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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr.

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Literatur.

dem einen Oratorium fertig ist, kann man das nächste anfangen. Hübsche, lange
nicht dagewesene Stoffe sind: Niobe, Theseus, Cvdrus, Cyrus, Xerxes, Roxanc, Ro-
mulus und Remus, Belisar, Alboin und Nvsnmuude, Solimnn n. f. w. Auch
Thyrsis und Phhllis könnten zur Abwechslung wieder einmal drankommen. Wie
wäre es, Herr Bruch? Namentlich akademische Gesangvereine sind für solche Par¬
tituren äußerst dankbar.

Wenn man bedenkt, wieviel Zeit es dem Komponisten gekostet hat, nur die
Noten, die bloßen Noten dieser dicken Partitur hinzuschreiben, wieviel Geld eS
gekostet hat, diese Partitur zu stechen, wieviel Mühe es kostet, diese Partitur ein^
zustudiren, wieviel Kräfte -- Orchester- und Chorkräfte -- dazu in Bewegung
gesetzt werden müssen, welche Zumutung es endlich für den Zuhörer ist, drei volle
Stunden laug solche Musik mit anzuhören, und nnn voraussieht, daß in fünf
Jahren, ach, was füge ich -- daß übers Jahr nach diesem "Achilleus" kein Mensch
mehr fragen wird, ist dus nicht recht betrübend? Wie viele junge Leute giebt es
heutzutage, die in ihrem Leben noch nie einen Takt ans der "Schöpfung" oder
deu "Jahreszeiten" Haydns gehört haben! Wie würden sie staunen, wenn sie das
einmal hören könnten, staunen, daß solche Musik auf Erden ist! Und da langweilt
man sie mit diesem "Achilleus," und die Aermsten gehen uach Hause und denken,
sie hätten wunder was gehört!

Zufällig genoß ich einen Abend später, nachdem ich den "Achilleus" genossen
hatte, zum ersten (und letzten) male deu Neßlerschcn "Trumpeter." Ich hatte
eigentlich ein Gelübde gethan, das Blasen dieses Trompeters mir niemals anzuhören,
selbst wenn ich das Billet geschenkt bekäme, weil mir alle derartige Thenterverarbei-
tnngen guter Dichterwerke herzlich zuwider siud. Nun bekam ich es doch geschenkt,
und ich gestehe es offen: die Aussicht auf die Parallele Bruch-Neßler verlockte mich,
mein Gelübde zu brechen. Und wie ich mir's dachte, so war es: auch der "Trompeter"
ist die richtige Kapellmeistermnsik, nur mit dem Unterschiede, daß sie hier ganz an¬
spruchslos auftritt, garnichts weiter sein will, als was sie ist, dort aber sich wichtig
macht und eine vornehme klassische Miene aufsteckt. "Macheuschaft" ist alles.




Literatur.

Kleine Schriften zur Geschichte und Kultur von Ferdina ud Gregorovi us. Erster
Band. Leipzig, F. A. Brockhnus, 1887.

Zu deu wenige" lebenden deutschen Schriftstellern, die nach eigensten inneren
Antrieb ihren besondern Weg gegangen sind und sich dennoch ein großes Pu¬
blikum erobert haben, gehört auch der Verfasser der "Geschichte der Stadt Rom in:
Mittetcüter," Ferdinand Gregvrvvins. Wir haben bei den verschiedensten Anlässen
seiner unermüdlich fortgesetzten Thätigkeit gedacht, und so oft ihrer zu gedenken
war, hatten wir auch Anlaß, uns der seltnen Vereinigung von Gaben und Vor¬
zügen, die in den historischen und schildernden größer" und kleinern Werken des
Schriftstellers zu Tage treten, zu erfreuen. Gregorovius hat in nahezu allen seinen
Arbeiten den Ernst und die Gründlichkeit des Forschers erwiesen, eine unabsehbare
Reihe von wichtigen Thatsachen zur Geschichte Italiens und namentlich Roms sind


Literatur.

dem einen Oratorium fertig ist, kann man das nächste anfangen. Hübsche, lange
nicht dagewesene Stoffe sind: Niobe, Theseus, Cvdrus, Cyrus, Xerxes, Roxanc, Ro-
mulus und Remus, Belisar, Alboin und Nvsnmuude, Solimnn n. f. w. Auch
Thyrsis und Phhllis könnten zur Abwechslung wieder einmal drankommen. Wie
wäre es, Herr Bruch? Namentlich akademische Gesangvereine sind für solche Par¬
tituren äußerst dankbar.

Wenn man bedenkt, wieviel Zeit es dem Komponisten gekostet hat, nur die
Noten, die bloßen Noten dieser dicken Partitur hinzuschreiben, wieviel Geld eS
gekostet hat, diese Partitur zu stechen, wieviel Mühe es kostet, diese Partitur ein^
zustudiren, wieviel Kräfte — Orchester- und Chorkräfte — dazu in Bewegung
gesetzt werden müssen, welche Zumutung es endlich für den Zuhörer ist, drei volle
Stunden laug solche Musik mit anzuhören, und nnn voraussieht, daß in fünf
Jahren, ach, was füge ich — daß übers Jahr nach diesem „Achilleus" kein Mensch
mehr fragen wird, ist dus nicht recht betrübend? Wie viele junge Leute giebt es
heutzutage, die in ihrem Leben noch nie einen Takt ans der „Schöpfung" oder
deu „Jahreszeiten" Haydns gehört haben! Wie würden sie staunen, wenn sie das
einmal hören könnten, staunen, daß solche Musik auf Erden ist! Und da langweilt
man sie mit diesem „Achilleus," und die Aermsten gehen uach Hause und denken,
sie hätten wunder was gehört!

Zufällig genoß ich einen Abend später, nachdem ich den „Achilleus" genossen
hatte, zum ersten (und letzten) male deu Neßlerschcn „Trumpeter." Ich hatte
eigentlich ein Gelübde gethan, das Blasen dieses Trompeters mir niemals anzuhören,
selbst wenn ich das Billet geschenkt bekäme, weil mir alle derartige Thenterverarbei-
tnngen guter Dichterwerke herzlich zuwider siud. Nun bekam ich es doch geschenkt,
und ich gestehe es offen: die Aussicht auf die Parallele Bruch-Neßler verlockte mich,
mein Gelübde zu brechen. Und wie ich mir's dachte, so war es: auch der „Trompeter"
ist die richtige Kapellmeistermnsik, nur mit dem Unterschiede, daß sie hier ganz an¬
spruchslos auftritt, garnichts weiter sein will, als was sie ist, dort aber sich wichtig
macht und eine vornehme klassische Miene aufsteckt. „Macheuschaft" ist alles.




Literatur.

Kleine Schriften zur Geschichte und Kultur von Ferdina ud Gregorovi us. Erster
Band. Leipzig, F. A. Brockhnus, 1887.

Zu deu wenige« lebenden deutschen Schriftstellern, die nach eigensten inneren
Antrieb ihren besondern Weg gegangen sind und sich dennoch ein großes Pu¬
blikum erobert haben, gehört auch der Verfasser der „Geschichte der Stadt Rom in:
Mittetcüter," Ferdinand Gregvrvvins. Wir haben bei den verschiedensten Anlässen
seiner unermüdlich fortgesetzten Thätigkeit gedacht, und so oft ihrer zu gedenken
war, hatten wir auch Anlaß, uns der seltnen Vereinigung von Gaben und Vor¬
zügen, die in den historischen und schildernden größer» und kleinern Werken des
Schriftstellers zu Tage treten, zu erfreuen. Gregorovius hat in nahezu allen seinen
Arbeiten den Ernst und die Gründlichkeit des Forschers erwiesen, eine unabsehbare
Reihe von wichtigen Thatsachen zur Geschichte Italiens und namentlich Roms sind


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[0567] Literatur. dem einen Oratorium fertig ist, kann man das nächste anfangen. Hübsche, lange nicht dagewesene Stoffe sind: Niobe, Theseus, Cvdrus, Cyrus, Xerxes, Roxanc, Ro- mulus und Remus, Belisar, Alboin und Nvsnmuude, Solimnn n. f. w. Auch Thyrsis und Phhllis könnten zur Abwechslung wieder einmal drankommen. Wie wäre es, Herr Bruch? Namentlich akademische Gesangvereine sind für solche Par¬ tituren äußerst dankbar. Wenn man bedenkt, wieviel Zeit es dem Komponisten gekostet hat, nur die Noten, die bloßen Noten dieser dicken Partitur hinzuschreiben, wieviel Geld eS gekostet hat, diese Partitur zu stechen, wieviel Mühe es kostet, diese Partitur ein^ zustudiren, wieviel Kräfte — Orchester- und Chorkräfte — dazu in Bewegung gesetzt werden müssen, welche Zumutung es endlich für den Zuhörer ist, drei volle Stunden laug solche Musik mit anzuhören, und nnn voraussieht, daß in fünf Jahren, ach, was füge ich — daß übers Jahr nach diesem „Achilleus" kein Mensch mehr fragen wird, ist dus nicht recht betrübend? Wie viele junge Leute giebt es heutzutage, die in ihrem Leben noch nie einen Takt ans der „Schöpfung" oder deu „Jahreszeiten" Haydns gehört haben! Wie würden sie staunen, wenn sie das einmal hören könnten, staunen, daß solche Musik auf Erden ist! Und da langweilt man sie mit diesem „Achilleus," und die Aermsten gehen uach Hause und denken, sie hätten wunder was gehört! Zufällig genoß ich einen Abend später, nachdem ich den „Achilleus" genossen hatte, zum ersten (und letzten) male deu Neßlerschcn „Trumpeter." Ich hatte eigentlich ein Gelübde gethan, das Blasen dieses Trompeters mir niemals anzuhören, selbst wenn ich das Billet geschenkt bekäme, weil mir alle derartige Thenterverarbei- tnngen guter Dichterwerke herzlich zuwider siud. Nun bekam ich es doch geschenkt, und ich gestehe es offen: die Aussicht auf die Parallele Bruch-Neßler verlockte mich, mein Gelübde zu brechen. Und wie ich mir's dachte, so war es: auch der „Trompeter" ist die richtige Kapellmeistermnsik, nur mit dem Unterschiede, daß sie hier ganz an¬ spruchslos auftritt, garnichts weiter sein will, als was sie ist, dort aber sich wichtig macht und eine vornehme klassische Miene aufsteckt. „Macheuschaft" ist alles. Literatur. Kleine Schriften zur Geschichte und Kultur von Ferdina ud Gregorovi us. Erster Band. Leipzig, F. A. Brockhnus, 1887. Zu deu wenige« lebenden deutschen Schriftstellern, die nach eigensten inneren Antrieb ihren besondern Weg gegangen sind und sich dennoch ein großes Pu¬ blikum erobert haben, gehört auch der Verfasser der „Geschichte der Stadt Rom in: Mittetcüter," Ferdinand Gregvrvvins. Wir haben bei den verschiedensten Anlässen seiner unermüdlich fortgesetzten Thätigkeit gedacht, und so oft ihrer zu gedenken war, hatten wir auch Anlaß, uns der seltnen Vereinigung von Gaben und Vor¬ zügen, die in den historischen und schildernden größer» und kleinern Werken des Schriftstellers zu Tage treten, zu erfreuen. Gregorovius hat in nahezu allen seinen Arbeiten den Ernst und die Gründlichkeit des Forschers erwiesen, eine unabsehbare Reihe von wichtigen Thatsachen zur Geschichte Italiens und namentlich Roms sind

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200104/567>, abgerufen am 22.12.2024.