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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr.

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solcher jugendlichen Leckermäuler brach eines Sonntags Nachmittags zu einer
solchen Expedition auf und erwählte sich als Suchvrt den Schcibeberg, der
einige im Walde versteckte, besonders ergiebige Erdbeerfelder enthielt. Im Eifer
des Beercupflückeus bemerkte die glückliche Kinderschar nicht, daß der Himmel
sich mit drohenden Wetterwolken umzog. Erst das Aufflammen greller Blitze,
das Krachen des Donners und das Brausen des wild über deu Wald hin¬
reisenden Gewittersturmes scheuchte sie auf aus ihrer Sorglosigkeit. Alle flüch¬
teten und suchten in möglichster Schnelligkeit den Saum des Waldes zu er¬
reichen. Da aber bei diesem hastigen Ausbrüche jeder nur an sich selbst dachte,
der sündflutartige Regen und die heulende Windsbraut ein festes Zusammen¬
halten aller wohl auch unmöglich machen mußte, so zerstreuten sich die Kinder
im bnhnlosen Walde schon nach meiligen Minuten und kamen einzeln, manche
sogar ziemlich spät in den zerstreut liegenden Wohnungen ihrer Eltern wieder
an. Ein kleiner Knabe aber, der jüngste Sohn eines wohlhabenden Bauern,
von etwas schwerfälligem Wesen, blieb zum Schrecken seiner Eltern ans. Die
heimgekehrten Kinder wußten über des Knaben Verbleiben keine Auskunft zu
geben; in Sturm und Wetter war er allen aus dem Gesicht gekommen.

Spät am Abend erhielt der Bater von dem Vvrgefallueu Kenntnis, bald
mich erschien die Mutter des Verirrten jammernd und händeringend, und nur
mit Mühe gelang es meinem Vater, die völlig verzweifelte durch sanftes Zu¬
reden einigermaßen zu besänftigen.

Inzwischen traf man Anstalten, deu vermißten Knaben zu suchen. Noch
in der Nacht durchstreiften eine Anzahl Bauern mit ihren Knechten den Scheibe¬
busch, deu Namen des Verlornen laut rufend und alles Gestrüpp geuau durch¬
suchend. Andre zogen mit Feuerleiter" durchs Dorf, um in die vielen Zieh¬
oder Stangeubrunnen hinabzusteigen, da es ja doch immerhin möglich war,
daß der kleine Bursche zufällig in einen solchen Brunnen hinabgestürzt und
dnriu umgekommen war. Ebenso wurden alle näheren und ferneren Teiche
mittels Feuerhaken durchforscht, um wenigstens der Leiche des Verunglückte"
habhaft zu werden. Allein alle Bemühungen blieben erfolglos; der Knabe war
nirgends zu entdecke". Auch auf deu Nachbardörfern, wohin die betrübten
Eltern Sendboten schickten, hatte ihn niemand gesehen.

Hielten nun auch Einzelne an der Hoffnung fest, der Vermißte könne sich
nur verlaufen haben und werde eines Tages seinen Eltern wieder zugeführt
werden, so hatte diese Annahme doch wenig für sich. Weit näher lag die Ver¬
mutung, der Kleine sei noch während des Unwetters, angstvoll durch de" Wald
flüchtend, in irgend eine versteckte Grube gestürzt und darin uns Leben ge¬
kommen.

Wie die Dinge lagen, blieb nichts übrig, als einen Aufruf in deu ge-
lesensten Zeitungen zu crlnsfen und diesem eine genaue Beschreibung der Person,
des Alters und der Kleidung des Vermißten beizufügen. Dies geschah denn


solcher jugendlichen Leckermäuler brach eines Sonntags Nachmittags zu einer
solchen Expedition auf und erwählte sich als Suchvrt den Schcibeberg, der
einige im Walde versteckte, besonders ergiebige Erdbeerfelder enthielt. Im Eifer
des Beercupflückeus bemerkte die glückliche Kinderschar nicht, daß der Himmel
sich mit drohenden Wetterwolken umzog. Erst das Aufflammen greller Blitze,
das Krachen des Donners und das Brausen des wild über deu Wald hin¬
reisenden Gewittersturmes scheuchte sie auf aus ihrer Sorglosigkeit. Alle flüch¬
teten und suchten in möglichster Schnelligkeit den Saum des Waldes zu er¬
reichen. Da aber bei diesem hastigen Ausbrüche jeder nur an sich selbst dachte,
der sündflutartige Regen und die heulende Windsbraut ein festes Zusammen¬
halten aller wohl auch unmöglich machen mußte, so zerstreuten sich die Kinder
im bnhnlosen Walde schon nach meiligen Minuten und kamen einzeln, manche
sogar ziemlich spät in den zerstreut liegenden Wohnungen ihrer Eltern wieder
an. Ein kleiner Knabe aber, der jüngste Sohn eines wohlhabenden Bauern,
von etwas schwerfälligem Wesen, blieb zum Schrecken seiner Eltern ans. Die
heimgekehrten Kinder wußten über des Knaben Verbleiben keine Auskunft zu
geben; in Sturm und Wetter war er allen aus dem Gesicht gekommen.

Spät am Abend erhielt der Bater von dem Vvrgefallueu Kenntnis, bald
mich erschien die Mutter des Verirrten jammernd und händeringend, und nur
mit Mühe gelang es meinem Vater, die völlig verzweifelte durch sanftes Zu¬
reden einigermaßen zu besänftigen.

Inzwischen traf man Anstalten, deu vermißten Knaben zu suchen. Noch
in der Nacht durchstreiften eine Anzahl Bauern mit ihren Knechten den Scheibe¬
busch, deu Namen des Verlornen laut rufend und alles Gestrüpp geuau durch¬
suchend. Andre zogen mit Feuerleiter« durchs Dorf, um in die vielen Zieh¬
oder Stangeubrunnen hinabzusteigen, da es ja doch immerhin möglich war,
daß der kleine Bursche zufällig in einen solchen Brunnen hinabgestürzt und
dnriu umgekommen war. Ebenso wurden alle näheren und ferneren Teiche
mittels Feuerhaken durchforscht, um wenigstens der Leiche des Verunglückte»
habhaft zu werden. Allein alle Bemühungen blieben erfolglos; der Knabe war
nirgends zu entdecke». Auch auf deu Nachbardörfern, wohin die betrübten
Eltern Sendboten schickten, hatte ihn niemand gesehen.

Hielten nun auch Einzelne an der Hoffnung fest, der Vermißte könne sich
nur verlaufen haben und werde eines Tages seinen Eltern wieder zugeführt
werden, so hatte diese Annahme doch wenig für sich. Weit näher lag die Ver¬
mutung, der Kleine sei noch während des Unwetters, angstvoll durch de» Wald
flüchtend, in irgend eine versteckte Grube gestürzt und darin uns Leben ge¬
kommen.

Wie die Dinge lagen, blieb nichts übrig, als einen Aufruf in deu ge-
lesensten Zeitungen zu crlnsfen und diesem eine genaue Beschreibung der Person,
des Alters und der Kleidung des Vermißten beizufügen. Dies geschah denn


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[0562] solcher jugendlichen Leckermäuler brach eines Sonntags Nachmittags zu einer solchen Expedition auf und erwählte sich als Suchvrt den Schcibeberg, der einige im Walde versteckte, besonders ergiebige Erdbeerfelder enthielt. Im Eifer des Beercupflückeus bemerkte die glückliche Kinderschar nicht, daß der Himmel sich mit drohenden Wetterwolken umzog. Erst das Aufflammen greller Blitze, das Krachen des Donners und das Brausen des wild über deu Wald hin¬ reisenden Gewittersturmes scheuchte sie auf aus ihrer Sorglosigkeit. Alle flüch¬ teten und suchten in möglichster Schnelligkeit den Saum des Waldes zu er¬ reichen. Da aber bei diesem hastigen Ausbrüche jeder nur an sich selbst dachte, der sündflutartige Regen und die heulende Windsbraut ein festes Zusammen¬ halten aller wohl auch unmöglich machen mußte, so zerstreuten sich die Kinder im bnhnlosen Walde schon nach meiligen Minuten und kamen einzeln, manche sogar ziemlich spät in den zerstreut liegenden Wohnungen ihrer Eltern wieder an. Ein kleiner Knabe aber, der jüngste Sohn eines wohlhabenden Bauern, von etwas schwerfälligem Wesen, blieb zum Schrecken seiner Eltern ans. Die heimgekehrten Kinder wußten über des Knaben Verbleiben keine Auskunft zu geben; in Sturm und Wetter war er allen aus dem Gesicht gekommen. Spät am Abend erhielt der Bater von dem Vvrgefallueu Kenntnis, bald mich erschien die Mutter des Verirrten jammernd und händeringend, und nur mit Mühe gelang es meinem Vater, die völlig verzweifelte durch sanftes Zu¬ reden einigermaßen zu besänftigen. Inzwischen traf man Anstalten, deu vermißten Knaben zu suchen. Noch in der Nacht durchstreiften eine Anzahl Bauern mit ihren Knechten den Scheibe¬ busch, deu Namen des Verlornen laut rufend und alles Gestrüpp geuau durch¬ suchend. Andre zogen mit Feuerleiter« durchs Dorf, um in die vielen Zieh¬ oder Stangeubrunnen hinabzusteigen, da es ja doch immerhin möglich war, daß der kleine Bursche zufällig in einen solchen Brunnen hinabgestürzt und dnriu umgekommen war. Ebenso wurden alle näheren und ferneren Teiche mittels Feuerhaken durchforscht, um wenigstens der Leiche des Verunglückte» habhaft zu werden. Allein alle Bemühungen blieben erfolglos; der Knabe war nirgends zu entdecke». Auch auf deu Nachbardörfern, wohin die betrübten Eltern Sendboten schickten, hatte ihn niemand gesehen. Hielten nun auch Einzelne an der Hoffnung fest, der Vermißte könne sich nur verlaufen haben und werde eines Tages seinen Eltern wieder zugeführt werden, so hatte diese Annahme doch wenig für sich. Weit näher lag die Ver¬ mutung, der Kleine sei noch während des Unwetters, angstvoll durch de» Wald flüchtend, in irgend eine versteckte Grube gestürzt und darin uns Leben ge¬ kommen. Wie die Dinge lagen, blieb nichts übrig, als einen Aufruf in deu ge- lesensten Zeitungen zu crlnsfen und diesem eine genaue Beschreibung der Person, des Alters und der Kleidung des Vermißten beizufügen. Dies geschah denn

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200104/562>, abgerufen am 23.07.2024.