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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr.

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Deutsch-böhmische Briefe.

zur Dynastie erlosch, sich und seinen Erben ausdrücklich vorbehalten, hier "Gesetz
und Recht zu machen und alles dasjenige, was das M8 IsZis korsirä^o, so Uns
als dem Könige allein zustehet, mit sich bringt." Das Jahr 1848 schenkte
den Österreichern mit Einschluß der Böhmen am 25. April eine Verfassung.
Dieselbe wurde schon am 15. Mai widerrufen. Es folgten die Beratungen des
Reichstags in Kremsier, denen die aufgenötigte Verfassung vom 4. März 1849
ein Ende machte. Auch diese blieb nur kurze Zeit in Geltung und Wirksam¬
keit, schon am letzten Tage des Jahres 1851 räumte das konstitutionelle System
abermals vor dem Absolutismus das Feld, und derselbe herrschte von da an
neun Jahre (die Bachsche Ära), worauf mit dem Diplom vom 20. Oktober
1860 und dem Patent vom 26. Februar 1861 zum drittenmale in die Bahnen
des Konstitutionalismus eingelenkt wurde. Am 20. September 1865 aufgehoben,
wurde die neue Verfassung dnrch kaiserliche Entschließung vom 4. Februar 1867
wieder giltig. Die inzwischen erfolgreich gewordenen dualistischen Bestrebungen
der Ungarn erforderten Abänderungen der Februarverfassung. Dieselben wurden
vorgenommen, und diese Umgestaltung sowie die vom Ncichsrate beschlossenen
Staatsgrundgesetze erlangten am 21. Dezember des zuletzt genannten Jahres
gesetzliche Kraft. Es war ganz und gar selbstverständlich, daß die Landes¬
ordnung von 1627 schon durch die Konstitution von 1848 ihre Geltung ver¬
loren hatte. Der absolute Herr hatte sie gegeben, der absolute Herr hatte sie
genommen und hatte den Böhmen ein andres Recht dafür verliehen, die Landes¬
ordnung, welche auf dem Diplom von 1860 und auf dem Patent von 1861
beruht.

Mit der Entwicklung der Verfassung steht die der nationalen Gegensätze,
die sie entband und zu politischer Bedeutung erhob, in engstem Zusammenhange.
Sehr verschieden verhielten sich die tschechische und die deutsche Bevölkerung
Böhmens -- richtiger die dort und die hier führende Partei -- zu den Wen¬
dungen des verfassungsmäßigen Lebens. Die Tschechen verlangten und er¬
strebten möglichste Autonomie der Provinz oder, wie sie sagen, des "König¬
reiches" und vollständige Obmacht über die dortigen Deutschen und träumten
von einem besondern Staate Böhmen verbunden mit den tschechisch redenden
Nebenlündern, wie Ungarn mit den seinigen. Die Wenzelskrone sollte wieder
in dem alten Glänze strahlen wie die Stephanskrvne. Anknüpfend an die Landes¬
ordnung Ferdinands II., deren gesetzliche Beseitigung und deren praktische Un¬
Haltbarkeit sie leugnen, forderten sie eine föderative Gestaltung der österreichischen
Monarchie mit Wegfall der Verfassung und des Reichsrates und Einrichtung
eines Generallandtagcs für die Länder der böhmischen Krone. Neben der ge¬
meinsamen Vertretung der österreichischen Völker war ihnen in der Februar¬
verfassung vorzüglich die Wahlordnung nach dem Prinzip der Interessen ein
Stein des Anstoßes. In der Hoffnung, mit den übrigen Slawen der öster¬
reichisch-ungarischen Monarchie in dieser das Übergewicht und die Rolle der


Deutsch-böhmische Briefe.

zur Dynastie erlosch, sich und seinen Erben ausdrücklich vorbehalten, hier „Gesetz
und Recht zu machen und alles dasjenige, was das M8 IsZis korsirä^o, so Uns
als dem Könige allein zustehet, mit sich bringt." Das Jahr 1848 schenkte
den Österreichern mit Einschluß der Böhmen am 25. April eine Verfassung.
Dieselbe wurde schon am 15. Mai widerrufen. Es folgten die Beratungen des
Reichstags in Kremsier, denen die aufgenötigte Verfassung vom 4. März 1849
ein Ende machte. Auch diese blieb nur kurze Zeit in Geltung und Wirksam¬
keit, schon am letzten Tage des Jahres 1851 räumte das konstitutionelle System
abermals vor dem Absolutismus das Feld, und derselbe herrschte von da an
neun Jahre (die Bachsche Ära), worauf mit dem Diplom vom 20. Oktober
1860 und dem Patent vom 26. Februar 1861 zum drittenmale in die Bahnen
des Konstitutionalismus eingelenkt wurde. Am 20. September 1865 aufgehoben,
wurde die neue Verfassung dnrch kaiserliche Entschließung vom 4. Februar 1867
wieder giltig. Die inzwischen erfolgreich gewordenen dualistischen Bestrebungen
der Ungarn erforderten Abänderungen der Februarverfassung. Dieselben wurden
vorgenommen, und diese Umgestaltung sowie die vom Ncichsrate beschlossenen
Staatsgrundgesetze erlangten am 21. Dezember des zuletzt genannten Jahres
gesetzliche Kraft. Es war ganz und gar selbstverständlich, daß die Landes¬
ordnung von 1627 schon durch die Konstitution von 1848 ihre Geltung ver¬
loren hatte. Der absolute Herr hatte sie gegeben, der absolute Herr hatte sie
genommen und hatte den Böhmen ein andres Recht dafür verliehen, die Landes¬
ordnung, welche auf dem Diplom von 1860 und auf dem Patent von 1861
beruht.

Mit der Entwicklung der Verfassung steht die der nationalen Gegensätze,
die sie entband und zu politischer Bedeutung erhob, in engstem Zusammenhange.
Sehr verschieden verhielten sich die tschechische und die deutsche Bevölkerung
Böhmens — richtiger die dort und die hier führende Partei — zu den Wen¬
dungen des verfassungsmäßigen Lebens. Die Tschechen verlangten und er¬
strebten möglichste Autonomie der Provinz oder, wie sie sagen, des „König¬
reiches" und vollständige Obmacht über die dortigen Deutschen und träumten
von einem besondern Staate Böhmen verbunden mit den tschechisch redenden
Nebenlündern, wie Ungarn mit den seinigen. Die Wenzelskrone sollte wieder
in dem alten Glänze strahlen wie die Stephanskrvne. Anknüpfend an die Landes¬
ordnung Ferdinands II., deren gesetzliche Beseitigung und deren praktische Un¬
Haltbarkeit sie leugnen, forderten sie eine föderative Gestaltung der österreichischen
Monarchie mit Wegfall der Verfassung und des Reichsrates und Einrichtung
eines Generallandtagcs für die Länder der böhmischen Krone. Neben der ge¬
meinsamen Vertretung der österreichischen Völker war ihnen in der Februar¬
verfassung vorzüglich die Wahlordnung nach dem Prinzip der Interessen ein
Stein des Anstoßes. In der Hoffnung, mit den übrigen Slawen der öster¬
reichisch-ungarischen Monarchie in dieser das Übergewicht und die Rolle der


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200104/575>, abgerufen am 23.12.2024.