Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr.Dichterfrenndinnen, Schiller selbst redet auch fortwährend von dem Seelcnbunde: "Sie gehören zu Die Gefühle, die sich in diesem traulichen persönlichen Verkehre entwickelten, Dichterfrenndinnen, Schiller selbst redet auch fortwährend von dem Seelcnbunde: „Sie gehören zu Die Gefühle, die sich in diesem traulichen persönlichen Verkehre entwickelten, <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0549" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/200654"/> <fw type="header" place="top"> Dichterfrenndinnen,</fw><lb/> <p xml:id="ID_1720" prev="#ID_1719"> Schiller selbst redet auch fortwährend von dem Seelcnbunde: „Sie gehören zu<lb/> meiner Seele" — „Empfangen Sie meine ganze Seele" — „Das erste, innige<lb/> Zusammentreffen unsrer Seelen wird mir immer sehr wert bleiben." Der An¬<lb/> teil, den die Schwestern an der Unterhaltung nahmen, war ein verschiedener.<lb/> Karoline sprach gern und viel, Charlotte hörte lieber schweigend zu. Schiller<lb/> interessirte sich für beide in gleicher Weise, doch regte ihn die Lebhaftigkeit<lb/> Karolinens mehr an.</p><lb/> <p xml:id="ID_1721" next="#ID_1722"> Die Gefühle, die sich in diesem traulichen persönlichen Verkehre entwickelten,<lb/> brachen nach der Trennung bald wie ein reißender Strom hervor. „Die lieb¬<lb/> liche Luft — schreibt Schiller im Januar 1789 — und der geöffnete Boden haben<lb/> mir die Szenen des vorigen Sommers wieder lebhaft ins Gedächtnis gebracht,<lb/> der gewöhnliche Weg von Volkstädt um die schöne Ecke herum, bei der Brücke,<lb/> die Berge jenseit der Saale vom Abendrot so schön beleuchtet, Rudolstadt vor<lb/> mir, und von weitem der grüne Pavillon, den mein Perspektiv just noch er¬<lb/> reichte — alles stand wieder so lebendig vor mir. Ich glaubte mich auf dem<lb/> Wege z» Ihnen, und in der That war ich's auch; denn seitdem ich von Rudol¬<lb/> stadt zurück bin, ist der Weg nach Belvedere mein Lieblingsspaziergang. Aber<lb/> ich habe Sie nicht gefunden — das war der große Unterschied." Er hatte<lb/> beim Abschiede von Rudolstadt mit den Schwestern ausgemacht, daß er im<lb/> nächsten Sommer wiederkommen wollte, aber seine Anstellung als Professor<lb/> der Geschichte in Jena machte die Ausführung des Planes unmöglich. Mitte<lb/> März reiste er uach Jena, um sich eine Wohnung zu mieten, und von hier aus<lb/> machte er sofort einen Besuch in Rudolstadt. Einen Monat später schrieb er:<lb/> „Warum trennte uns das Schicksal? Ich bin gewiß, wie ich es von wenigen<lb/> Dingen bin, daß wir einander das Leben recht schön und heiter machen könnten,<lb/> daß nichts von alledem, was die gesellige Freude so oft stört, die unsrige<lb/> stören würde. Wenn ich mir denke, wie schön sich jeder Tag für mich be¬<lb/> schließen würde, wenn ich nach Endigung meines Tagewerkes mich immer zu<lb/> Ihnen flüchten und in Ihrem Kreise den bessern Teil meines eignen Wesens<lb/> ausschließen und genießen könnte!" Am 11. Mai siedelte er nach Jena über.<lb/> Im Juni besuchte er die Freundinnen auf ein paar Tage in Rudolstadt, bald<lb/> darauf kamen sie auf einen Tag nach Jena. Das Verhältnis wurde immer<lb/> inniger, denn auch die Schwestern wetteiferten mit einander, dem nach ihrem<lb/> Umgange schmachtenden Dichter entgegenzukommen. Ja in ihren Briefe» zeigt<lb/> sich eine fast noch größere Wärme der Empfindung als in denen Schillers.<lb/> Bald nachdem Schiller aus der Nudolstüdter Sommerfrische nach Weimar<lb/> zurückgekehrt war, schreibt Lotte: „Es ist doch sonderbar und oft unbegreiflich,<lb/> wie sich Menschen finden. Wir kennen uns erst ein Jahr, und mir ist's, als<lb/> wären wir immer Freunde gewesen. Ihr Geist war mir zwar nie fremd, denn<lb/> immer fühlte ich mich zu ihm gezogen, wenn ich von Ihnen las, aber nun ist<lb/> es doch anders, denn jetzt wird es mir fast unmöglich, mir meine Freuden ohne</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0549]
Dichterfrenndinnen,
Schiller selbst redet auch fortwährend von dem Seelcnbunde: „Sie gehören zu
meiner Seele" — „Empfangen Sie meine ganze Seele" — „Das erste, innige
Zusammentreffen unsrer Seelen wird mir immer sehr wert bleiben." Der An¬
teil, den die Schwestern an der Unterhaltung nahmen, war ein verschiedener.
Karoline sprach gern und viel, Charlotte hörte lieber schweigend zu. Schiller
interessirte sich für beide in gleicher Weise, doch regte ihn die Lebhaftigkeit
Karolinens mehr an.
Die Gefühle, die sich in diesem traulichen persönlichen Verkehre entwickelten,
brachen nach der Trennung bald wie ein reißender Strom hervor. „Die lieb¬
liche Luft — schreibt Schiller im Januar 1789 — und der geöffnete Boden haben
mir die Szenen des vorigen Sommers wieder lebhaft ins Gedächtnis gebracht,
der gewöhnliche Weg von Volkstädt um die schöne Ecke herum, bei der Brücke,
die Berge jenseit der Saale vom Abendrot so schön beleuchtet, Rudolstadt vor
mir, und von weitem der grüne Pavillon, den mein Perspektiv just noch er¬
reichte — alles stand wieder so lebendig vor mir. Ich glaubte mich auf dem
Wege z» Ihnen, und in der That war ich's auch; denn seitdem ich von Rudol¬
stadt zurück bin, ist der Weg nach Belvedere mein Lieblingsspaziergang. Aber
ich habe Sie nicht gefunden — das war der große Unterschied." Er hatte
beim Abschiede von Rudolstadt mit den Schwestern ausgemacht, daß er im
nächsten Sommer wiederkommen wollte, aber seine Anstellung als Professor
der Geschichte in Jena machte die Ausführung des Planes unmöglich. Mitte
März reiste er uach Jena, um sich eine Wohnung zu mieten, und von hier aus
machte er sofort einen Besuch in Rudolstadt. Einen Monat später schrieb er:
„Warum trennte uns das Schicksal? Ich bin gewiß, wie ich es von wenigen
Dingen bin, daß wir einander das Leben recht schön und heiter machen könnten,
daß nichts von alledem, was die gesellige Freude so oft stört, die unsrige
stören würde. Wenn ich mir denke, wie schön sich jeder Tag für mich be¬
schließen würde, wenn ich nach Endigung meines Tagewerkes mich immer zu
Ihnen flüchten und in Ihrem Kreise den bessern Teil meines eignen Wesens
ausschließen und genießen könnte!" Am 11. Mai siedelte er nach Jena über.
Im Juni besuchte er die Freundinnen auf ein paar Tage in Rudolstadt, bald
darauf kamen sie auf einen Tag nach Jena. Das Verhältnis wurde immer
inniger, denn auch die Schwestern wetteiferten mit einander, dem nach ihrem
Umgange schmachtenden Dichter entgegenzukommen. Ja in ihren Briefe» zeigt
sich eine fast noch größere Wärme der Empfindung als in denen Schillers.
Bald nachdem Schiller aus der Nudolstüdter Sommerfrische nach Weimar
zurückgekehrt war, schreibt Lotte: „Es ist doch sonderbar und oft unbegreiflich,
wie sich Menschen finden. Wir kennen uns erst ein Jahr, und mir ist's, als
wären wir immer Freunde gewesen. Ihr Geist war mir zwar nie fremd, denn
immer fühlte ich mich zu ihm gezogen, wenn ich von Ihnen las, aber nun ist
es doch anders, denn jetzt wird es mir fast unmöglich, mir meine Freuden ohne
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