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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr.

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Klinke versehene Thür, die ans Altersschwäche gern von selbst aufsprang, in
das einzige Zinnner des Erdgeschosses, wo wir Kinder uns mit der Mutter
stets aufhielten und wohin auch die Dienstboten nach beendigter Arbeit sich
flüchtete", da es keinen andern Aufenthalt für sie gab. Dieser Wohnraum war
sehr groß, von bedeutender Höhe und in keiner Weise gemütlich. Ein kolossaler,
uralter Kachelofen, der von außen geheizt wurde, und zwar Sommer und
Winter, weil in seinem gewaltigen Bauche das für das liebe Vieh nötige Wasser
in der sogenannten "Pfanne" Tag für Tag heiß gemacht werden mußte, ragte
ein gutes Stück in das Zimmer herein. Aber dieses Ofenmigetüm erwärmte
trotz der in ihm nie erlöschenden Flamme das unheimlich große, feuchte und
mit äußerst mangelhaft schließenden Fenstern versehene Gemach im Winter nur
höchst notdürftig. Weil das Zimmer selbst mindestens vier Fuß tief in frucht¬
barer Erde lag, und von dem etwas geneigten Kirchhofe uns fortwährend Feuch¬
tigkeit zusickcrte, so entwickelte sich in unserm Familien-, Besuchs- und Arbeits¬
zimmer eine Nässe, von der man sich kaum eine Vorstellung machen kann.

Die weißgekalkten Wände prangten in einem unbeschreiblichen Blauschwarz
und schwitzten nach innen die in dem porösen Gestein des uralten Hauses sich
immer von neuem ansammelnde Nässe dergestalt ans, daß Millionen Tropfen
sich daran bildeten und von Zeit zu Zeit als rieselnde Bächlein dem Gesetz der
Schwere folgten. Besonders ergiebig zeigten sich unsre Stubenwände als Be¬
wahrer verborgener Quellen bei gewitterschwangerer Luft. Dann gaben sie
Tropfen von doppelter Größe von sich, und wir Kinder pflegten mit gekrümmter
Hand diese Tropfen schnell abzustreifen und uns gegenseitig damit zu be¬
spritzen. War diese sich nie ganz verlierende Feuchtigkeit an sich schon recht un¬
angenehm, ja oft widerwärtig, so wurde sie im Winter allen Bewohnern des
Hauses geradezu zur Qual. Bei starker Kälte -- und in meiner Jugend ver¬
ging selten ein Winter, der uns nicht bei überreichen Schneefalle regelmäßig
einige Wochen lang 15 bis 22 Grad Reaumur gebracht hätte -- verdichtete
sich die Nässe zu den wundervollsten Eis- und Schneegeweben, die zwar einen
sehr interessanten Anblick gewährten, das Gefühl aber keineswegs ergötzten. Wir
mußten oft ganz erbärmlich frieren, obwohl der unsinnig gebaute Kachelofen
das Holz klafterweise verschlang. Blaue Hände und aufgesprungene Haut ge¬
hörten deshalb mit zu unsern winterlichen Freuden, die wir dadurch noch zu
erhöhen suchten, daß wir die schönen Schnecguirlanden mit Messern von den
Wänden abkratzten und zierliche Stiegen in die Gletscher meißelten, die sich ans
den Fensterbänken bildeten.

Selbstverständlich mußte unter dieser entsetzlichen Feuchtigkeit alles Holz-
werk empfindlichen Schaden leiden. Der Hausschwamm setzte sich überall fest
und zerfraß nach und nach die Dielen in dem unwohnlichen Gemache, sodaß sie
an verschiedenen Stellen einbrachen und die unter ihnen befindliche schöne schwarze
Gartenerde zum Vorschein kam. Ani diese nicht ganz unbenutzt zu lassen und


Klinke versehene Thür, die ans Altersschwäche gern von selbst aufsprang, in
das einzige Zinnner des Erdgeschosses, wo wir Kinder uns mit der Mutter
stets aufhielten und wohin auch die Dienstboten nach beendigter Arbeit sich
flüchtete», da es keinen andern Aufenthalt für sie gab. Dieser Wohnraum war
sehr groß, von bedeutender Höhe und in keiner Weise gemütlich. Ein kolossaler,
uralter Kachelofen, der von außen geheizt wurde, und zwar Sommer und
Winter, weil in seinem gewaltigen Bauche das für das liebe Vieh nötige Wasser
in der sogenannten „Pfanne" Tag für Tag heiß gemacht werden mußte, ragte
ein gutes Stück in das Zimmer herein. Aber dieses Ofenmigetüm erwärmte
trotz der in ihm nie erlöschenden Flamme das unheimlich große, feuchte und
mit äußerst mangelhaft schließenden Fenstern versehene Gemach im Winter nur
höchst notdürftig. Weil das Zimmer selbst mindestens vier Fuß tief in frucht¬
barer Erde lag, und von dem etwas geneigten Kirchhofe uns fortwährend Feuch¬
tigkeit zusickcrte, so entwickelte sich in unserm Familien-, Besuchs- und Arbeits¬
zimmer eine Nässe, von der man sich kaum eine Vorstellung machen kann.

Die weißgekalkten Wände prangten in einem unbeschreiblichen Blauschwarz
und schwitzten nach innen die in dem porösen Gestein des uralten Hauses sich
immer von neuem ansammelnde Nässe dergestalt ans, daß Millionen Tropfen
sich daran bildeten und von Zeit zu Zeit als rieselnde Bächlein dem Gesetz der
Schwere folgten. Besonders ergiebig zeigten sich unsre Stubenwände als Be¬
wahrer verborgener Quellen bei gewitterschwangerer Luft. Dann gaben sie
Tropfen von doppelter Größe von sich, und wir Kinder pflegten mit gekrümmter
Hand diese Tropfen schnell abzustreifen und uns gegenseitig damit zu be¬
spritzen. War diese sich nie ganz verlierende Feuchtigkeit an sich schon recht un¬
angenehm, ja oft widerwärtig, so wurde sie im Winter allen Bewohnern des
Hauses geradezu zur Qual. Bei starker Kälte — und in meiner Jugend ver¬
ging selten ein Winter, der uns nicht bei überreichen Schneefalle regelmäßig
einige Wochen lang 15 bis 22 Grad Reaumur gebracht hätte — verdichtete
sich die Nässe zu den wundervollsten Eis- und Schneegeweben, die zwar einen
sehr interessanten Anblick gewährten, das Gefühl aber keineswegs ergötzten. Wir
mußten oft ganz erbärmlich frieren, obwohl der unsinnig gebaute Kachelofen
das Holz klafterweise verschlang. Blaue Hände und aufgesprungene Haut ge¬
hörten deshalb mit zu unsern winterlichen Freuden, die wir dadurch noch zu
erhöhen suchten, daß wir die schönen Schnecguirlanden mit Messern von den
Wänden abkratzten und zierliche Stiegen in die Gletscher meißelten, die sich ans
den Fensterbänken bildeten.

Selbstverständlich mußte unter dieser entsetzlichen Feuchtigkeit alles Holz-
werk empfindlichen Schaden leiden. Der Hausschwamm setzte sich überall fest
und zerfraß nach und nach die Dielen in dem unwohnlichen Gemache, sodaß sie
an verschiedenen Stellen einbrachen und die unter ihnen befindliche schöne schwarze
Gartenerde zum Vorschein kam. Ani diese nicht ganz unbenutzt zu lassen und


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[0558] Klinke versehene Thür, die ans Altersschwäche gern von selbst aufsprang, in das einzige Zinnner des Erdgeschosses, wo wir Kinder uns mit der Mutter stets aufhielten und wohin auch die Dienstboten nach beendigter Arbeit sich flüchtete», da es keinen andern Aufenthalt für sie gab. Dieser Wohnraum war sehr groß, von bedeutender Höhe und in keiner Weise gemütlich. Ein kolossaler, uralter Kachelofen, der von außen geheizt wurde, und zwar Sommer und Winter, weil in seinem gewaltigen Bauche das für das liebe Vieh nötige Wasser in der sogenannten „Pfanne" Tag für Tag heiß gemacht werden mußte, ragte ein gutes Stück in das Zimmer herein. Aber dieses Ofenmigetüm erwärmte trotz der in ihm nie erlöschenden Flamme das unheimlich große, feuchte und mit äußerst mangelhaft schließenden Fenstern versehene Gemach im Winter nur höchst notdürftig. Weil das Zimmer selbst mindestens vier Fuß tief in frucht¬ barer Erde lag, und von dem etwas geneigten Kirchhofe uns fortwährend Feuch¬ tigkeit zusickcrte, so entwickelte sich in unserm Familien-, Besuchs- und Arbeits¬ zimmer eine Nässe, von der man sich kaum eine Vorstellung machen kann. Die weißgekalkten Wände prangten in einem unbeschreiblichen Blauschwarz und schwitzten nach innen die in dem porösen Gestein des uralten Hauses sich immer von neuem ansammelnde Nässe dergestalt ans, daß Millionen Tropfen sich daran bildeten und von Zeit zu Zeit als rieselnde Bächlein dem Gesetz der Schwere folgten. Besonders ergiebig zeigten sich unsre Stubenwände als Be¬ wahrer verborgener Quellen bei gewitterschwangerer Luft. Dann gaben sie Tropfen von doppelter Größe von sich, und wir Kinder pflegten mit gekrümmter Hand diese Tropfen schnell abzustreifen und uns gegenseitig damit zu be¬ spritzen. War diese sich nie ganz verlierende Feuchtigkeit an sich schon recht un¬ angenehm, ja oft widerwärtig, so wurde sie im Winter allen Bewohnern des Hauses geradezu zur Qual. Bei starker Kälte — und in meiner Jugend ver¬ ging selten ein Winter, der uns nicht bei überreichen Schneefalle regelmäßig einige Wochen lang 15 bis 22 Grad Reaumur gebracht hätte — verdichtete sich die Nässe zu den wundervollsten Eis- und Schneegeweben, die zwar einen sehr interessanten Anblick gewährten, das Gefühl aber keineswegs ergötzten. Wir mußten oft ganz erbärmlich frieren, obwohl der unsinnig gebaute Kachelofen das Holz klafterweise verschlang. Blaue Hände und aufgesprungene Haut ge¬ hörten deshalb mit zu unsern winterlichen Freuden, die wir dadurch noch zu erhöhen suchten, daß wir die schönen Schnecguirlanden mit Messern von den Wänden abkratzten und zierliche Stiegen in die Gletscher meißelten, die sich ans den Fensterbänken bildeten. Selbstverständlich mußte unter dieser entsetzlichen Feuchtigkeit alles Holz- werk empfindlichen Schaden leiden. Der Hausschwamm setzte sich überall fest und zerfraß nach und nach die Dielen in dem unwohnlichen Gemache, sodaß sie an verschiedenen Stellen einbrachen und die unter ihnen befindliche schöne schwarze Gartenerde zum Vorschein kam. Ani diese nicht ganz unbenutzt zu lassen und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200104/558>, abgerufen am 25.08.2024.