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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr.

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Dichterfrenndinnen.

wollen wir uns verbinden und einander immer mehr werden in dieser Welt,
wo man so oft getäuscht wird. O, mein Teurer, wenn uns die Vorsehung
zusammen hätte leben lassen, wie glücklich würde nus das Einverständnis unsrer
Seelen gemacht haben, da jetzt die Trennung als ein trübes Wölkchen darüber
schwebt! Doch es ist so, also ist es gut, das wird mein Trost bleiben, mit dem
Hinblick auf die ewige Liebe, die alles ordnete. Seelen, die sich lieben, ist alles
gemein, ich freue mich und habe einen innigen Genuß an allem Guten und
Schönen, was in Ihnen ist, so wie ich mich des geringen Maßes von Gutem
freue, was ich in mir selbst finde. So unglaublich es Ihnen auch dünkt, so
werden Sie doch sicher einmal fühlen, daß Sie noch von mir inniger lieben
lernen können. Gänzliches Vertrauen und Aufschließen der Seele zum wenigste",
dazu kann Ihnen dieser Brief ein Beispiel sein. Adieu, mein Lieber! Wären
Sie meiner herzlichsten Liebe nicht gewiß -- o so wären Sie ein Ungläubiger,
den man seinem Schicksale überlassen müßte."

Wenn heute eine junge Frau an einen Vetter, dem sie überdies nur in
dem Grade von "Sie" zu "Sie" nahe steht, so schreiben wollte! Trotz aller
ihrer Versicherungen von edelmütiger Offenheit, Reinheit des Herzens und
Streben nach Tugend würde man sie der Koketterie, ja vielleicht des Leichtsinns
beschuldigen. In der That scheint auch ihr junger Gatte bei aller Nachsicht
seines geraden, ehrlichen Wesens von der Wärme ihrer Seelenfreundschaft nicht
immer erbaut gewesen zu sein. Er war übler Laune, während Wolzogen in
Rudolstadt zu Besuch war, seine Gefühle waren von den ihrigen im Punkte
der Seelcnfreundschaften verschieden. Ist es doch, als zeigten sich schon in
diesen Briefen die ersten Spuren der Verstimmung, welche zuletzt zur Auflösung
der Ehe führten!

Nach einem abermaligen, kurzen Besuche Wolzogens in Rudolstadt be¬
grüßen sich die befreundeten Seelen in ihren Briefen mit dem traulichen "Du."
"Lieber," schreibt sie im Februar 1788, "dein fester Glaube an die Unwandel-
barkeit meiner Freundschaft thut meinem Herzen wohl, weil es fühlt, daß es
ihn verdient. Sonderbar war unser Finden und das Entstehen und Wachsen
unsrer Freundschaft -- sie soll uns durch das Leben leiten, gewiß, denn auch
ich glaube, daß ich dir immer wert bleiben werde. Ach, Vergessen ist ein
dumpfes, leeres Wort! Wir beide können's nicht, ich gewiß nicht. Fremde
Geschäfte, neue Gegenstände und Bekanntschaften können vielleicht mein Bild
in deinem Herzen verschleiern, verlöschen nicht, die süße Hoffnung nährt meine
Seele."

Die Selbsttäuschung, welche mit diesen Seclenfrenndschaften notwendig ver¬
knüpft war, zeigt sich unter anderm anch darin, daß unsre Briefschreiberin un¬
willkürlich und unabsichtlich ihrem Verehrer zu erkennen giebt, wie er doch allein
ihre wahre Liebe besitze. Sie spricht von alten Freunden (nicht Freundinnen),
die einst ihr Vertrauen besessen, jetzt aber aus irgend einem Grunde dasselbe


Dichterfrenndinnen.

wollen wir uns verbinden und einander immer mehr werden in dieser Welt,
wo man so oft getäuscht wird. O, mein Teurer, wenn uns die Vorsehung
zusammen hätte leben lassen, wie glücklich würde nus das Einverständnis unsrer
Seelen gemacht haben, da jetzt die Trennung als ein trübes Wölkchen darüber
schwebt! Doch es ist so, also ist es gut, das wird mein Trost bleiben, mit dem
Hinblick auf die ewige Liebe, die alles ordnete. Seelen, die sich lieben, ist alles
gemein, ich freue mich und habe einen innigen Genuß an allem Guten und
Schönen, was in Ihnen ist, so wie ich mich des geringen Maßes von Gutem
freue, was ich in mir selbst finde. So unglaublich es Ihnen auch dünkt, so
werden Sie doch sicher einmal fühlen, daß Sie noch von mir inniger lieben
lernen können. Gänzliches Vertrauen und Aufschließen der Seele zum wenigste»,
dazu kann Ihnen dieser Brief ein Beispiel sein. Adieu, mein Lieber! Wären
Sie meiner herzlichsten Liebe nicht gewiß — o so wären Sie ein Ungläubiger,
den man seinem Schicksale überlassen müßte."

Wenn heute eine junge Frau an einen Vetter, dem sie überdies nur in
dem Grade von „Sie" zu „Sie" nahe steht, so schreiben wollte! Trotz aller
ihrer Versicherungen von edelmütiger Offenheit, Reinheit des Herzens und
Streben nach Tugend würde man sie der Koketterie, ja vielleicht des Leichtsinns
beschuldigen. In der That scheint auch ihr junger Gatte bei aller Nachsicht
seines geraden, ehrlichen Wesens von der Wärme ihrer Seelenfreundschaft nicht
immer erbaut gewesen zu sein. Er war übler Laune, während Wolzogen in
Rudolstadt zu Besuch war, seine Gefühle waren von den ihrigen im Punkte
der Seelcnfreundschaften verschieden. Ist es doch, als zeigten sich schon in
diesen Briefen die ersten Spuren der Verstimmung, welche zuletzt zur Auflösung
der Ehe führten!

Nach einem abermaligen, kurzen Besuche Wolzogens in Rudolstadt be¬
grüßen sich die befreundeten Seelen in ihren Briefen mit dem traulichen „Du."
„Lieber," schreibt sie im Februar 1788, „dein fester Glaube an die Unwandel-
barkeit meiner Freundschaft thut meinem Herzen wohl, weil es fühlt, daß es
ihn verdient. Sonderbar war unser Finden und das Entstehen und Wachsen
unsrer Freundschaft — sie soll uns durch das Leben leiten, gewiß, denn auch
ich glaube, daß ich dir immer wert bleiben werde. Ach, Vergessen ist ein
dumpfes, leeres Wort! Wir beide können's nicht, ich gewiß nicht. Fremde
Geschäfte, neue Gegenstände und Bekanntschaften können vielleicht mein Bild
in deinem Herzen verschleiern, verlöschen nicht, die süße Hoffnung nährt meine
Seele."

Die Selbsttäuschung, welche mit diesen Seclenfrenndschaften notwendig ver¬
knüpft war, zeigt sich unter anderm anch darin, daß unsre Briefschreiberin un¬
willkürlich und unabsichtlich ihrem Verehrer zu erkennen giebt, wie er doch allein
ihre wahre Liebe besitze. Sie spricht von alten Freunden (nicht Freundinnen),
die einst ihr Vertrauen besessen, jetzt aber aus irgend einem Grunde dasselbe


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[0542] Dichterfrenndinnen. wollen wir uns verbinden und einander immer mehr werden in dieser Welt, wo man so oft getäuscht wird. O, mein Teurer, wenn uns die Vorsehung zusammen hätte leben lassen, wie glücklich würde nus das Einverständnis unsrer Seelen gemacht haben, da jetzt die Trennung als ein trübes Wölkchen darüber schwebt! Doch es ist so, also ist es gut, das wird mein Trost bleiben, mit dem Hinblick auf die ewige Liebe, die alles ordnete. Seelen, die sich lieben, ist alles gemein, ich freue mich und habe einen innigen Genuß an allem Guten und Schönen, was in Ihnen ist, so wie ich mich des geringen Maßes von Gutem freue, was ich in mir selbst finde. So unglaublich es Ihnen auch dünkt, so werden Sie doch sicher einmal fühlen, daß Sie noch von mir inniger lieben lernen können. Gänzliches Vertrauen und Aufschließen der Seele zum wenigste», dazu kann Ihnen dieser Brief ein Beispiel sein. Adieu, mein Lieber! Wären Sie meiner herzlichsten Liebe nicht gewiß — o so wären Sie ein Ungläubiger, den man seinem Schicksale überlassen müßte." Wenn heute eine junge Frau an einen Vetter, dem sie überdies nur in dem Grade von „Sie" zu „Sie" nahe steht, so schreiben wollte! Trotz aller ihrer Versicherungen von edelmütiger Offenheit, Reinheit des Herzens und Streben nach Tugend würde man sie der Koketterie, ja vielleicht des Leichtsinns beschuldigen. In der That scheint auch ihr junger Gatte bei aller Nachsicht seines geraden, ehrlichen Wesens von der Wärme ihrer Seelenfreundschaft nicht immer erbaut gewesen zu sein. Er war übler Laune, während Wolzogen in Rudolstadt zu Besuch war, seine Gefühle waren von den ihrigen im Punkte der Seelcnfreundschaften verschieden. Ist es doch, als zeigten sich schon in diesen Briefen die ersten Spuren der Verstimmung, welche zuletzt zur Auflösung der Ehe führten! Nach einem abermaligen, kurzen Besuche Wolzogens in Rudolstadt be¬ grüßen sich die befreundeten Seelen in ihren Briefen mit dem traulichen „Du." „Lieber," schreibt sie im Februar 1788, „dein fester Glaube an die Unwandel- barkeit meiner Freundschaft thut meinem Herzen wohl, weil es fühlt, daß es ihn verdient. Sonderbar war unser Finden und das Entstehen und Wachsen unsrer Freundschaft — sie soll uns durch das Leben leiten, gewiß, denn auch ich glaube, daß ich dir immer wert bleiben werde. Ach, Vergessen ist ein dumpfes, leeres Wort! Wir beide können's nicht, ich gewiß nicht. Fremde Geschäfte, neue Gegenstände und Bekanntschaften können vielleicht mein Bild in deinem Herzen verschleiern, verlöschen nicht, die süße Hoffnung nährt meine Seele." Die Selbsttäuschung, welche mit diesen Seclenfrenndschaften notwendig ver¬ knüpft war, zeigt sich unter anderm anch darin, daß unsre Briefschreiberin un¬ willkürlich und unabsichtlich ihrem Verehrer zu erkennen giebt, wie er doch allein ihre wahre Liebe besitze. Sie spricht von alten Freunden (nicht Freundinnen), die einst ihr Vertrauen besessen, jetzt aber aus irgend einem Grunde dasselbe

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200104/542>, abgerufen am 23.12.2024.