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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr.

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Dichterfreundinnen.
von Franz Pfalz.
2. Aaroline von Wolzogen.
(Schluß.)

ber schon war das unmögliche Verhältnis an den natürlichen
Grenzen angekommen. Die Braut wehrte sich. Schiller brachte
die Herbstferien des Jahres 1789 in Rudolstadt zu; am
18. September bezog er wieder sein Haus in Volkstädt und
blieb bis zum 22. Oktober. Er widmete die Morgen und die
Nachmittage meist den Schwestern, und in diesem täglichen Verkehr scheint
ihm Karoline besonders interessant gewesen zu sein. Die geradsinnige und fein¬
fühlende Lotte fing an zu fürchten, daß Karoline ihrem Verlobten mehr sein
könne als sie selbst, und trug sich schon mit dem Gedanken, zu Gunsten der
Schwester auf den Geliebten zu verzichten. Sie war wirklich in einer schlimmen
Lage. Ihren nächsten Vertrauten, der Mutter und Schwester, durfte sie nichts
sagen; was sollte sie thun? In ihrer Not wandte sie sich um Rat an Karoline
von Dachröden, die damals noch zwischen zwei Bewerbern schwankte. Diese
antwortete in etwas altkluger Weise: "Die Männer, selbst die besten, können
nicht lieben wie wir, ihre Seele kann nicht ruhen in einem Gegenstande, nicht
sich verlieren in Liebe, sie fühlen noch ihr Wesen, während wir es vergessen
haben. Es ist die Erinnerung meiner eignen Empfindungen, die in mir auf¬
dämmert, ein süßer Traum, meine Teure, von dem wir bald erwachen, uns
allein, selbst von dem Geliebten unsrer Seele unverstanden fühlen; vielleicht
bestimmte uns die Natur diese zarteste aller Blüten der Liebe, um die Leiden
aufzuwiegen, die von ihr unzertrennbar sind. Ach, es ist aber auch eine Frühlings¬
blüte, und bald dahin wie sie. Lotte, es wird eine Zeit kommen, wo du an
meinem Herzen das Bekenntnis ablegen wirst, daß dieser Zustand nicht dauernd
sein kaun, daß du ahnst, sein schnelles Entfliehen sei auch von der Hand der
liebenden Vorsehung geordnet, dann wird es ruhiger sein in deiner Seele."
Einige psychologische Bemerkungen sind sehr zutreffend: "Du liebst -- belehrt sie
Lotten -- Schiller mit allen Kräften deines Wesens, ihre (Karolinens) Seele ist
in ihn versunken." Sie giebt der Freundin den Rat, sich offen gegen Schiller
darüber auszusprechen: "Sei offen, wahr mit deinem Geliebten; ich wollte zwar
mein Leben zum Unterpfande geben, daß es so ist, wie ich glaube, daß Schiller
eigentlich keine von euch mehr, daß er euch aber verschieden liebt."


Dichterfreundinnen.
von Franz Pfalz.
2. Aaroline von Wolzogen.
(Schluß.)

ber schon war das unmögliche Verhältnis an den natürlichen
Grenzen angekommen. Die Braut wehrte sich. Schiller brachte
die Herbstferien des Jahres 1789 in Rudolstadt zu; am
18. September bezog er wieder sein Haus in Volkstädt und
blieb bis zum 22. Oktober. Er widmete die Morgen und die
Nachmittage meist den Schwestern, und in diesem täglichen Verkehr scheint
ihm Karoline besonders interessant gewesen zu sein. Die geradsinnige und fein¬
fühlende Lotte fing an zu fürchten, daß Karoline ihrem Verlobten mehr sein
könne als sie selbst, und trug sich schon mit dem Gedanken, zu Gunsten der
Schwester auf den Geliebten zu verzichten. Sie war wirklich in einer schlimmen
Lage. Ihren nächsten Vertrauten, der Mutter und Schwester, durfte sie nichts
sagen; was sollte sie thun? In ihrer Not wandte sie sich um Rat an Karoline
von Dachröden, die damals noch zwischen zwei Bewerbern schwankte. Diese
antwortete in etwas altkluger Weise: „Die Männer, selbst die besten, können
nicht lieben wie wir, ihre Seele kann nicht ruhen in einem Gegenstande, nicht
sich verlieren in Liebe, sie fühlen noch ihr Wesen, während wir es vergessen
haben. Es ist die Erinnerung meiner eignen Empfindungen, die in mir auf¬
dämmert, ein süßer Traum, meine Teure, von dem wir bald erwachen, uns
allein, selbst von dem Geliebten unsrer Seele unverstanden fühlen; vielleicht
bestimmte uns die Natur diese zarteste aller Blüten der Liebe, um die Leiden
aufzuwiegen, die von ihr unzertrennbar sind. Ach, es ist aber auch eine Frühlings¬
blüte, und bald dahin wie sie. Lotte, es wird eine Zeit kommen, wo du an
meinem Herzen das Bekenntnis ablegen wirst, daß dieser Zustand nicht dauernd
sein kaun, daß du ahnst, sein schnelles Entfliehen sei auch von der Hand der
liebenden Vorsehung geordnet, dann wird es ruhiger sein in deiner Seele."
Einige psychologische Bemerkungen sind sehr zutreffend: „Du liebst — belehrt sie
Lotten — Schiller mit allen Kräften deines Wesens, ihre (Karolinens) Seele ist
in ihn versunken." Sie giebt der Freundin den Rat, sich offen gegen Schiller
darüber auszusprechen: „Sei offen, wahr mit deinem Geliebten; ich wollte zwar
mein Leben zum Unterpfande geben, daß es so ist, wie ich glaube, daß Schiller
eigentlich keine von euch mehr, daß er euch aber verschieden liebt."


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[0591] Dichterfreundinnen. von Franz Pfalz. 2. Aaroline von Wolzogen. (Schluß.) ber schon war das unmögliche Verhältnis an den natürlichen Grenzen angekommen. Die Braut wehrte sich. Schiller brachte die Herbstferien des Jahres 1789 in Rudolstadt zu; am 18. September bezog er wieder sein Haus in Volkstädt und blieb bis zum 22. Oktober. Er widmete die Morgen und die Nachmittage meist den Schwestern, und in diesem täglichen Verkehr scheint ihm Karoline besonders interessant gewesen zu sein. Die geradsinnige und fein¬ fühlende Lotte fing an zu fürchten, daß Karoline ihrem Verlobten mehr sein könne als sie selbst, und trug sich schon mit dem Gedanken, zu Gunsten der Schwester auf den Geliebten zu verzichten. Sie war wirklich in einer schlimmen Lage. Ihren nächsten Vertrauten, der Mutter und Schwester, durfte sie nichts sagen; was sollte sie thun? In ihrer Not wandte sie sich um Rat an Karoline von Dachröden, die damals noch zwischen zwei Bewerbern schwankte. Diese antwortete in etwas altkluger Weise: „Die Männer, selbst die besten, können nicht lieben wie wir, ihre Seele kann nicht ruhen in einem Gegenstande, nicht sich verlieren in Liebe, sie fühlen noch ihr Wesen, während wir es vergessen haben. Es ist die Erinnerung meiner eignen Empfindungen, die in mir auf¬ dämmert, ein süßer Traum, meine Teure, von dem wir bald erwachen, uns allein, selbst von dem Geliebten unsrer Seele unverstanden fühlen; vielleicht bestimmte uns die Natur diese zarteste aller Blüten der Liebe, um die Leiden aufzuwiegen, die von ihr unzertrennbar sind. Ach, es ist aber auch eine Frühlings¬ blüte, und bald dahin wie sie. Lotte, es wird eine Zeit kommen, wo du an meinem Herzen das Bekenntnis ablegen wirst, daß dieser Zustand nicht dauernd sein kaun, daß du ahnst, sein schnelles Entfliehen sei auch von der Hand der liebenden Vorsehung geordnet, dann wird es ruhiger sein in deiner Seele." Einige psychologische Bemerkungen sind sehr zutreffend: „Du liebst — belehrt sie Lotten — Schiller mit allen Kräften deines Wesens, ihre (Karolinens) Seele ist in ihn versunken." Sie giebt der Freundin den Rat, sich offen gegen Schiller darüber auszusprechen: „Sei offen, wahr mit deinem Geliebten; ich wollte zwar mein Leben zum Unterpfande geben, daß es so ist, wie ich glaube, daß Schiller eigentlich keine von euch mehr, daß er euch aber verschieden liebt."

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200104/591>, abgerufen am 27.08.2024.