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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr.

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Dichterfreundinnen.

Lotte befolgte den Rat der Freundin, zwei Tage nach Schillers Rückkehr
schrieb sie diesem einen sehr merkwürdigen Brief, indem sie leise und zart auf
sein Verhältnis zu Karoline hindeutete und ihre Besorgnisse durchblicken ließ.
Sie fühle, sagt sie, wohl, daß sie ihn durch anscheinende Kälte zuweilen abge¬
stoßen haben möge, aber das Unvermögen, ihre Gefühle so zu äußern, wie sie
es wünsche, liege in ihrer Ängstlichkeit, nicht zudringlich zu erscheinen, begründet.
Zuweilen habe sie auch gedacht, daß Karoline ihm mehr sein könnte als sie, und
daß er sie nicht zu seinem Glücke nötig habe. Doch verlegt sie, um ihn
nicht zu kränken, vorsichtig diese Gedankenanwandlungen in das vorige Jahr,
in die Zeit von Schillers erstem Aufenthalt in Rudolstadt, und schließt die Be¬
trachtung mit den Worten: "Es wird eine schöne Zeit sein, wenn wir erst ganz
für einander leben. Wie vieles wird sich nach und nach im ungestörten Bei¬
sammensein entwickeln, wie vieles werden wir noch an einander finden, was uns
näher und enger verbinden kann."

Schiller schien es anfangs nicht recht zu verstehen oder wollte es nicht
verstehen, was Lotte meinte. Erst als diese immer wieder mit stillem Gram
darauf zurückkam, daß sie fürchte, es mochte eine Zeit kommen, in der er auf¬
hören könne, ihr das zu sein, was er ihr sei, fing er an, sich zu entschuldigen.
"Karoline -- schreibt er am 15. November, in demselben merkwürdigen Briefe,
in dem er noch einmal das Zusammenwohnen mit Karoline in den Kreis seiner
Berechnung zieht -- ist mir näher am Alter und darum anch gleicher in der
Form unsrer Gefühle und Gedanken. Sie hat mehr Empfindungen in mir zur
Sprache gebracht, als du, meine Lotte -- aber ich wünschte nicht um alles,
daß dieses anders wäre, daß du anders wärest, als du bist. Was Karoline
vor dir voraus hat, mußt du vou mir empfangen." Und einige Tage später
ruft er erschrocken aus: "Kummer drückt dich, meine teure Lotte, nicht Krank¬
heit allein, dem Brief hat mich geängstigt. Was ist dir? du hast düstere Blicke
in die Zukunft, dein Herz ist gedrückt." Aber immer fährt er fort, seine Herzens¬
ergüsse an beide zu richten: "Engel meines Herzens, o wo finde ich einen
Ausdruck, der die Liebe ausspricht, mit der ich euch liebe."

Am 2. Dezember reisten Lotte und Karoline nach Weimar, blieben bis
Mitte Februar (1790) und machten erst einen Besuch in Erfurt, ehe sie nach
Hause zurückkehrten. Schiller kam oft von Jena nach Weimar herüber, die
Weihnachtsfeiertage verlebte er dort. Karoline von Dachröden traf mit ihren
beiden Verehrern Humboldt und La Roche ein. In diesem wunderlichen Zu¬
sammensein der beiden Doppelpaare muß der Übermut der Seelenfreundschaften
noch einmal recht zum Ausbruche gekommen sein. Lotte wenigstens war nicht
zufrieden mit einer solchen Weihnachtsfeier. Ihre Briefe atmen tiefe Sorge
und Beklemmung, sie flüchtet sich mit bangen Klagen an das Herz des Geliebten
Es ist rührend, wie sich ihr ganzes Wesen unter den Klauen beängstigender
Zweifel windet. Als Schiller sie deswegen tadelt und ihr zuruft: "Irre dich


Dichterfreundinnen.

Lotte befolgte den Rat der Freundin, zwei Tage nach Schillers Rückkehr
schrieb sie diesem einen sehr merkwürdigen Brief, indem sie leise und zart auf
sein Verhältnis zu Karoline hindeutete und ihre Besorgnisse durchblicken ließ.
Sie fühle, sagt sie, wohl, daß sie ihn durch anscheinende Kälte zuweilen abge¬
stoßen haben möge, aber das Unvermögen, ihre Gefühle so zu äußern, wie sie
es wünsche, liege in ihrer Ängstlichkeit, nicht zudringlich zu erscheinen, begründet.
Zuweilen habe sie auch gedacht, daß Karoline ihm mehr sein könnte als sie, und
daß er sie nicht zu seinem Glücke nötig habe. Doch verlegt sie, um ihn
nicht zu kränken, vorsichtig diese Gedankenanwandlungen in das vorige Jahr,
in die Zeit von Schillers erstem Aufenthalt in Rudolstadt, und schließt die Be¬
trachtung mit den Worten: „Es wird eine schöne Zeit sein, wenn wir erst ganz
für einander leben. Wie vieles wird sich nach und nach im ungestörten Bei¬
sammensein entwickeln, wie vieles werden wir noch an einander finden, was uns
näher und enger verbinden kann."

Schiller schien es anfangs nicht recht zu verstehen oder wollte es nicht
verstehen, was Lotte meinte. Erst als diese immer wieder mit stillem Gram
darauf zurückkam, daß sie fürchte, es mochte eine Zeit kommen, in der er auf¬
hören könne, ihr das zu sein, was er ihr sei, fing er an, sich zu entschuldigen.
„Karoline — schreibt er am 15. November, in demselben merkwürdigen Briefe,
in dem er noch einmal das Zusammenwohnen mit Karoline in den Kreis seiner
Berechnung zieht — ist mir näher am Alter und darum anch gleicher in der
Form unsrer Gefühle und Gedanken. Sie hat mehr Empfindungen in mir zur
Sprache gebracht, als du, meine Lotte — aber ich wünschte nicht um alles,
daß dieses anders wäre, daß du anders wärest, als du bist. Was Karoline
vor dir voraus hat, mußt du vou mir empfangen." Und einige Tage später
ruft er erschrocken aus: „Kummer drückt dich, meine teure Lotte, nicht Krank¬
heit allein, dem Brief hat mich geängstigt. Was ist dir? du hast düstere Blicke
in die Zukunft, dein Herz ist gedrückt." Aber immer fährt er fort, seine Herzens¬
ergüsse an beide zu richten: „Engel meines Herzens, o wo finde ich einen
Ausdruck, der die Liebe ausspricht, mit der ich euch liebe."

Am 2. Dezember reisten Lotte und Karoline nach Weimar, blieben bis
Mitte Februar (1790) und machten erst einen Besuch in Erfurt, ehe sie nach
Hause zurückkehrten. Schiller kam oft von Jena nach Weimar herüber, die
Weihnachtsfeiertage verlebte er dort. Karoline von Dachröden traf mit ihren
beiden Verehrern Humboldt und La Roche ein. In diesem wunderlichen Zu¬
sammensein der beiden Doppelpaare muß der Übermut der Seelenfreundschaften
noch einmal recht zum Ausbruche gekommen sein. Lotte wenigstens war nicht
zufrieden mit einer solchen Weihnachtsfeier. Ihre Briefe atmen tiefe Sorge
und Beklemmung, sie flüchtet sich mit bangen Klagen an das Herz des Geliebten
Es ist rührend, wie sich ihr ganzes Wesen unter den Klauen beängstigender
Zweifel windet. Als Schiller sie deswegen tadelt und ihr zuruft: „Irre dich


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200104/592>, abgerufen am 27.08.2024.