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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr.

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Dichterfreundinnen.

Daß Karoline die letzten Zweifel Schillers verscheuchte und seine Bewerbung
um Lottens Hand beschleunigte, war etwas Großes, Denn es ist ohne Zweifel,
daß sie den jungen Dichter ebenso innig liebte wie ihre Schwester. Wohl
urteilte Charlotte in späterer Zeit, nach einem Briefe zu schließen, den sie im
Juli 1811 an die Erbgroßherzogin Karoline Luise von Mecklenburg-Schwerin
schrieb, nicht immer günstig von den Herzensangelegenheiten ihrer Schwester.
Sie sagt da: "Karoline liebt so oft und doch nie recht; denn wahre Liebe ist
ewig, wie das Wesen, aus dem sie entspringt. Und eben, weil sie nicht liebte,
sucht immer das Herz noch einmal die Sehnsucht zu stillen." Und gewiß, für
jene spätere Zeit gilt dieses Urteil durchaus. Aber soweit Karoline der wahren
Liebe fähig war -- und jedes Menschenherz ist dieser Weihe fähig --, soweit
gehörte ihr Herz dem großen Dichter, und zwar lebenslang. Man darf ohne
Zögern behaupten, daß ihr Verhältnis zu dem angetrauten Gatten durch ihr
Versenken in den Genius Schillers zersprengt wurde, und daß die endliche
äußere Lösung dieses Verhältnisses nur eine Folge ihres geistigen Aufgehens
in Schiller war. Es läßt sich Schritt für Schritt verfolgen, wie ihre Ehe
sich in dem Grade lockerte, als sich Schiller ihr näherte. Anfangs ist sie mit
dem ritterlichen, feinen und edelmütigen Beulwitz ganz zufrieden, dann zieht
dieser sich rücksichtsvoll in den Hintergrund zurück, ohne daß das eheliche Ein¬
verständnis darunter leidet, zuletzt wird er mürrisch, und sie kann ihn nicht
mehr ausstehen. Sie hat sich später wieder verheiratet, sie hat noch manche
andre Seelenfreundschaft groß gezogen, aber ihr innerstes Wesen blieb gebunden
durch das Ausschauen zu dem Dichter. Immer war sie die Vertraute seiner
Arbeiten, obgleich sie nur zeitweise in seiner Nähe war. Als der Herzog Karl
Angust hört, daß Schiller ein Theaterstück "Die Pucelle d'Orleans" geschrieben
habe, und in Sorge war, daß es eine lächerliche Nachbildung des Voltaireschen
Stückes sein möchte, wendet er sich in seiner Herzensangst an Karoline und
bittet um Aufklärung; durch sie auch läßt er dem Dichter Vorschläge wegen der
Aufführung macheu, nachdem er über den Inhalt des Dramas beruhigt ist.
Sie war es auch, die Schiller in feinen letzten Tagen mit treuer Pflege zur
Seite stand, und der Schwerkranke duldete nur sie neben seiner Gattin nur sich.
Im Gespräche mit ihr über tragische Stoffe und über die Art, die höheren
Kräfte des Menschen zu erregen, faud er noch in den letzten Stunden Er¬
quickung. Als sie, um ihn nicht aufzuregen, nicht mit der gewöhnlichen Leb¬
haftigkeit antwortete, sank er traurig in sich zusammen. In wunderbarer Rein¬
heit und Frische bewahrte Karoline das Andenken ihres großen Freundes, es
begleitete sie durch ihre Irrungen, ihre Wanderungen und ihre Schicksale wie
ein leuchtendes Gestirn, und in der tiefen Einsamkeit und Verlassenheit ihres
Alters war es ihr Trost.

Als sie in Lauchstädt die Hand ihrer Schwester in die Schillers legte,
that sie wirklich etwas Großes. Sie stand damals auf der Höhe ihres Lebens,


Dichterfreundinnen.

Daß Karoline die letzten Zweifel Schillers verscheuchte und seine Bewerbung
um Lottens Hand beschleunigte, war etwas Großes, Denn es ist ohne Zweifel,
daß sie den jungen Dichter ebenso innig liebte wie ihre Schwester. Wohl
urteilte Charlotte in späterer Zeit, nach einem Briefe zu schließen, den sie im
Juli 1811 an die Erbgroßherzogin Karoline Luise von Mecklenburg-Schwerin
schrieb, nicht immer günstig von den Herzensangelegenheiten ihrer Schwester.
Sie sagt da: „Karoline liebt so oft und doch nie recht; denn wahre Liebe ist
ewig, wie das Wesen, aus dem sie entspringt. Und eben, weil sie nicht liebte,
sucht immer das Herz noch einmal die Sehnsucht zu stillen." Und gewiß, für
jene spätere Zeit gilt dieses Urteil durchaus. Aber soweit Karoline der wahren
Liebe fähig war — und jedes Menschenherz ist dieser Weihe fähig —, soweit
gehörte ihr Herz dem großen Dichter, und zwar lebenslang. Man darf ohne
Zögern behaupten, daß ihr Verhältnis zu dem angetrauten Gatten durch ihr
Versenken in den Genius Schillers zersprengt wurde, und daß die endliche
äußere Lösung dieses Verhältnisses nur eine Folge ihres geistigen Aufgehens
in Schiller war. Es läßt sich Schritt für Schritt verfolgen, wie ihre Ehe
sich in dem Grade lockerte, als sich Schiller ihr näherte. Anfangs ist sie mit
dem ritterlichen, feinen und edelmütigen Beulwitz ganz zufrieden, dann zieht
dieser sich rücksichtsvoll in den Hintergrund zurück, ohne daß das eheliche Ein¬
verständnis darunter leidet, zuletzt wird er mürrisch, und sie kann ihn nicht
mehr ausstehen. Sie hat sich später wieder verheiratet, sie hat noch manche
andre Seelenfreundschaft groß gezogen, aber ihr innerstes Wesen blieb gebunden
durch das Ausschauen zu dem Dichter. Immer war sie die Vertraute seiner
Arbeiten, obgleich sie nur zeitweise in seiner Nähe war. Als der Herzog Karl
Angust hört, daß Schiller ein Theaterstück „Die Pucelle d'Orleans" geschrieben
habe, und in Sorge war, daß es eine lächerliche Nachbildung des Voltaireschen
Stückes sein möchte, wendet er sich in seiner Herzensangst an Karoline und
bittet um Aufklärung; durch sie auch läßt er dem Dichter Vorschläge wegen der
Aufführung macheu, nachdem er über den Inhalt des Dramas beruhigt ist.
Sie war es auch, die Schiller in feinen letzten Tagen mit treuer Pflege zur
Seite stand, und der Schwerkranke duldete nur sie neben seiner Gattin nur sich.
Im Gespräche mit ihr über tragische Stoffe und über die Art, die höheren
Kräfte des Menschen zu erregen, faud er noch in den letzten Stunden Er¬
quickung. Als sie, um ihn nicht aufzuregen, nicht mit der gewöhnlichen Leb¬
haftigkeit antwortete, sank er traurig in sich zusammen. In wunderbarer Rein¬
heit und Frische bewahrte Karoline das Andenken ihres großen Freundes, es
begleitete sie durch ihre Irrungen, ihre Wanderungen und ihre Schicksale wie
ein leuchtendes Gestirn, und in der tiefen Einsamkeit und Verlassenheit ihres
Alters war es ihr Trost.

Als sie in Lauchstädt die Hand ihrer Schwester in die Schillers legte,
that sie wirklich etwas Großes. Sie stand damals auf der Höhe ihres Lebens,


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[0551] Dichterfreundinnen. Daß Karoline die letzten Zweifel Schillers verscheuchte und seine Bewerbung um Lottens Hand beschleunigte, war etwas Großes, Denn es ist ohne Zweifel, daß sie den jungen Dichter ebenso innig liebte wie ihre Schwester. Wohl urteilte Charlotte in späterer Zeit, nach einem Briefe zu schließen, den sie im Juli 1811 an die Erbgroßherzogin Karoline Luise von Mecklenburg-Schwerin schrieb, nicht immer günstig von den Herzensangelegenheiten ihrer Schwester. Sie sagt da: „Karoline liebt so oft und doch nie recht; denn wahre Liebe ist ewig, wie das Wesen, aus dem sie entspringt. Und eben, weil sie nicht liebte, sucht immer das Herz noch einmal die Sehnsucht zu stillen." Und gewiß, für jene spätere Zeit gilt dieses Urteil durchaus. Aber soweit Karoline der wahren Liebe fähig war — und jedes Menschenherz ist dieser Weihe fähig —, soweit gehörte ihr Herz dem großen Dichter, und zwar lebenslang. Man darf ohne Zögern behaupten, daß ihr Verhältnis zu dem angetrauten Gatten durch ihr Versenken in den Genius Schillers zersprengt wurde, und daß die endliche äußere Lösung dieses Verhältnisses nur eine Folge ihres geistigen Aufgehens in Schiller war. Es läßt sich Schritt für Schritt verfolgen, wie ihre Ehe sich in dem Grade lockerte, als sich Schiller ihr näherte. Anfangs ist sie mit dem ritterlichen, feinen und edelmütigen Beulwitz ganz zufrieden, dann zieht dieser sich rücksichtsvoll in den Hintergrund zurück, ohne daß das eheliche Ein¬ verständnis darunter leidet, zuletzt wird er mürrisch, und sie kann ihn nicht mehr ausstehen. Sie hat sich später wieder verheiratet, sie hat noch manche andre Seelenfreundschaft groß gezogen, aber ihr innerstes Wesen blieb gebunden durch das Ausschauen zu dem Dichter. Immer war sie die Vertraute seiner Arbeiten, obgleich sie nur zeitweise in seiner Nähe war. Als der Herzog Karl Angust hört, daß Schiller ein Theaterstück „Die Pucelle d'Orleans" geschrieben habe, und in Sorge war, daß es eine lächerliche Nachbildung des Voltaireschen Stückes sein möchte, wendet er sich in seiner Herzensangst an Karoline und bittet um Aufklärung; durch sie auch läßt er dem Dichter Vorschläge wegen der Aufführung macheu, nachdem er über den Inhalt des Dramas beruhigt ist. Sie war es auch, die Schiller in feinen letzten Tagen mit treuer Pflege zur Seite stand, und der Schwerkranke duldete nur sie neben seiner Gattin nur sich. Im Gespräche mit ihr über tragische Stoffe und über die Art, die höheren Kräfte des Menschen zu erregen, faud er noch in den letzten Stunden Er¬ quickung. Als sie, um ihn nicht aufzuregen, nicht mit der gewöhnlichen Leb¬ haftigkeit antwortete, sank er traurig in sich zusammen. In wunderbarer Rein¬ heit und Frische bewahrte Karoline das Andenken ihres großen Freundes, es begleitete sie durch ihre Irrungen, ihre Wanderungen und ihre Schicksale wie ein leuchtendes Gestirn, und in der tiefen Einsamkeit und Verlassenheit ihres Alters war es ihr Trost. Als sie in Lauchstädt die Hand ihrer Schwester in die Schillers legte, that sie wirklich etwas Großes. Sie stand damals auf der Höhe ihres Lebens,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200104/551>, abgerufen am 23.12.2024.