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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr.

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Kleinere Mitteilungen.

für Patroklos, Priamvs im Zelte des Achill (23. und 24. Buch). Personen: Achill,
Andromache, Hektor, Odhsscus, Polhxeua, Thetis, Agamemnon, Prinmns. Außerdem
natürlich "Chor" der Griechen, "Chor" der Trojaner und -- noch ein dritter, nicht
näher bestimmter Chor, also der Chor als solcher, sagen wir gleich: der Chvr-
gesaugvereiu, dem hier höchst seltsamer Weise die Aufgabe zugewiesen ist, die
Vorgeschichte und die Nachgeschichte, in einem Prolog und einem Epilog zu er¬
zählen und auch sonst einige verbindende Schilderungen und Erzählungen zu geben.
Der Prolog schließt mit den bekannten zwei Hexametern: "Einst wird kommen der
Tag :c." Der Ausgang des Kampfes ist, noch vor dem Epilog, in einen Pro¬
phetischen Monolog der Androiuache zusammengefaßt. Die "schöne Helena" und
der "gute Menelaus" sind wohlweislich ferngehalten worden, um uicht unliebsame
Erinnerungen zu wecken.

Unleugbar ist Bulthaupt bemüht gewesen, dem Komponisten eine möglichst
"dankbare" Unterlage zu schaffen; irgend welchen dichterischen Wert aber beansprucht
der Text wohl nicht. Nach Hektors Tode stimmen die Troerinueu einen Klnge-
gesaug an auf die Worte:


Erschalle, dn wilder,
Verzweifelter Wehruf!

Bei der Leichenfeier singt der Chor der Griechen den Scheiterhaufen nu:


Schichtet die Scheite!
Rage, du Statt
Der letzten Ehren,
Tnrmgleich rage zum Himmel empor!

Diese Proben werden genügen. Achill singt nach Patroklos' Tode:


Was darf noch blühen
In Lebensreiz,
Wenn das VvlllMmneue stirbt?

Diese Frage hat dem Dichter selbst offenbar so ausgezeichnet gefallen, daß er auch
Andromache später nach Hektors Tode singen läßt:


Was stünde fest, da der Herrliche fiel?

Der ganze Text ist wortreich, sentimental nud so unantik wie möglich, trotz des
"Purpurnen Meeres," der "hellumschienten Achäer," der "scholligen Troja," der
"geschuäbelteu Schiffe," der "mordenden Männerschlacht," des "helmumflatterten
Hektor," der "weithiuschattendeu Lanze" und was dergleichen homerische Fettaugeu
mehr sind, die auf der Bulthauptscheu Brühe schwimmen. Die "höhere Tochter,"
die alles das aus ihrer Russischen Uebersetzung kennt, wird natürlich in Entzücken
geraten über den "echt homerischen Ton"; ich möchte aber wohl wissen, wie sich
ein paar frische, gescheite Oberseknndaner dazu verhielte"!

Und die Musik? Ja, was kann man über diese Musik weiter sagen! Alles
höchst anständig, sehr gut klingend, tadellos instrumentirt, und doch dabei alles --
recht langweilig, alles schon dagewesen, uicht ein einziger neuer Gedanke, weder
melodisch, noch harmonisch, noch rhythmisch, noch instrumental -- mit einem Worte:
die richtige Kapellmeistermusik. Wenn mau in der Pause deu Text sich vorher
eilt bischen angesehen hatte, so wußte man immer schon genau vorher, wie die
nächste Nummer klingen würde. Robert Schumann schreibt in seinen Jugendbriefen
einmal über das andre, daß er zum Zerspringen, zum Zerplatzen voll Musik sei,
daß alles in ihm klinge und singe. Ob es Bruch in seinem Leben wohl much
einmal so zu Mute gewesen ist? Beim "Achilleus" schwerlich. Solche Musik
kauu mau monatelang jeden Tag sei" Pensum abkomvvniren, und wenn man mit


Kleinere Mitteilungen.

für Patroklos, Priamvs im Zelte des Achill (23. und 24. Buch). Personen: Achill,
Andromache, Hektor, Odhsscus, Polhxeua, Thetis, Agamemnon, Prinmns. Außerdem
natürlich „Chor" der Griechen, „Chor" der Trojaner und — noch ein dritter, nicht
näher bestimmter Chor, also der Chor als solcher, sagen wir gleich: der Chvr-
gesaugvereiu, dem hier höchst seltsamer Weise die Aufgabe zugewiesen ist, die
Vorgeschichte und die Nachgeschichte, in einem Prolog und einem Epilog zu er¬
zählen und auch sonst einige verbindende Schilderungen und Erzählungen zu geben.
Der Prolog schließt mit den bekannten zwei Hexametern: „Einst wird kommen der
Tag :c." Der Ausgang des Kampfes ist, noch vor dem Epilog, in einen Pro¬
phetischen Monolog der Androiuache zusammengefaßt. Die „schöne Helena" und
der „gute Menelaus" sind wohlweislich ferngehalten worden, um uicht unliebsame
Erinnerungen zu wecken.

Unleugbar ist Bulthaupt bemüht gewesen, dem Komponisten eine möglichst
„dankbare" Unterlage zu schaffen; irgend welchen dichterischen Wert aber beansprucht
der Text wohl nicht. Nach Hektors Tode stimmen die Troerinueu einen Klnge-
gesaug an auf die Worte:


Erschalle, dn wilder,
Verzweifelter Wehruf!

Bei der Leichenfeier singt der Chor der Griechen den Scheiterhaufen nu:


Schichtet die Scheite!
Rage, du Statt
Der letzten Ehren,
Tnrmgleich rage zum Himmel empor!

Diese Proben werden genügen. Achill singt nach Patroklos' Tode:


Was darf noch blühen
In Lebensreiz,
Wenn das VvlllMmneue stirbt?

Diese Frage hat dem Dichter selbst offenbar so ausgezeichnet gefallen, daß er auch
Andromache später nach Hektors Tode singen läßt:


Was stünde fest, da der Herrliche fiel?

Der ganze Text ist wortreich, sentimental nud so unantik wie möglich, trotz des
„Purpurnen Meeres," der „hellumschienten Achäer," der „scholligen Troja," der
„geschuäbelteu Schiffe," der „mordenden Männerschlacht," des „helmumflatterten
Hektor," der „weithiuschattendeu Lanze" und was dergleichen homerische Fettaugeu
mehr sind, die auf der Bulthauptscheu Brühe schwimmen. Die „höhere Tochter,"
die alles das aus ihrer Russischen Uebersetzung kennt, wird natürlich in Entzücken
geraten über den „echt homerischen Ton"; ich möchte aber wohl wissen, wie sich
ein paar frische, gescheite Oberseknndaner dazu verhielte»!

Und die Musik? Ja, was kann man über diese Musik weiter sagen! Alles
höchst anständig, sehr gut klingend, tadellos instrumentirt, und doch dabei alles —
recht langweilig, alles schon dagewesen, uicht ein einziger neuer Gedanke, weder
melodisch, noch harmonisch, noch rhythmisch, noch instrumental — mit einem Worte:
die richtige Kapellmeistermusik. Wenn mau in der Pause deu Text sich vorher
eilt bischen angesehen hatte, so wußte man immer schon genau vorher, wie die
nächste Nummer klingen würde. Robert Schumann schreibt in seinen Jugendbriefen
einmal über das andre, daß er zum Zerspringen, zum Zerplatzen voll Musik sei,
daß alles in ihm klinge und singe. Ob es Bruch in seinem Leben wohl much
einmal so zu Mute gewesen ist? Beim „Achilleus" schwerlich. Solche Musik
kauu mau monatelang jeden Tag sei« Pensum abkomvvniren, und wenn man mit


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[0566] Kleinere Mitteilungen. für Patroklos, Priamvs im Zelte des Achill (23. und 24. Buch). Personen: Achill, Andromache, Hektor, Odhsscus, Polhxeua, Thetis, Agamemnon, Prinmns. Außerdem natürlich „Chor" der Griechen, „Chor" der Trojaner und — noch ein dritter, nicht näher bestimmter Chor, also der Chor als solcher, sagen wir gleich: der Chvr- gesaugvereiu, dem hier höchst seltsamer Weise die Aufgabe zugewiesen ist, die Vorgeschichte und die Nachgeschichte, in einem Prolog und einem Epilog zu er¬ zählen und auch sonst einige verbindende Schilderungen und Erzählungen zu geben. Der Prolog schließt mit den bekannten zwei Hexametern: „Einst wird kommen der Tag :c." Der Ausgang des Kampfes ist, noch vor dem Epilog, in einen Pro¬ phetischen Monolog der Androiuache zusammengefaßt. Die „schöne Helena" und der „gute Menelaus" sind wohlweislich ferngehalten worden, um uicht unliebsame Erinnerungen zu wecken. Unleugbar ist Bulthaupt bemüht gewesen, dem Komponisten eine möglichst „dankbare" Unterlage zu schaffen; irgend welchen dichterischen Wert aber beansprucht der Text wohl nicht. Nach Hektors Tode stimmen die Troerinueu einen Klnge- gesaug an auf die Worte: Erschalle, dn wilder, Verzweifelter Wehruf! Bei der Leichenfeier singt der Chor der Griechen den Scheiterhaufen nu: Schichtet die Scheite! Rage, du Statt Der letzten Ehren, Tnrmgleich rage zum Himmel empor! Diese Proben werden genügen. Achill singt nach Patroklos' Tode: Was darf noch blühen In Lebensreiz, Wenn das VvlllMmneue stirbt? Diese Frage hat dem Dichter selbst offenbar so ausgezeichnet gefallen, daß er auch Andromache später nach Hektors Tode singen läßt: Was stünde fest, da der Herrliche fiel? Der ganze Text ist wortreich, sentimental nud so unantik wie möglich, trotz des „Purpurnen Meeres," der „hellumschienten Achäer," der „scholligen Troja," der „geschuäbelteu Schiffe," der „mordenden Männerschlacht," des „helmumflatterten Hektor," der „weithiuschattendeu Lanze" und was dergleichen homerische Fettaugeu mehr sind, die auf der Bulthauptscheu Brühe schwimmen. Die „höhere Tochter," die alles das aus ihrer Russischen Uebersetzung kennt, wird natürlich in Entzücken geraten über den „echt homerischen Ton"; ich möchte aber wohl wissen, wie sich ein paar frische, gescheite Oberseknndaner dazu verhielte»! Und die Musik? Ja, was kann man über diese Musik weiter sagen! Alles höchst anständig, sehr gut klingend, tadellos instrumentirt, und doch dabei alles — recht langweilig, alles schon dagewesen, uicht ein einziger neuer Gedanke, weder melodisch, noch harmonisch, noch rhythmisch, noch instrumental — mit einem Worte: die richtige Kapellmeistermusik. Wenn mau in der Pause deu Text sich vorher eilt bischen angesehen hatte, so wußte man immer schon genau vorher, wie die nächste Nummer klingen würde. Robert Schumann schreibt in seinen Jugendbriefen einmal über das andre, daß er zum Zerspringen, zum Zerplatzen voll Musik sei, daß alles in ihm klinge und singe. Ob es Bruch in seinem Leben wohl much einmal so zu Mute gewesen ist? Beim „Achilleus" schwerlich. Solche Musik kauu mau monatelang jeden Tag sei« Pensum abkomvvniren, und wenn man mit

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200104/566>, abgerufen am 23.12.2024.