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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr.

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Kleinere Mitteilungen.

much, und weil viele mit Recht vermuteten, der Knabe müsse, wenn er überhaupt
uoch am Leben sei, bei seinem Umherirren die nahe Grenze Böhmens über¬
schritten haben, so wurde der erwähnte Aufruf auch in der "Prager Zeitung,"
dem damaligen Hauptblattc des Königreichs Böhmen, zum Abdruck gebracht.

Indes vergingen Wochen und Monate, ohne das; von irgend einer Seite
über den Verbleib des Knaben eine Kunde einlief. Er war und blieb spurlos
verschwunden, als habe ihn die Erde eingeschluckt. Seine Eltern und Ver¬
wandten legten tiefe Trauer an und beweinten ihn als einen Verstorbenen.

(Fortsetzung folgt.)




Kleinere Mitteilungen.
Die Zerstörung Venedigs.

Es ist bekannt, mit wie lebhaftem Unwillen
die Umwandlung Roms in eine moderne Stadt nicht nur in Deutschland und über¬
haupt im Auslande, sondern auch in Italien, ja in Rom selbst aufgenommen
worden ist. Freilich liegen gewichtige Gründe vor, welche es verbieten, den alten
Zustand fortbestehen zu lassen. Die stark anwachsende Bevölkerung zwingt dazu,
an die Erweiterung der Häusermassen zu denken, der zunehmende Straßenverkehr
läßt die alten, enge:: Straßen, in denen kein Trottoir den Fußgänger ohne Gefahr
des Uebcrfahreuwerdcus einhergehen läßt, als unerträglich erscheinen, die gesetzliche
Aufhebung der Majorate bedingt eine Aufteilung des Familicnbesitzes und verbietet
die Erhaltung solcher Erholuugs- und Promenadenterraius wie Villa Ludovisi und
Borghese -- kurz, der Not der Zeit truü sich die Gegenwart nicht entziehen, wenn
man much zugestehen wird, daß die Neubauten in einem andern Stile und mit
mehr Geschmack aufgeführt werden könnten, als ihnen die Bauunternehmer in den
neuen Stadtvierteln zu Teil werden lasten, deren moderne Häßlichkeit in so selt¬
samer Weise von den stimmungsvollen Vigneu und Gärten absticht, die Jahr¬
hunderte lang die Schönheit Roms und das Entzücken der Reisenden ausmachten.

Ganz anders liegt die Sache in Venedig. Rom hat seit seinem Wiederaufbau
"ach deu Verwüstungen des ausgehenden Altertums und des frühen Mittelalters
immer Fahrstraßen, wenn auch ungenügende, gehabt -- Venedig dagegen ist zu
einer Zeit angelegt worden, und hat deu Zeitcharakter jener Periode bewahrt, wo
die Städte nicht für das Fahre", sondern nur für das Reiten und Gehen gebaut
wurden. Gab es in dem antiken Rom nur sehr wenige Fahrstraßen, und auch
diese nnr in sehr beschränktem Maße zum Fahren benutzbar, so giebt es dieser
Stndtegrttndung gemäß noch heute zahlreiche alte Ortschaften im Süden, z. B. in
Spanien, vor deren Thoren der Wagen halte" muß, während die Reisenden zu
Fuß durch das Stadtthor hineingehe".

. Das glänzendste und originellste Beispiel dieser Städte ist Venedig. Im
frühe" Mittelalter angelegt, ist es keineswegs auf die Kanäle allein, oder auch


Kleinere Mitteilungen.

much, und weil viele mit Recht vermuteten, der Knabe müsse, wenn er überhaupt
uoch am Leben sei, bei seinem Umherirren die nahe Grenze Böhmens über¬
schritten haben, so wurde der erwähnte Aufruf auch in der „Prager Zeitung,"
dem damaligen Hauptblattc des Königreichs Böhmen, zum Abdruck gebracht.

Indes vergingen Wochen und Monate, ohne das; von irgend einer Seite
über den Verbleib des Knaben eine Kunde einlief. Er war und blieb spurlos
verschwunden, als habe ihn die Erde eingeschluckt. Seine Eltern und Ver¬
wandten legten tiefe Trauer an und beweinten ihn als einen Verstorbenen.

(Fortsetzung folgt.)




Kleinere Mitteilungen.
Die Zerstörung Venedigs.

Es ist bekannt, mit wie lebhaftem Unwillen
die Umwandlung Roms in eine moderne Stadt nicht nur in Deutschland und über¬
haupt im Auslande, sondern auch in Italien, ja in Rom selbst aufgenommen
worden ist. Freilich liegen gewichtige Gründe vor, welche es verbieten, den alten
Zustand fortbestehen zu lassen. Die stark anwachsende Bevölkerung zwingt dazu,
an die Erweiterung der Häusermassen zu denken, der zunehmende Straßenverkehr
läßt die alten, enge:: Straßen, in denen kein Trottoir den Fußgänger ohne Gefahr
des Uebcrfahreuwerdcus einhergehen läßt, als unerträglich erscheinen, die gesetzliche
Aufhebung der Majorate bedingt eine Aufteilung des Familicnbesitzes und verbietet
die Erhaltung solcher Erholuugs- und Promenadenterraius wie Villa Ludovisi und
Borghese — kurz, der Not der Zeit truü sich die Gegenwart nicht entziehen, wenn
man much zugestehen wird, daß die Neubauten in einem andern Stile und mit
mehr Geschmack aufgeführt werden könnten, als ihnen die Bauunternehmer in den
neuen Stadtvierteln zu Teil werden lasten, deren moderne Häßlichkeit in so selt¬
samer Weise von den stimmungsvollen Vigneu und Gärten absticht, die Jahr¬
hunderte lang die Schönheit Roms und das Entzücken der Reisenden ausmachten.

Ganz anders liegt die Sache in Venedig. Rom hat seit seinem Wiederaufbau
»ach deu Verwüstungen des ausgehenden Altertums und des frühen Mittelalters
immer Fahrstraßen, wenn auch ungenügende, gehabt — Venedig dagegen ist zu
einer Zeit angelegt worden, und hat deu Zeitcharakter jener Periode bewahrt, wo
die Städte nicht für das Fahre», sondern nur für das Reiten und Gehen gebaut
wurden. Gab es in dem antiken Rom nur sehr wenige Fahrstraßen, und auch
diese nnr in sehr beschränktem Maße zum Fahren benutzbar, so giebt es dieser
Stndtegrttndung gemäß noch heute zahlreiche alte Ortschaften im Süden, z. B. in
Spanien, vor deren Thoren der Wagen halte» muß, während die Reisenden zu
Fuß durch das Stadtthor hineingehe».

. Das glänzendste und originellste Beispiel dieser Städte ist Venedig. Im
frühe» Mittelalter angelegt, ist es keineswegs auf die Kanäle allein, oder auch


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[0563] Kleinere Mitteilungen. much, und weil viele mit Recht vermuteten, der Knabe müsse, wenn er überhaupt uoch am Leben sei, bei seinem Umherirren die nahe Grenze Böhmens über¬ schritten haben, so wurde der erwähnte Aufruf auch in der „Prager Zeitung," dem damaligen Hauptblattc des Königreichs Böhmen, zum Abdruck gebracht. Indes vergingen Wochen und Monate, ohne das; von irgend einer Seite über den Verbleib des Knaben eine Kunde einlief. Er war und blieb spurlos verschwunden, als habe ihn die Erde eingeschluckt. Seine Eltern und Ver¬ wandten legten tiefe Trauer an und beweinten ihn als einen Verstorbenen. (Fortsetzung folgt.) Kleinere Mitteilungen. Die Zerstörung Venedigs. Es ist bekannt, mit wie lebhaftem Unwillen die Umwandlung Roms in eine moderne Stadt nicht nur in Deutschland und über¬ haupt im Auslande, sondern auch in Italien, ja in Rom selbst aufgenommen worden ist. Freilich liegen gewichtige Gründe vor, welche es verbieten, den alten Zustand fortbestehen zu lassen. Die stark anwachsende Bevölkerung zwingt dazu, an die Erweiterung der Häusermassen zu denken, der zunehmende Straßenverkehr läßt die alten, enge:: Straßen, in denen kein Trottoir den Fußgänger ohne Gefahr des Uebcrfahreuwerdcus einhergehen läßt, als unerträglich erscheinen, die gesetzliche Aufhebung der Majorate bedingt eine Aufteilung des Familicnbesitzes und verbietet die Erhaltung solcher Erholuugs- und Promenadenterraius wie Villa Ludovisi und Borghese — kurz, der Not der Zeit truü sich die Gegenwart nicht entziehen, wenn man much zugestehen wird, daß die Neubauten in einem andern Stile und mit mehr Geschmack aufgeführt werden könnten, als ihnen die Bauunternehmer in den neuen Stadtvierteln zu Teil werden lasten, deren moderne Häßlichkeit in so selt¬ samer Weise von den stimmungsvollen Vigneu und Gärten absticht, die Jahr¬ hunderte lang die Schönheit Roms und das Entzücken der Reisenden ausmachten. Ganz anders liegt die Sache in Venedig. Rom hat seit seinem Wiederaufbau »ach deu Verwüstungen des ausgehenden Altertums und des frühen Mittelalters immer Fahrstraßen, wenn auch ungenügende, gehabt — Venedig dagegen ist zu einer Zeit angelegt worden, und hat deu Zeitcharakter jener Periode bewahrt, wo die Städte nicht für das Fahre», sondern nur für das Reiten und Gehen gebaut wurden. Gab es in dem antiken Rom nur sehr wenige Fahrstraßen, und auch diese nnr in sehr beschränktem Maße zum Fahren benutzbar, so giebt es dieser Stndtegrttndung gemäß noch heute zahlreiche alte Ortschaften im Süden, z. B. in Spanien, vor deren Thoren der Wagen halte» muß, während die Reisenden zu Fuß durch das Stadtthor hineingehe». . Das glänzendste und originellste Beispiel dieser Städte ist Venedig. Im frühe» Mittelalter angelegt, ist es keineswegs auf die Kanäle allein, oder auch

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200104/563>, abgerufen am 22.12.2024.