Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr.Dichterfreundinnen. auch die Umrisse ihres äußern Lebens groß und weit. Mannichfaltige inter¬ Charlotte hat ganz recht, Karoline von Dachröden macht in dem Schiller¬ Dichterfreundinnen. auch die Umrisse ihres äußern Lebens groß und weit. Mannichfaltige inter¬ Charlotte hat ganz recht, Karoline von Dachröden macht in dem Schiller¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0544" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/200649"/> <fw type="header" place="top"> Dichterfreundinnen.</fw><lb/> <p xml:id="ID_1705" prev="#ID_1704"> auch die Umrisse ihres äußern Lebens groß und weit. Mannichfaltige inter¬<lb/> essante Bekanntschaften, öfterer Ortswechsel erweiterten ihren geistigen Gesichtskreis,<lb/> aber immer blieb sie die treue Gattin, die liebende Mutter. Besonders in ihren<lb/> Briefen ans Rom zeigt sich die Selbständigkeit und Gediegenheit ihres Wesens<lb/> deutlich, und dies ist umsomehr anzuerkennen, als ihr der vielbeschäftigte Ge¬<lb/> mahl in der Wahl des Umganges und des Aufenthaltes volle Freiheit ließ.<lb/> Aber als Mädchen, Braut und junge Frau, in Erfurt und so lange sie in dem<lb/> hochidealcn Kreise von Weimar und Jena lebte, erscheint sie weniger liebens¬<lb/> würdig. Auch sie schwärmte für Seelenfreundschaften. „Mein Herz ist unbändig<lb/> in seinen Wünschen — schreibt sie 1789 an Charlotte (Schillers Braut) — und<lb/> unersättlich in dem Genuß der Liebe und Freundschaft. Mit jenem könnte es<lb/> die Ewigkeit ausfüllen und diesem möchte es ihre Dauer geben. Es hat mir<lb/> viele Mühe gekostet, ehe ich es gelehrt habe, sich in den Gang des gemeinen<lb/> Lebens zu fügen, das gewöhnlich so wenig giebt." In diesem Jahre bewarben<lb/> sich zwei junge geiht- und gemütvolle Männer um ihre Hand, eben Wilhelm<lb/> von Humboldt, der, nachdem er seine Studien in Göttingen vollendet und eine<lb/> Reise in die Schweiz gemacht hatte, nach Weimar kam, und Karl von La Noche,<lb/> der Sohn der berühmten Sophie La Roche. Im Dezember durfte Humboldt<lb/> mit ihr von einer Verbindung für das Leben sprechen, aber La Roche blieb<lb/> als ihr und ihres Verlobten getreuer Freund in ihrer Nähe, verlebte noch einige<lb/> Wochen überschwenglicher Frenndschaftsfeste mit dein Paare im Schillerschen Kreise<lb/> und reiste erst in der zweiten Woche des Januar von Weimar s ab. Charlotte<lb/> von Lengcfeld, damals schon Schillers Braut, war nicht immer ganz einver¬<lb/> standen mit Humboldt und seiner Braut. „Daß Humboldt und La Noche fort<lb/> sind — schreibt sie von Rudolstadt aus an Schiller (6. Januar 1790) —, ist mir<lb/> eigentlich recht. In der Länge thut es mit Karl nicht gut, und er leidet mehr,<lb/> als er sich gestehen will. Ich habe einiges an Wilhelm bemerkt, was mir zu¬<lb/> weilen weh gethan hat und mir aufgefallen ist. Er hat zuweilen einen Mangel<lb/> an Feinheit im Betragen und im Ausdruck, den ich nicht liebe, selbst gegen Lina<lb/> (Karoline) zuweilen, und ich wünsche, daß sie es nie so fühlen mag, es würde<lb/> ihr weh thun." Und später (1801), indem sie sich tadelnd über einen Roman<lb/> von Fr. Schlegels späterer Gattin (Dorothea Veit) ausspricht: „Man sieht das<lb/> ungebundene Gemüt der Verfasserin, darin sie sich aus Freigeisterei über das<lb/> Sittliche hinwegsetzt, wie ihre Freunde, die frühern und spätern, denn Bill<lb/> (Wilhelm von Humboldt) und Li (Karoline von Dachröden) haben auch auf<lb/> gewisse Art das Schickliche oft mit Füßen getreten und zum wenigsten in ihren<lb/> Raisonnements es gewollt."</p><lb/> <p xml:id="ID_1706" next="#ID_1707"> Charlotte hat ganz recht, Karoline von Dachröden macht in dem Schiller¬<lb/> schen Kreise einen weniger feinen Eindruck. Ihre scharfe Zunge und ihre<lb/> freieren Ansichten haben einen leisen Anstrich jvon Frivolität, der auch durch<lb/> ihre Treue in der Freundschaft, ihre Tngcndschwürmerei und ihre geistvollen</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0544]
Dichterfreundinnen.
auch die Umrisse ihres äußern Lebens groß und weit. Mannichfaltige inter¬
essante Bekanntschaften, öfterer Ortswechsel erweiterten ihren geistigen Gesichtskreis,
aber immer blieb sie die treue Gattin, die liebende Mutter. Besonders in ihren
Briefen ans Rom zeigt sich die Selbständigkeit und Gediegenheit ihres Wesens
deutlich, und dies ist umsomehr anzuerkennen, als ihr der vielbeschäftigte Ge¬
mahl in der Wahl des Umganges und des Aufenthaltes volle Freiheit ließ.
Aber als Mädchen, Braut und junge Frau, in Erfurt und so lange sie in dem
hochidealcn Kreise von Weimar und Jena lebte, erscheint sie weniger liebens¬
würdig. Auch sie schwärmte für Seelenfreundschaften. „Mein Herz ist unbändig
in seinen Wünschen — schreibt sie 1789 an Charlotte (Schillers Braut) — und
unersättlich in dem Genuß der Liebe und Freundschaft. Mit jenem könnte es
die Ewigkeit ausfüllen und diesem möchte es ihre Dauer geben. Es hat mir
viele Mühe gekostet, ehe ich es gelehrt habe, sich in den Gang des gemeinen
Lebens zu fügen, das gewöhnlich so wenig giebt." In diesem Jahre bewarben
sich zwei junge geiht- und gemütvolle Männer um ihre Hand, eben Wilhelm
von Humboldt, der, nachdem er seine Studien in Göttingen vollendet und eine
Reise in die Schweiz gemacht hatte, nach Weimar kam, und Karl von La Noche,
der Sohn der berühmten Sophie La Roche. Im Dezember durfte Humboldt
mit ihr von einer Verbindung für das Leben sprechen, aber La Roche blieb
als ihr und ihres Verlobten getreuer Freund in ihrer Nähe, verlebte noch einige
Wochen überschwenglicher Frenndschaftsfeste mit dein Paare im Schillerschen Kreise
und reiste erst in der zweiten Woche des Januar von Weimar s ab. Charlotte
von Lengcfeld, damals schon Schillers Braut, war nicht immer ganz einver¬
standen mit Humboldt und seiner Braut. „Daß Humboldt und La Noche fort
sind — schreibt sie von Rudolstadt aus an Schiller (6. Januar 1790) —, ist mir
eigentlich recht. In der Länge thut es mit Karl nicht gut, und er leidet mehr,
als er sich gestehen will. Ich habe einiges an Wilhelm bemerkt, was mir zu¬
weilen weh gethan hat und mir aufgefallen ist. Er hat zuweilen einen Mangel
an Feinheit im Betragen und im Ausdruck, den ich nicht liebe, selbst gegen Lina
(Karoline) zuweilen, und ich wünsche, daß sie es nie so fühlen mag, es würde
ihr weh thun." Und später (1801), indem sie sich tadelnd über einen Roman
von Fr. Schlegels späterer Gattin (Dorothea Veit) ausspricht: „Man sieht das
ungebundene Gemüt der Verfasserin, darin sie sich aus Freigeisterei über das
Sittliche hinwegsetzt, wie ihre Freunde, die frühern und spätern, denn Bill
(Wilhelm von Humboldt) und Li (Karoline von Dachröden) haben auch auf
gewisse Art das Schickliche oft mit Füßen getreten und zum wenigsten in ihren
Raisonnements es gewollt."
Charlotte hat ganz recht, Karoline von Dachröden macht in dem Schiller¬
schen Kreise einen weniger feinen Eindruck. Ihre scharfe Zunge und ihre
freieren Ansichten haben einen leisen Anstrich jvon Frivolität, der auch durch
ihre Treue in der Freundschaft, ihre Tngcndschwürmerei und ihre geistvollen
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |