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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr.

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Toynbee-Hall.

gaben der Zeit ernst nahmen, dem Staate unmögliches haben aufbiirden wollen.
So ruft z, B. Eduard Denison den Staat als den großen Vermittler an, der
zwischen die streitenden Parteien treten und die Menschen, die sich gegenseitig
zerfleischen, von sich selbst befreien foll,


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eine Vergötterung des Staates, die fast an Sozialismus anklingt.

In Deutschland, wo die Lehren der individualistischen Schule zwar von
der Wissenschaft angenommen, aber nie wahrhaft volkstümlich geworden waren,
lag die Gefahr einer Überschätzung der Gesetzgebung noch näher. Kaum hatten
wir die Svzialrefvrm begonnen, und schon erhob sich der Staatssozialismus,
der alles Heil vom Staate und durch den Staat erwartete.

Praktische Erfahrungen widerlegten in England die überschwänglichen Hoff¬
nungen, mit denen man die soziale Gesetzgebung begrüßt hatte. Die ärgsten
Auswüchse wurden abgeschnitten, Übel verhindert, aber eine wirkliche Besserung
wurde nicht erreicht. Auch uns wird eine ähnliche Erfahrung nicht erspart
bleiben. Auch unserm Staatssozialismus gilt das Wort Taines^): IIr riouvsM
Z^stöiriö Ä'institutionL irs torrotioirirs c^us pg,r uir nouvs-ni Z^stöirrs cI'1iÄdituÄS8
et ctsorstsr urr nouvs^u s/stsrns Ä'tradituäös o'sse ooirstruirs uns visillo eng.i8on.
In den großen Lebensverhältnissen der Völker bleiben rein gesetzliche Mittel wir¬
kungslos, wenn sie nicht von Mächten des Gefühls und des Willens unterstützt
sind. Der Sozialpolitik des Kanzlers muß die Sozialpraxis des Volkes nachgehen,
ohne die jene nicht wahrhaft heilkräftig sein wird, ähnlich wie die Isx ^ulla se
?axig. ?0WÄSÄ (die Ehegesetzgebung des Augustus) einst wirkungslos blieb, weil
ihr die Sitten der Zeitgenossen Hohn sprachen.

Daß es mit der Gesetzgebung allein nicht gethan ist, sondern daß chic wahre
Sozialreform praktische Bethätigung jedes Einzelnen verlangt, diese Einsicht bricht
sich in England mehr und mehr Bahn. Eine christlich-soziale Bewegung, von
Frederic Denison Maurice eröffnet, gewann in den vierziger und fünfziger Jahren
zum erstenmale große und segensreiche Bedeutung. Ihr folgten andre Bestre¬
bungen, die, ohne religionsfeindlich zu sein, doch ihren Ausgangspunkt nicht vom
Positiven Christentum nahmen, was umso leichter der Fall war, als die Christlich-
Sozialen in England gegen Andersgläubige, aber Gleichstrebende stets durchaus
duldsam gewesen waren. Unter die zweite Klasse rechne ich vor allem die Be¬
strebungen der Universitäten. Sie stehen nicht allein. Ähnlich macht es z. B.
die Etonschule, deren alte Schüler, so weit sie in London leben, je einen Abend
der Woche in den Armenbezirken der Weltstadt zu Unterrichtszwecken zubringen.



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Toynbee-Hall.

gaben der Zeit ernst nahmen, dem Staate unmögliches haben aufbiirden wollen.
So ruft z, B. Eduard Denison den Staat als den großen Vermittler an, der
zwischen die streitenden Parteien treten und die Menschen, die sich gegenseitig
zerfleischen, von sich selbst befreien foll,


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'Wlio v?Ä>se, As is eng oollscisnos ot s, sinnt
^.raou^ tus us-i-ring- sousss ot et^ Kul^Ins —

eine Vergötterung des Staates, die fast an Sozialismus anklingt.

In Deutschland, wo die Lehren der individualistischen Schule zwar von
der Wissenschaft angenommen, aber nie wahrhaft volkstümlich geworden waren,
lag die Gefahr einer Überschätzung der Gesetzgebung noch näher. Kaum hatten
wir die Svzialrefvrm begonnen, und schon erhob sich der Staatssozialismus,
der alles Heil vom Staate und durch den Staat erwartete.

Praktische Erfahrungen widerlegten in England die überschwänglichen Hoff¬
nungen, mit denen man die soziale Gesetzgebung begrüßt hatte. Die ärgsten
Auswüchse wurden abgeschnitten, Übel verhindert, aber eine wirkliche Besserung
wurde nicht erreicht. Auch uns wird eine ähnliche Erfahrung nicht erspart
bleiben. Auch unserm Staatssozialismus gilt das Wort Taines^): IIr riouvsM
Z^stöiriö Ä'institutionL irs torrotioirirs c^us pg,r uir nouvs-ni Z^stöirrs cI'1iÄdituÄS8
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In den großen Lebensverhältnissen der Völker bleiben rein gesetzliche Mittel wir¬
kungslos, wenn sie nicht von Mächten des Gefühls und des Willens unterstützt
sind. Der Sozialpolitik des Kanzlers muß die Sozialpraxis des Volkes nachgehen,
ohne die jene nicht wahrhaft heilkräftig sein wird, ähnlich wie die Isx ^ulla se
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ihr die Sitten der Zeitgenossen Hohn sprachen.

Daß es mit der Gesetzgebung allein nicht gethan ist, sondern daß chic wahre
Sozialreform praktische Bethätigung jedes Einzelnen verlangt, diese Einsicht bricht
sich in England mehr und mehr Bahn. Eine christlich-soziale Bewegung, von
Frederic Denison Maurice eröffnet, gewann in den vierziger und fünfziger Jahren
zum erstenmale große und segensreiche Bedeutung. Ihr folgten andre Bestre¬
bungen, die, ohne religionsfeindlich zu sein, doch ihren Ausgangspunkt nicht vom
Positiven Christentum nahmen, was umso leichter der Fall war, als die Christlich-
Sozialen in England gegen Andersgläubige, aber Gleichstrebende stets durchaus
duldsam gewesen waren. Unter die zweite Klasse rechne ich vor allem die Be¬
strebungen der Universitäten. Sie stehen nicht allein. Ähnlich macht es z. B.
die Etonschule, deren alte Schüler, so weit sie in London leben, je einen Abend
der Woche in den Armenbezirken der Weltstadt zu Unterrichtszwecken zubringen.



'I'»,ni,s, I,Sö ol'iAUios as Is, ?,rMns <;or>tsiiixor«.imo. I^g, Revolution. 2. Buch, 2. Kap.
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[0589] Toynbee-Hall. gaben der Zeit ernst nahmen, dem Staate unmögliches haben aufbiirden wollen. So ruft z, B. Eduard Denison den Staat als den großen Vermittler an, der zwischen die streitenden Parteien treten und die Menschen, die sich gegenseitig zerfleischen, von sich selbst befreien foll, g, Al'sti ann iwdlo I^orÄ, 'Wlio v?Ä>se, As is eng oollscisnos ot s, sinnt ^.raou^ tus us-i-ring- sousss ot et^ Kul^Ins — eine Vergötterung des Staates, die fast an Sozialismus anklingt. In Deutschland, wo die Lehren der individualistischen Schule zwar von der Wissenschaft angenommen, aber nie wahrhaft volkstümlich geworden waren, lag die Gefahr einer Überschätzung der Gesetzgebung noch näher. Kaum hatten wir die Svzialrefvrm begonnen, und schon erhob sich der Staatssozialismus, der alles Heil vom Staate und durch den Staat erwartete. Praktische Erfahrungen widerlegten in England die überschwänglichen Hoff¬ nungen, mit denen man die soziale Gesetzgebung begrüßt hatte. Die ärgsten Auswüchse wurden abgeschnitten, Übel verhindert, aber eine wirkliche Besserung wurde nicht erreicht. Auch uns wird eine ähnliche Erfahrung nicht erspart bleiben. Auch unserm Staatssozialismus gilt das Wort Taines^): IIr riouvsM Z^stöiriö Ä'institutionL irs torrotioirirs c^us pg,r uir nouvs-ni Z^stöirrs cI'1iÄdituÄS8 et ctsorstsr urr nouvs^u s/stsrns Ä'tradituäös o'sse ooirstruirs uns visillo eng.i8on. In den großen Lebensverhältnissen der Völker bleiben rein gesetzliche Mittel wir¬ kungslos, wenn sie nicht von Mächten des Gefühls und des Willens unterstützt sind. Der Sozialpolitik des Kanzlers muß die Sozialpraxis des Volkes nachgehen, ohne die jene nicht wahrhaft heilkräftig sein wird, ähnlich wie die Isx ^ulla se ?axig. ?0WÄSÄ (die Ehegesetzgebung des Augustus) einst wirkungslos blieb, weil ihr die Sitten der Zeitgenossen Hohn sprachen. Daß es mit der Gesetzgebung allein nicht gethan ist, sondern daß chic wahre Sozialreform praktische Bethätigung jedes Einzelnen verlangt, diese Einsicht bricht sich in England mehr und mehr Bahn. Eine christlich-soziale Bewegung, von Frederic Denison Maurice eröffnet, gewann in den vierziger und fünfziger Jahren zum erstenmale große und segensreiche Bedeutung. Ihr folgten andre Bestre¬ bungen, die, ohne religionsfeindlich zu sein, doch ihren Ausgangspunkt nicht vom Positiven Christentum nahmen, was umso leichter der Fall war, als die Christlich- Sozialen in England gegen Andersgläubige, aber Gleichstrebende stets durchaus duldsam gewesen waren. Unter die zweite Klasse rechne ich vor allem die Be¬ strebungen der Universitäten. Sie stehen nicht allein. Ähnlich macht es z. B. die Etonschule, deren alte Schüler, so weit sie in London leben, je einen Abend der Woche in den Armenbezirken der Weltstadt zu Unterrichtszwecken zubringen. 'I'»,ni,s, I,Sö ol'iAUios as Is, ?,rMns <;or>tsiiixor«.imo. I^g, Revolution. 2. Buch, 2. Kap.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200104/589>, abgerufen am 23.12.2024.