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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr.

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Deutsch-böhmische Briefe.

Josef hätte bessere Erfolge gehabt, wenn er sich mit seinen Bestrebungen auf
Böhmen beschränkt hätte, wo das slawische Element bei Beginn seiner Regie¬
rung ganz darniederlag, die Sprache desselben eine Bauernsprache war, die
Dcutschböhmen es in kompakten Massen umschlossen, und der deutsche Geist
durch seine neue Literatur erobernd in die gebildete Klasse der Tschechen einzu¬
dringen und zu herrschen begonnen hatte. Indes wurde durch die Maßregeln
Maria Theresias und ihres Sohnes das Deutschtum in Böhmen immerhin er¬
heblich gefördert. 1770 verfügte ein Hvfdekret, daß in Böhmen nur solche
Schullehrer angestellt werden sollten, die der deutschen Sprache mächtig wären.
177S wurde in Prag eine deutsche Nvrmcilschule errichtet, uach deren Muster
bald im ganzen Lande Haupt- und Trivialschulcn entstanden. Auch da, wo
nur tschechisch gesprochen wurde, sollte nach einer Verfügung von 1776 von
den Lehrern den Schülern das Deutsche beigebracht werden, zu welchem Zwecke
die Regierung 1777 eine Anweisung mit dem Titel "Hilfsmittel, durch deren
Gebrauch und Anwendung die Erlernung der deutschen Sprache sowohl in
ursprünglich tschechischen Schulen als auch beim Privatunterricht erleichtert und
befördert wird," empfahl. Die Universität Prag hatte inzwischen schon 1768
und 1774 in einzelnen Wissenszweigen deutsch vortrage" gehört. Als 1780
gegen den Professor von Ricgger ein Verbot erging, hob Josef es auf, und
1784 befahl er sogar, für alle Vorlesungen statt der bisher üblichen lateinischen
Sprache die deutsche anzuwenden. Doch sollte über Pastoraltheologie und Ge¬
burtshilfe in beiden Sprachen gelesen werden. Ferner befahl der Kaiser, nur
solche Knaben in die Lateinschulen aufzunehmen, welche des Deutschen mächtig
wären, Stiftungen nur solchen zuzuwenden, welche diese Kenntnis nachwiesen,
und die Landeskinder zu Handwerken nicht eher aufzunehmen, als bis sie ein
Zeugnis der Normalschnle über ihre Bekanntschaft mit dem Deutschen beizu¬
bringen vermöchten.

Josef hat sich durch diese Maßregeln den bittern Haß der Tschechen zu¬
gezogen, und in der That ging er damit vielleicht weiter als billig. Indes
lassen sich dieselben dem Sprachengesetze von 1616 nicht an die Seite stellen,
da dieses die Erlernung eines von wenigen Millionen gesprochenen Idioms er¬
zwingen sollte, während es sich jetzt um eine Welt- und Kultursprache mit einer
reichen Literatur handelte, und da die Tschechen, Bauern und Kleinbürger aus¬
genommen, als Josefs Verordnungen ergingen, mehr oder minder schon mit dem
Deutschen bekannt waren. Es fragt sich, ob nicht ohne jene Germanisirnngs-
patente die deutsche Sprache sich uicht mit der Zeit ebenso verbreitet hätte wie
der deutsche Geist, der mit der Literatur unsrer klassischen Epoche in das Tschechcu-
tum eindrang, obwohl er wesentlich dazu beitrug, daß dieses sich des Wertes seiner
Sprache und seines ganzen Wesens zu erinnern begann. Gewiß ist nur, daß
durch die Härten der josefinischeu Verordnungen die tschcchisch-nationale Oppo¬
sition verstärkt wurde, die seitdem uicht wieder eingeschlafen ist, sondern im


Deutsch-böhmische Briefe.

Josef hätte bessere Erfolge gehabt, wenn er sich mit seinen Bestrebungen auf
Böhmen beschränkt hätte, wo das slawische Element bei Beginn seiner Regie¬
rung ganz darniederlag, die Sprache desselben eine Bauernsprache war, die
Dcutschböhmen es in kompakten Massen umschlossen, und der deutsche Geist
durch seine neue Literatur erobernd in die gebildete Klasse der Tschechen einzu¬
dringen und zu herrschen begonnen hatte. Indes wurde durch die Maßregeln
Maria Theresias und ihres Sohnes das Deutschtum in Böhmen immerhin er¬
heblich gefördert. 1770 verfügte ein Hvfdekret, daß in Böhmen nur solche
Schullehrer angestellt werden sollten, die der deutschen Sprache mächtig wären.
177S wurde in Prag eine deutsche Nvrmcilschule errichtet, uach deren Muster
bald im ganzen Lande Haupt- und Trivialschulcn entstanden. Auch da, wo
nur tschechisch gesprochen wurde, sollte nach einer Verfügung von 1776 von
den Lehrern den Schülern das Deutsche beigebracht werden, zu welchem Zwecke
die Regierung 1777 eine Anweisung mit dem Titel „Hilfsmittel, durch deren
Gebrauch und Anwendung die Erlernung der deutschen Sprache sowohl in
ursprünglich tschechischen Schulen als auch beim Privatunterricht erleichtert und
befördert wird," empfahl. Die Universität Prag hatte inzwischen schon 1768
und 1774 in einzelnen Wissenszweigen deutsch vortrage» gehört. Als 1780
gegen den Professor von Ricgger ein Verbot erging, hob Josef es auf, und
1784 befahl er sogar, für alle Vorlesungen statt der bisher üblichen lateinischen
Sprache die deutsche anzuwenden. Doch sollte über Pastoraltheologie und Ge¬
burtshilfe in beiden Sprachen gelesen werden. Ferner befahl der Kaiser, nur
solche Knaben in die Lateinschulen aufzunehmen, welche des Deutschen mächtig
wären, Stiftungen nur solchen zuzuwenden, welche diese Kenntnis nachwiesen,
und die Landeskinder zu Handwerken nicht eher aufzunehmen, als bis sie ein
Zeugnis der Normalschnle über ihre Bekanntschaft mit dem Deutschen beizu¬
bringen vermöchten.

Josef hat sich durch diese Maßregeln den bittern Haß der Tschechen zu¬
gezogen, und in der That ging er damit vielleicht weiter als billig. Indes
lassen sich dieselben dem Sprachengesetze von 1616 nicht an die Seite stellen,
da dieses die Erlernung eines von wenigen Millionen gesprochenen Idioms er¬
zwingen sollte, während es sich jetzt um eine Welt- und Kultursprache mit einer
reichen Literatur handelte, und da die Tschechen, Bauern und Kleinbürger aus¬
genommen, als Josefs Verordnungen ergingen, mehr oder minder schon mit dem
Deutschen bekannt waren. Es fragt sich, ob nicht ohne jene Germanisirnngs-
patente die deutsche Sprache sich uicht mit der Zeit ebenso verbreitet hätte wie
der deutsche Geist, der mit der Literatur unsrer klassischen Epoche in das Tschechcu-
tum eindrang, obwohl er wesentlich dazu beitrug, daß dieses sich des Wertes seiner
Sprache und seines ganzen Wesens zu erinnern begann. Gewiß ist nur, daß
durch die Härten der josefinischeu Verordnungen die tschcchisch-nationale Oppo¬
sition verstärkt wurde, die seitdem uicht wieder eingeschlafen ist, sondern im


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[0571] Deutsch-böhmische Briefe. Josef hätte bessere Erfolge gehabt, wenn er sich mit seinen Bestrebungen auf Böhmen beschränkt hätte, wo das slawische Element bei Beginn seiner Regie¬ rung ganz darniederlag, die Sprache desselben eine Bauernsprache war, die Dcutschböhmen es in kompakten Massen umschlossen, und der deutsche Geist durch seine neue Literatur erobernd in die gebildete Klasse der Tschechen einzu¬ dringen und zu herrschen begonnen hatte. Indes wurde durch die Maßregeln Maria Theresias und ihres Sohnes das Deutschtum in Böhmen immerhin er¬ heblich gefördert. 1770 verfügte ein Hvfdekret, daß in Böhmen nur solche Schullehrer angestellt werden sollten, die der deutschen Sprache mächtig wären. 177S wurde in Prag eine deutsche Nvrmcilschule errichtet, uach deren Muster bald im ganzen Lande Haupt- und Trivialschulcn entstanden. Auch da, wo nur tschechisch gesprochen wurde, sollte nach einer Verfügung von 1776 von den Lehrern den Schülern das Deutsche beigebracht werden, zu welchem Zwecke die Regierung 1777 eine Anweisung mit dem Titel „Hilfsmittel, durch deren Gebrauch und Anwendung die Erlernung der deutschen Sprache sowohl in ursprünglich tschechischen Schulen als auch beim Privatunterricht erleichtert und befördert wird," empfahl. Die Universität Prag hatte inzwischen schon 1768 und 1774 in einzelnen Wissenszweigen deutsch vortrage» gehört. Als 1780 gegen den Professor von Ricgger ein Verbot erging, hob Josef es auf, und 1784 befahl er sogar, für alle Vorlesungen statt der bisher üblichen lateinischen Sprache die deutsche anzuwenden. Doch sollte über Pastoraltheologie und Ge¬ burtshilfe in beiden Sprachen gelesen werden. Ferner befahl der Kaiser, nur solche Knaben in die Lateinschulen aufzunehmen, welche des Deutschen mächtig wären, Stiftungen nur solchen zuzuwenden, welche diese Kenntnis nachwiesen, und die Landeskinder zu Handwerken nicht eher aufzunehmen, als bis sie ein Zeugnis der Normalschnle über ihre Bekanntschaft mit dem Deutschen beizu¬ bringen vermöchten. Josef hat sich durch diese Maßregeln den bittern Haß der Tschechen zu¬ gezogen, und in der That ging er damit vielleicht weiter als billig. Indes lassen sich dieselben dem Sprachengesetze von 1616 nicht an die Seite stellen, da dieses die Erlernung eines von wenigen Millionen gesprochenen Idioms er¬ zwingen sollte, während es sich jetzt um eine Welt- und Kultursprache mit einer reichen Literatur handelte, und da die Tschechen, Bauern und Kleinbürger aus¬ genommen, als Josefs Verordnungen ergingen, mehr oder minder schon mit dem Deutschen bekannt waren. Es fragt sich, ob nicht ohne jene Germanisirnngs- patente die deutsche Sprache sich uicht mit der Zeit ebenso verbreitet hätte wie der deutsche Geist, der mit der Literatur unsrer klassischen Epoche in das Tschechcu- tum eindrang, obwohl er wesentlich dazu beitrug, daß dieses sich des Wertes seiner Sprache und seines ganzen Wesens zu erinnern begann. Gewiß ist nur, daß durch die Härten der josefinischeu Verordnungen die tschcchisch-nationale Oppo¬ sition verstärkt wurde, die seitdem uicht wieder eingeschlafen ist, sondern im

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200104/571>, abgerufen am 25.08.2024.