


Grenzboten I. 1887. 74
Dichterfreundinnen.

nicht an den seltsamen Gestalten meiner Seele, die oft in schnellen Übergängen
wechseln, sie haben mit unsrer Liebe nichts zu thun!" bekennt sie: „Mein Lieber,
ich wollte dir keine Vorwürfe machen durch meine Zweifel, mein Geliebter!
Aber sie kommen mir zuweilen, wenn mein Herz dnrch das Gefühl der Liebe
zu dir zu heftig bewegt ist, und ich fühle dann doch wieder, wie wenig ich dir
geben kann, wie wenig überhaupt sich die Empfindung dieses Gefühles aus-
drücken läßt. Dies macht mir weh, und diese Stimmung meiner Seele hat sich
meinem Briefe eingeprägt. Ich war überhaupt zu angespannt, zu viel mit
meinen Gefühlen beschäftigt die Zeit über, besonders da wir so wenig Ruhe
hatten. Und noch kann ich das geschäftslose Leben, das wir im Kaffeehause
führten, nicht ganz vergessen; es hat mir keine angenehmen Eindrücke gemacht.
Und so mag uns das Schicksal nie wieder alle Sechse so unbeschäftigt zusammen¬
führen." Unterdessen hatte Schiller an die Mutter geschrieben und um Lottchens
Hand angehalten. Am 22. Februar 1790 war die Hochzeit, Lotte zog allein
nach Jena. Durch die Kraft ihrer Liebe und ihres geraden Sinnes gelang es
ihr, das Verhältnis des Gatten zur Schwester in die rechte Bahn zu lenken,
und so blieb ihr der Sieg. Der leidende Dichter erhob sich zu einer schöpferischen
Vergeistigung, welche „das Gemeine, das uns alle bändigt," weit hinter ihm ließ.

Unterdessen trieb Karolinens Herz oder vielmehr ihre Phantasie einem
neuen Magnet zu. Durch Karoline von Dcichrvden war sie in Erfurt mit
dem Koadjntor von Mainz, Karl Theodor von Dalberg, bekannt geworden, einem
katholischen geistlichen Herrn, der bereits die Mitte der vierziger Jahre erreicht
hatte. Er war Philosoph und Schöngeist, verkehrte gern mit Dichtern und
Frauen, hoffte aber noch eine große staatsmännische Karriere zu machen, denn
er war zum Nachfolger des Kurfürsten von Mainz bestimmt, der als alt und
stumpf geschildert wird. Goethe verkehrte gern mit ihm, weil er sein un-
befangenes Urteil schützte und in Regierungsangelegenheiten gern seine Ansicht
hörte, Dalberg aber fühlte sich noch mehr zu Schiller hingezogen und wurde
von den weiblichen Verehrerinnen desselben nach Kräften in dieser Hinneigung
bestärkt. Man wünschte in dem Schillerschen Kreise, daß er sich um den Dichter
ein besondres Verdienst erwerben möchte, indem er ihm eine glänzende Anstellung
in Mainz verschaffte. Schiller selbst trug sich lange mit dieser Hoffnung. Aber
Dalberg war zurückhaltend und beschränkte seine Gönnerschaft zunächst darauf,
daß er Schiller regelmäßig, wenn dieser ihm ein vollendetes Werk verehrte, eine
Rolle Dukaten schickte. Deshalb hieß er uuter Schillers Vertrauten der „Gold¬
schatz." Im übrigen erklärte er den unermüdlichen Mahnerinnen, daß ihm zur
Zeit die Hände gebunden seien, daß er aber, sobald er den Mainzer Stuhl
bestiegen haben werde, seine Freunde um sich versammeln wolle. Im Dezember
1789 ersuchte ihn Schiller um seine Verwendung bei dem Mainzer Kurfürsten,
erhielt aber eine ausweichende Antwort, aus der er nichts machen konnte. Länger
und zäher als Schiller hielten die Freundinnen an der Hoffnung fest, daß der


Grenzboten I. 1887. 74
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[0593] Dichterfreundinnen. nicht an den seltsamen Gestalten meiner Seele, die oft in schnellen Übergängen wechseln, sie haben mit unsrer Liebe nichts zu thun!" bekennt sie: „Mein Lieber, ich wollte dir keine Vorwürfe machen durch meine Zweifel, mein Geliebter! Aber sie kommen mir zuweilen, wenn mein Herz dnrch das Gefühl der Liebe zu dir zu heftig bewegt ist, und ich fühle dann doch wieder, wie wenig ich dir geben kann, wie wenig überhaupt sich die Empfindung dieses Gefühles aus- drücken läßt. Dies macht mir weh, und diese Stimmung meiner Seele hat sich meinem Briefe eingeprägt. Ich war überhaupt zu angespannt, zu viel mit meinen Gefühlen beschäftigt die Zeit über, besonders da wir so wenig Ruhe hatten. Und noch kann ich das geschäftslose Leben, das wir im Kaffeehause führten, nicht ganz vergessen; es hat mir keine angenehmen Eindrücke gemacht. Und so mag uns das Schicksal nie wieder alle Sechse so unbeschäftigt zusammen¬ führen." Unterdessen hatte Schiller an die Mutter geschrieben und um Lottchens Hand angehalten. Am 22. Februar 1790 war die Hochzeit, Lotte zog allein nach Jena. Durch die Kraft ihrer Liebe und ihres geraden Sinnes gelang es ihr, das Verhältnis des Gatten zur Schwester in die rechte Bahn zu lenken, und so blieb ihr der Sieg. Der leidende Dichter erhob sich zu einer schöpferischen Vergeistigung, welche „das Gemeine, das uns alle bändigt," weit hinter ihm ließ. Unterdessen trieb Karolinens Herz oder vielmehr ihre Phantasie einem neuen Magnet zu. Durch Karoline von Dcichrvden war sie in Erfurt mit dem Koadjntor von Mainz, Karl Theodor von Dalberg, bekannt geworden, einem katholischen geistlichen Herrn, der bereits die Mitte der vierziger Jahre erreicht hatte. Er war Philosoph und Schöngeist, verkehrte gern mit Dichtern und Frauen, hoffte aber noch eine große staatsmännische Karriere zu machen, denn er war zum Nachfolger des Kurfürsten von Mainz bestimmt, der als alt und stumpf geschildert wird. Goethe verkehrte gern mit ihm, weil er sein un- befangenes Urteil schützte und in Regierungsangelegenheiten gern seine Ansicht hörte, Dalberg aber fühlte sich noch mehr zu Schiller hingezogen und wurde von den weiblichen Verehrerinnen desselben nach Kräften in dieser Hinneigung bestärkt. Man wünschte in dem Schillerschen Kreise, daß er sich um den Dichter ein besondres Verdienst erwerben möchte, indem er ihm eine glänzende Anstellung in Mainz verschaffte. Schiller selbst trug sich lange mit dieser Hoffnung. Aber Dalberg war zurückhaltend und beschränkte seine Gönnerschaft zunächst darauf, daß er Schiller regelmäßig, wenn dieser ihm ein vollendetes Werk verehrte, eine Rolle Dukaten schickte. Deshalb hieß er uuter Schillers Vertrauten der „Gold¬ schatz." Im übrigen erklärte er den unermüdlichen Mahnerinnen, daß ihm zur Zeit die Hände gebunden seien, daß er aber, sobald er den Mainzer Stuhl bestiegen haben werde, seine Freunde um sich versammeln wolle. Im Dezember 1789 ersuchte ihn Schiller um seine Verwendung bei dem Mainzer Kurfürsten, erhielt aber eine ausweichende Antwort, aus der er nichts machen konnte. Länger und zäher als Schiller hielten die Freundinnen an der Hoffnung fest, daß der Grenzboten I. 1887. 74

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200104/593>, abgerufen am 27.08.2024.