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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr.

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Deutsch-böhmische Briefe.

Gegenteil, namentlich seit 1848, zugenommen und einen gefährlichen Umschwung
der Dinge hervorgerufen hat. Während Männer wie Pelzel der Überzeugung
waren, daß Böhmen "das Schicksal von Meißen, Brandenburg und Schlesien
teilen und von der tschechischen Sprache nichts als die Namen der Städte,
Dörfer und Flüsse übrig bleiben würden," boten andre alles auf, dies zu ver¬
hindern. Thau und Hänke von Hartenstein schrieben über den Nutzen und die
Schönheit der tschechischen Sprache, Cramerius gab eine Zeitung darin heraus,
andre verfaßten oder übersetzten Volksbücher, es wurde eine tschechische Schau¬
spielergesellschaft errichtet u. dergl. Im Jahre 1793 überreichten dreiunddreißig
Tschechen, die sich "Originalböhmen" nannten, dem Prager Landtage eine Denk¬
schrift, in der sie über gewaltsame Germanisirung klagten, mit der Rache der
Unterdrückten drohten und behaupteten, alles Unglück des Landes rühre von
den Deutschen her, und Macht, Größe und Wohlfahrt sei hier nur zu finden
gewesen, als König und Stände tschechisch gesprochen hätten. Die Stände
hatten damals zu viel mit andern Dingen, z. B. mit der Verschärfung der
Nobotpatente, zu thun, als daß sie derlei Lamentos viel Beachtung zu schenken
vermocht hätten, und so war deren einziger Erfolg, daß an der Universität ein
tschechischer Lehrstuhl errichtet wurde. Dagegen wurde der Germanisirungs-
prozeß durch den Tod Kaiser Josefs unterbrochen; denn dessen Nachfolger
kehrten im wesentlichen zu der Politik der frühern Regierungen zurück und thaten
nicht uur nichts für die Förderung des Deutschtums in ihren Landen, sondern
suchten es sogar möglichst vor dem Einflüsse desjenigen außerhalb derselben zu
bewahren. Durch diese Abschließung, durch die absolutistische Regierungsweise,
durch die Bevormundung der Bevölkerung vonseiten einer bornirten, maschinen¬
mäßig arbeitenden Beamtenschaft und durch die Jesuitenwirtschaft auf dem Ge¬
biete des Erziehungswesens kam es dahin, daß in den ersten Jahrzehnten unsers
Jahrhunderts "der Deutschböhme -- wie Schmalfuß sagt -- weder einen natio¬
nalen, noch einen österreichischen Patriotismus kannte" und bei der Erhebung,
welche die Deutschen jenseits der nördlichen Berge gegen die napoleonische Fremd¬
herrschaft vereinte, "ruhig zusah und nur gab und that, was er eben geben
und thun mußte." Die Reaktion gegen den nationalen Geist, die nach den
Befreiungskriegen in Deutschland eintrat, war nicht dazu angethan, die Deutschen
in Böhmen zu ändern. Wohl drangen die liberalen Ideen, welche in den
dreißiger Jahren in Süd- und Mitteldeutschland und später auch im Norden
sich lebhafter regten, auch zu ihnen vor, aber von gleichzeitigem Erwachen des
nationalen Bewußtseins war bei ihnen nichts zu spüren. Während die Tschechen
sich orgamsirten und zu einer Aktion vorbereiteten, thaten sie nichts der Art.
Ja die Poeten, die aus ihrer Mitte hervorgingen, brachten es zustande, sich
für Helden der tschechischen Sage und Geschichte zu begeistern, und zwar selbst
für solche, welche Todfeinde des Deutschtums gewesen waren. Es wollte nicht
viel besagen, daß Ebert mit seiner kleinen Harfe "Wlasta," "Dalibor" und


Deutsch-böhmische Briefe.

Gegenteil, namentlich seit 1848, zugenommen und einen gefährlichen Umschwung
der Dinge hervorgerufen hat. Während Männer wie Pelzel der Überzeugung
waren, daß Böhmen „das Schicksal von Meißen, Brandenburg und Schlesien
teilen und von der tschechischen Sprache nichts als die Namen der Städte,
Dörfer und Flüsse übrig bleiben würden," boten andre alles auf, dies zu ver¬
hindern. Thau und Hänke von Hartenstein schrieben über den Nutzen und die
Schönheit der tschechischen Sprache, Cramerius gab eine Zeitung darin heraus,
andre verfaßten oder übersetzten Volksbücher, es wurde eine tschechische Schau¬
spielergesellschaft errichtet u. dergl. Im Jahre 1793 überreichten dreiunddreißig
Tschechen, die sich „Originalböhmen" nannten, dem Prager Landtage eine Denk¬
schrift, in der sie über gewaltsame Germanisirung klagten, mit der Rache der
Unterdrückten drohten und behaupteten, alles Unglück des Landes rühre von
den Deutschen her, und Macht, Größe und Wohlfahrt sei hier nur zu finden
gewesen, als König und Stände tschechisch gesprochen hätten. Die Stände
hatten damals zu viel mit andern Dingen, z. B. mit der Verschärfung der
Nobotpatente, zu thun, als daß sie derlei Lamentos viel Beachtung zu schenken
vermocht hätten, und so war deren einziger Erfolg, daß an der Universität ein
tschechischer Lehrstuhl errichtet wurde. Dagegen wurde der Germanisirungs-
prozeß durch den Tod Kaiser Josefs unterbrochen; denn dessen Nachfolger
kehrten im wesentlichen zu der Politik der frühern Regierungen zurück und thaten
nicht uur nichts für die Förderung des Deutschtums in ihren Landen, sondern
suchten es sogar möglichst vor dem Einflüsse desjenigen außerhalb derselben zu
bewahren. Durch diese Abschließung, durch die absolutistische Regierungsweise,
durch die Bevormundung der Bevölkerung vonseiten einer bornirten, maschinen¬
mäßig arbeitenden Beamtenschaft und durch die Jesuitenwirtschaft auf dem Ge¬
biete des Erziehungswesens kam es dahin, daß in den ersten Jahrzehnten unsers
Jahrhunderts „der Deutschböhme — wie Schmalfuß sagt — weder einen natio¬
nalen, noch einen österreichischen Patriotismus kannte" und bei der Erhebung,
welche die Deutschen jenseits der nördlichen Berge gegen die napoleonische Fremd¬
herrschaft vereinte, „ruhig zusah und nur gab und that, was er eben geben
und thun mußte." Die Reaktion gegen den nationalen Geist, die nach den
Befreiungskriegen in Deutschland eintrat, war nicht dazu angethan, die Deutschen
in Böhmen zu ändern. Wohl drangen die liberalen Ideen, welche in den
dreißiger Jahren in Süd- und Mitteldeutschland und später auch im Norden
sich lebhafter regten, auch zu ihnen vor, aber von gleichzeitigem Erwachen des
nationalen Bewußtseins war bei ihnen nichts zu spüren. Während die Tschechen
sich orgamsirten und zu einer Aktion vorbereiteten, thaten sie nichts der Art.
Ja die Poeten, die aus ihrer Mitte hervorgingen, brachten es zustande, sich
für Helden der tschechischen Sage und Geschichte zu begeistern, und zwar selbst
für solche, welche Todfeinde des Deutschtums gewesen waren. Es wollte nicht
viel besagen, daß Ebert mit seiner kleinen Harfe „Wlasta," „Dalibor" und


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[0572] Deutsch-böhmische Briefe. Gegenteil, namentlich seit 1848, zugenommen und einen gefährlichen Umschwung der Dinge hervorgerufen hat. Während Männer wie Pelzel der Überzeugung waren, daß Böhmen „das Schicksal von Meißen, Brandenburg und Schlesien teilen und von der tschechischen Sprache nichts als die Namen der Städte, Dörfer und Flüsse übrig bleiben würden," boten andre alles auf, dies zu ver¬ hindern. Thau und Hänke von Hartenstein schrieben über den Nutzen und die Schönheit der tschechischen Sprache, Cramerius gab eine Zeitung darin heraus, andre verfaßten oder übersetzten Volksbücher, es wurde eine tschechische Schau¬ spielergesellschaft errichtet u. dergl. Im Jahre 1793 überreichten dreiunddreißig Tschechen, die sich „Originalböhmen" nannten, dem Prager Landtage eine Denk¬ schrift, in der sie über gewaltsame Germanisirung klagten, mit der Rache der Unterdrückten drohten und behaupteten, alles Unglück des Landes rühre von den Deutschen her, und Macht, Größe und Wohlfahrt sei hier nur zu finden gewesen, als König und Stände tschechisch gesprochen hätten. Die Stände hatten damals zu viel mit andern Dingen, z. B. mit der Verschärfung der Nobotpatente, zu thun, als daß sie derlei Lamentos viel Beachtung zu schenken vermocht hätten, und so war deren einziger Erfolg, daß an der Universität ein tschechischer Lehrstuhl errichtet wurde. Dagegen wurde der Germanisirungs- prozeß durch den Tod Kaiser Josefs unterbrochen; denn dessen Nachfolger kehrten im wesentlichen zu der Politik der frühern Regierungen zurück und thaten nicht uur nichts für die Förderung des Deutschtums in ihren Landen, sondern suchten es sogar möglichst vor dem Einflüsse desjenigen außerhalb derselben zu bewahren. Durch diese Abschließung, durch die absolutistische Regierungsweise, durch die Bevormundung der Bevölkerung vonseiten einer bornirten, maschinen¬ mäßig arbeitenden Beamtenschaft und durch die Jesuitenwirtschaft auf dem Ge¬ biete des Erziehungswesens kam es dahin, daß in den ersten Jahrzehnten unsers Jahrhunderts „der Deutschböhme — wie Schmalfuß sagt — weder einen natio¬ nalen, noch einen österreichischen Patriotismus kannte" und bei der Erhebung, welche die Deutschen jenseits der nördlichen Berge gegen die napoleonische Fremd¬ herrschaft vereinte, „ruhig zusah und nur gab und that, was er eben geben und thun mußte." Die Reaktion gegen den nationalen Geist, die nach den Befreiungskriegen in Deutschland eintrat, war nicht dazu angethan, die Deutschen in Böhmen zu ändern. Wohl drangen die liberalen Ideen, welche in den dreißiger Jahren in Süd- und Mitteldeutschland und später auch im Norden sich lebhafter regten, auch zu ihnen vor, aber von gleichzeitigem Erwachen des nationalen Bewußtseins war bei ihnen nichts zu spüren. Während die Tschechen sich orgamsirten und zu einer Aktion vorbereiteten, thaten sie nichts der Art. Ja die Poeten, die aus ihrer Mitte hervorgingen, brachten es zustande, sich für Helden der tschechischen Sage und Geschichte zu begeistern, und zwar selbst für solche, welche Todfeinde des Deutschtums gewesen waren. Es wollte nicht viel besagen, daß Ebert mit seiner kleinen Harfe „Wlasta," „Dalibor" und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200104/572>, abgerufen am 25.08.2024.