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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr.

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Toynbee-Hall.

schaft einen überaus ärmlichen Eindruck; die Stimmung war gedrückt, fast trübe
zu nennen. Die Leute gehörten den untersten Klassen des Arbeiterstandes an,
deren Verdienst gering und noch dazu unsicher ist. Ihr Leben fließt im besten
Fall öde und einförmig dahin. Die Leute aufzumuntern und von der Not
ihres Daseins aus andre Gedanken zu bringen, ist das nächste, was ein Gentleman,
der solche Kreise besucht, zu thun hat. Es sei hier die xoxulM lis.11g,ä-hoc,lok^
genannt, deren Zweck es ist, durch volkstümliche Konzerte selbst den Ärmsten
Musik und Gesang zugänglich zu machen. Zugleich hört der Besucher derartiger
Klubabende von vielen Fällen der Not, lernt den einzelnen Armen persönlich
kennen und kann, soweit es in seinen Kräften steht, im einzelnen Falle die ent¬
sprechende Hilfe gewähren. Dies ist insbesondre für unsre Freunde aus Toynbee-
Hall wichtig. Sie verfügen oft über bedeutende Summen, die ihnen die Privat¬
wohlthätigkeit zur Verteilung unter die Armen überwiesen hat; sie sind auch
oft Mitglieder der Lüi^rit^-orgÄuisMon-Loviöt^, welche sich zur Aufgabe macht,
die Summen, die der Westen alljährlich für den Osten zeichnet, den wirklich
Bedürftigen zu übermitteln.

Anders, jedoch von einem allgemeinen Standpunkt aus womöglich noch
wichtiger ist die Teilnahme von gebildeten Männern an dem Klnbleben der
bessergestellten Arbeiter. Obwohl thatsächlich die Klassen ganz allmählich in
einander, übergehen, ist es nicht ohne guten Grund, wenn der Engländer der
Unterschied zwischen dem lisixisss oder lwxslöLL und dem rssxsotg,l)1s vorging-
IQS,Q scharf betont. Dadurch allein bringt er sich zum Bewußtsein, das nur der
erste ein Objekt eigentlicher czl^rit/ ist. Wenn dagegen der Gentleman sich
auch dem zweiten zu nähern und auf ihn zu wirken sucht, so ist das ebenso¬
wenig Wohlthätigkeit zu nennen, wie das Wirken irgend eines volkstümlichen
Agitators. Der Gewinn, den solche Thätigkeit mit sich bringt, ist ein gegenseitiger:
gegenseitige Annäherung und gegenseitiges Verständnis.

Ein Klub besserer Art, den ich mehreremale in Begleitung meines Freundes
zu besuchen Gelegenheit hatte, war eine der zahlreichen Oölzs-ttinx sooistios,
Vereine zur Besprechung politischer, wirtschaftlicher und technischer Fragen.
Jedem, der zum erstenmale einer solchen Versammlung beiwohnt, wird die Ge¬
wandtheit auffallen, mit welcher die Mitglieder des Vereins die Form der
Debatte handhaben. Die Anwesenden sitzen an einer langen Tafel zusammen,
auf der zu unsrer Verwunderung weder Bier noch Schnaps oder etwas ähn¬
liches erschien, an der Spitze auf dem Präsidentenstuhl ein wetterfester Grau¬
bart. Nur demjenigen gestattet er das Wort zu ergreifen, dein er es erteilt,
und der Redner wendet sich in seiner Rede nach englischer Gewohnheit aus¬
schließlich an ihn, als den Mr. speaker. Der Ton, in dem die Verhandlungen
geführt wurden, war gut und hätte manche parlamentarische Versammlung be¬
schämen können. Die Anwesenheit meines Freundes, selbst seine Teilnahme an
der Debatte wurden augenscheinlich gern gesehen.


Toynbee-Hall.

schaft einen überaus ärmlichen Eindruck; die Stimmung war gedrückt, fast trübe
zu nennen. Die Leute gehörten den untersten Klassen des Arbeiterstandes an,
deren Verdienst gering und noch dazu unsicher ist. Ihr Leben fließt im besten
Fall öde und einförmig dahin. Die Leute aufzumuntern und von der Not
ihres Daseins aus andre Gedanken zu bringen, ist das nächste, was ein Gentleman,
der solche Kreise besucht, zu thun hat. Es sei hier die xoxulM lis.11g,ä-hoc,lok^
genannt, deren Zweck es ist, durch volkstümliche Konzerte selbst den Ärmsten
Musik und Gesang zugänglich zu machen. Zugleich hört der Besucher derartiger
Klubabende von vielen Fällen der Not, lernt den einzelnen Armen persönlich
kennen und kann, soweit es in seinen Kräften steht, im einzelnen Falle die ent¬
sprechende Hilfe gewähren. Dies ist insbesondre für unsre Freunde aus Toynbee-
Hall wichtig. Sie verfügen oft über bedeutende Summen, die ihnen die Privat¬
wohlthätigkeit zur Verteilung unter die Armen überwiesen hat; sie sind auch
oft Mitglieder der Lüi^rit^-orgÄuisMon-Loviöt^, welche sich zur Aufgabe macht,
die Summen, die der Westen alljährlich für den Osten zeichnet, den wirklich
Bedürftigen zu übermitteln.

Anders, jedoch von einem allgemeinen Standpunkt aus womöglich noch
wichtiger ist die Teilnahme von gebildeten Männern an dem Klnbleben der
bessergestellten Arbeiter. Obwohl thatsächlich die Klassen ganz allmählich in
einander, übergehen, ist es nicht ohne guten Grund, wenn der Engländer der
Unterschied zwischen dem lisixisss oder lwxslöLL und dem rssxsotg,l)1s vorging-
IQS,Q scharf betont. Dadurch allein bringt er sich zum Bewußtsein, das nur der
erste ein Objekt eigentlicher czl^rit/ ist. Wenn dagegen der Gentleman sich
auch dem zweiten zu nähern und auf ihn zu wirken sucht, so ist das ebenso¬
wenig Wohlthätigkeit zu nennen, wie das Wirken irgend eines volkstümlichen
Agitators. Der Gewinn, den solche Thätigkeit mit sich bringt, ist ein gegenseitiger:
gegenseitige Annäherung und gegenseitiges Verständnis.

Ein Klub besserer Art, den ich mehreremale in Begleitung meines Freundes
zu besuchen Gelegenheit hatte, war eine der zahlreichen Oölzs-ttinx sooistios,
Vereine zur Besprechung politischer, wirtschaftlicher und technischer Fragen.
Jedem, der zum erstenmale einer solchen Versammlung beiwohnt, wird die Ge¬
wandtheit auffallen, mit welcher die Mitglieder des Vereins die Form der
Debatte handhaben. Die Anwesenden sitzen an einer langen Tafel zusammen,
auf der zu unsrer Verwunderung weder Bier noch Schnaps oder etwas ähn¬
liches erschien, an der Spitze auf dem Präsidentenstuhl ein wetterfester Grau¬
bart. Nur demjenigen gestattet er das Wort zu ergreifen, dein er es erteilt,
und der Redner wendet sich in seiner Rede nach englischer Gewohnheit aus¬
schließlich an ihn, als den Mr. speaker. Der Ton, in dem die Verhandlungen
geführt wurden, war gut und hätte manche parlamentarische Versammlung be¬
schämen können. Die Anwesenheit meines Freundes, selbst seine Teilnahme an
der Debatte wurden augenscheinlich gern gesehen.


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[0583] Toynbee-Hall. schaft einen überaus ärmlichen Eindruck; die Stimmung war gedrückt, fast trübe zu nennen. Die Leute gehörten den untersten Klassen des Arbeiterstandes an, deren Verdienst gering und noch dazu unsicher ist. Ihr Leben fließt im besten Fall öde und einförmig dahin. Die Leute aufzumuntern und von der Not ihres Daseins aus andre Gedanken zu bringen, ist das nächste, was ein Gentleman, der solche Kreise besucht, zu thun hat. Es sei hier die xoxulM lis.11g,ä-hoc,lok^ genannt, deren Zweck es ist, durch volkstümliche Konzerte selbst den Ärmsten Musik und Gesang zugänglich zu machen. Zugleich hört der Besucher derartiger Klubabende von vielen Fällen der Not, lernt den einzelnen Armen persönlich kennen und kann, soweit es in seinen Kräften steht, im einzelnen Falle die ent¬ sprechende Hilfe gewähren. Dies ist insbesondre für unsre Freunde aus Toynbee- Hall wichtig. Sie verfügen oft über bedeutende Summen, die ihnen die Privat¬ wohlthätigkeit zur Verteilung unter die Armen überwiesen hat; sie sind auch oft Mitglieder der Lüi^rit^-orgÄuisMon-Loviöt^, welche sich zur Aufgabe macht, die Summen, die der Westen alljährlich für den Osten zeichnet, den wirklich Bedürftigen zu übermitteln. Anders, jedoch von einem allgemeinen Standpunkt aus womöglich noch wichtiger ist die Teilnahme von gebildeten Männern an dem Klnbleben der bessergestellten Arbeiter. Obwohl thatsächlich die Klassen ganz allmählich in einander, übergehen, ist es nicht ohne guten Grund, wenn der Engländer der Unterschied zwischen dem lisixisss oder lwxslöLL und dem rssxsotg,l)1s vorging- IQS,Q scharf betont. Dadurch allein bringt er sich zum Bewußtsein, das nur der erste ein Objekt eigentlicher czl^rit/ ist. Wenn dagegen der Gentleman sich auch dem zweiten zu nähern und auf ihn zu wirken sucht, so ist das ebenso¬ wenig Wohlthätigkeit zu nennen, wie das Wirken irgend eines volkstümlichen Agitators. Der Gewinn, den solche Thätigkeit mit sich bringt, ist ein gegenseitiger: gegenseitige Annäherung und gegenseitiges Verständnis. Ein Klub besserer Art, den ich mehreremale in Begleitung meines Freundes zu besuchen Gelegenheit hatte, war eine der zahlreichen Oölzs-ttinx sooistios, Vereine zur Besprechung politischer, wirtschaftlicher und technischer Fragen. Jedem, der zum erstenmale einer solchen Versammlung beiwohnt, wird die Ge¬ wandtheit auffallen, mit welcher die Mitglieder des Vereins die Form der Debatte handhaben. Die Anwesenden sitzen an einer langen Tafel zusammen, auf der zu unsrer Verwunderung weder Bier noch Schnaps oder etwas ähn¬ liches erschien, an der Spitze auf dem Präsidentenstuhl ein wetterfester Grau¬ bart. Nur demjenigen gestattet er das Wort zu ergreifen, dein er es erteilt, und der Redner wendet sich in seiner Rede nach englischer Gewohnheit aus¬ schließlich an ihn, als den Mr. speaker. Der Ton, in dem die Verhandlungen geführt wurden, war gut und hätte manche parlamentarische Versammlung be¬ schämen können. Die Anwesenheit meines Freundes, selbst seine Teilnahme an der Debatte wurden augenscheinlich gern gesehen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200104/583>, abgerufen am 26.08.2024.