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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr.

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Dichterfreundinnen.

den sie später in immer weiter", zuletzt bis Paris und Wien reichenden Kreisen
umwanderte, zu dem sie aber nicht wieder zurückkehrte. Denn ihrem unruhigen,
dem Neuen und Weiten zugewandten Geiste sagte das einförmige, still in sich
geschlossene Leben an einem kleinen Fttrstenhofe nicht zu, und an die ruhigen,
gemessenen fürstlichen Frauen knüpfte sie nie das Band eines innigeren Verhält¬
nisses. Auch am Weimarer Hofe blieb sie lauge eine Fremde, erst im hohen
Alter suchte sie dort notgedrungen eine Stütze.

Karoline von Lengcfcld war dreizehn Jahre alt, als ihr Vater starb; ihre
Schwester Charlotte stand im neunten Jahre. Die Mutter erzog die Kinder
mit derselben Sorgfalt weiter, die der Vater thuen hatte angedeihen lassen-
Als sie älter wurden, machte sie Pläne zu ihrer Versorgung. Für Karoline
fand sich frühzeitig ein Bewerber, ein junger Herr von Beulwitz, der sich durch
Rechtlichkeit, Kenntnisse und die Aussicht, am Hofe sein Glück zu machen, hin¬
reichend empfahl. Schon in ihrem sechzehnten Jahre war Karoline in der
Stille mit ihm verlobt, doch ward die Hochzeit erst sür eine spätere Zeit in
Aussicht genommen. Die jüngere Tochter sollte zur Hofdame erzogen werden.
Namentlich um ihretwillen, der das Französische zu ihrem künftigen Berufe
nötig war, beschloß die Mutter, sich mit den Kindern eine Zeit lang in der
französischen Schweiz aufzuhalten. Im Frühling des Jahres 1783 führte sie
die Reise aus. Der junge Veulwitz begleitete die Damen und machte dann einen
Abstecher nach Lyon. Der Gegensatz der freien, weiten Welt zu dem von steifer
Förmlichkeit und kleinlichen Interessen umschränkten Hofe*) that den jungen
Gemütern außerordentlich wohl. Schon auf der Reise uach Vevey wurden alle
Merkwürdigkeiten besichtigt und interessante Bekanntschaften gesucht. In Lud¬
wigsburg verweilten die Reisenden einige Tage. Der Asperg wurde bestiegen,
beim Kommandanten der Festung konnte der gefangene Schubart begrüßt werden,
er entzückte die Damen durch sein Klcwicrspiel; in Gesellschaft der Frau von
Wolzogen, die mit der Familie Lengefeld verwandt war, wurde den Eltern
Schillers auf der solitude ein Besuch abgestattet, die Söhne der Frau von
Wolzogen, besonders Wilhelm, ließen es sich angelegen sein, die Damen in der
Karlsakademie in Stuttgart herumzuführen. Diese ahnten nicht, daß sie fünf
Jahre später mit Schiller selbst in die engste Verbindung treten würden. Schon
auf der Rückreise im folgenden Jahre, 1784, machten sie in Mannheim flüchtig
die Bekanntschaft des Dichters der "Räuber" und wunderten sich, daß er "ein
so sanftes Äußere haben könnte." Auf der Hinreise, in Stuttgart, machten
die jungen Damen zunächst eine andre Eroberung. Wilhelm von Wolzogen,
zur Zeit noch Zögling der Akademie, widmete den "Cousinen" sogleich alle zärt¬
lichen Empfindungen und alle Verehrung seines jungen Herzens. Waren sie



*) Unter Friedrich. Der Erbprinz Ludwig Friedrich, der in Übereinstimmung mit seiner
Gemahlin Karoline und seinen Geschwister" dem Hofe ein geistigeres Gepräge gab, kam, wie
oben bemerkt, erst 1793 zur Regierung.
Dichterfreundinnen.

den sie später in immer weiter», zuletzt bis Paris und Wien reichenden Kreisen
umwanderte, zu dem sie aber nicht wieder zurückkehrte. Denn ihrem unruhigen,
dem Neuen und Weiten zugewandten Geiste sagte das einförmige, still in sich
geschlossene Leben an einem kleinen Fttrstenhofe nicht zu, und an die ruhigen,
gemessenen fürstlichen Frauen knüpfte sie nie das Band eines innigeren Verhält¬
nisses. Auch am Weimarer Hofe blieb sie lauge eine Fremde, erst im hohen
Alter suchte sie dort notgedrungen eine Stütze.

Karoline von Lengcfcld war dreizehn Jahre alt, als ihr Vater starb; ihre
Schwester Charlotte stand im neunten Jahre. Die Mutter erzog die Kinder
mit derselben Sorgfalt weiter, die der Vater thuen hatte angedeihen lassen-
Als sie älter wurden, machte sie Pläne zu ihrer Versorgung. Für Karoline
fand sich frühzeitig ein Bewerber, ein junger Herr von Beulwitz, der sich durch
Rechtlichkeit, Kenntnisse und die Aussicht, am Hofe sein Glück zu machen, hin¬
reichend empfahl. Schon in ihrem sechzehnten Jahre war Karoline in der
Stille mit ihm verlobt, doch ward die Hochzeit erst sür eine spätere Zeit in
Aussicht genommen. Die jüngere Tochter sollte zur Hofdame erzogen werden.
Namentlich um ihretwillen, der das Französische zu ihrem künftigen Berufe
nötig war, beschloß die Mutter, sich mit den Kindern eine Zeit lang in der
französischen Schweiz aufzuhalten. Im Frühling des Jahres 1783 führte sie
die Reise aus. Der junge Veulwitz begleitete die Damen und machte dann einen
Abstecher nach Lyon. Der Gegensatz der freien, weiten Welt zu dem von steifer
Förmlichkeit und kleinlichen Interessen umschränkten Hofe*) that den jungen
Gemütern außerordentlich wohl. Schon auf der Reise uach Vevey wurden alle
Merkwürdigkeiten besichtigt und interessante Bekanntschaften gesucht. In Lud¬
wigsburg verweilten die Reisenden einige Tage. Der Asperg wurde bestiegen,
beim Kommandanten der Festung konnte der gefangene Schubart begrüßt werden,
er entzückte die Damen durch sein Klcwicrspiel; in Gesellschaft der Frau von
Wolzogen, die mit der Familie Lengefeld verwandt war, wurde den Eltern
Schillers auf der solitude ein Besuch abgestattet, die Söhne der Frau von
Wolzogen, besonders Wilhelm, ließen es sich angelegen sein, die Damen in der
Karlsakademie in Stuttgart herumzuführen. Diese ahnten nicht, daß sie fünf
Jahre später mit Schiller selbst in die engste Verbindung treten würden. Schon
auf der Rückreise im folgenden Jahre, 1784, machten sie in Mannheim flüchtig
die Bekanntschaft des Dichters der „Räuber" und wunderten sich, daß er „ein
so sanftes Äußere haben könnte." Auf der Hinreise, in Stuttgart, machten
die jungen Damen zunächst eine andre Eroberung. Wilhelm von Wolzogen,
zur Zeit noch Zögling der Akademie, widmete den „Cousinen" sogleich alle zärt¬
lichen Empfindungen und alle Verehrung seines jungen Herzens. Waren sie



*) Unter Friedrich. Der Erbprinz Ludwig Friedrich, der in Übereinstimmung mit seiner
Gemahlin Karoline und seinen Geschwister» dem Hofe ein geistigeres Gepräge gab, kam, wie
oben bemerkt, erst 1793 zur Regierung.
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[0539] Dichterfreundinnen. den sie später in immer weiter», zuletzt bis Paris und Wien reichenden Kreisen umwanderte, zu dem sie aber nicht wieder zurückkehrte. Denn ihrem unruhigen, dem Neuen und Weiten zugewandten Geiste sagte das einförmige, still in sich geschlossene Leben an einem kleinen Fttrstenhofe nicht zu, und an die ruhigen, gemessenen fürstlichen Frauen knüpfte sie nie das Band eines innigeren Verhält¬ nisses. Auch am Weimarer Hofe blieb sie lauge eine Fremde, erst im hohen Alter suchte sie dort notgedrungen eine Stütze. Karoline von Lengcfcld war dreizehn Jahre alt, als ihr Vater starb; ihre Schwester Charlotte stand im neunten Jahre. Die Mutter erzog die Kinder mit derselben Sorgfalt weiter, die der Vater thuen hatte angedeihen lassen- Als sie älter wurden, machte sie Pläne zu ihrer Versorgung. Für Karoline fand sich frühzeitig ein Bewerber, ein junger Herr von Beulwitz, der sich durch Rechtlichkeit, Kenntnisse und die Aussicht, am Hofe sein Glück zu machen, hin¬ reichend empfahl. Schon in ihrem sechzehnten Jahre war Karoline in der Stille mit ihm verlobt, doch ward die Hochzeit erst sür eine spätere Zeit in Aussicht genommen. Die jüngere Tochter sollte zur Hofdame erzogen werden. Namentlich um ihretwillen, der das Französische zu ihrem künftigen Berufe nötig war, beschloß die Mutter, sich mit den Kindern eine Zeit lang in der französischen Schweiz aufzuhalten. Im Frühling des Jahres 1783 führte sie die Reise aus. Der junge Veulwitz begleitete die Damen und machte dann einen Abstecher nach Lyon. Der Gegensatz der freien, weiten Welt zu dem von steifer Förmlichkeit und kleinlichen Interessen umschränkten Hofe*) that den jungen Gemütern außerordentlich wohl. Schon auf der Reise uach Vevey wurden alle Merkwürdigkeiten besichtigt und interessante Bekanntschaften gesucht. In Lud¬ wigsburg verweilten die Reisenden einige Tage. Der Asperg wurde bestiegen, beim Kommandanten der Festung konnte der gefangene Schubart begrüßt werden, er entzückte die Damen durch sein Klcwicrspiel; in Gesellschaft der Frau von Wolzogen, die mit der Familie Lengefeld verwandt war, wurde den Eltern Schillers auf der solitude ein Besuch abgestattet, die Söhne der Frau von Wolzogen, besonders Wilhelm, ließen es sich angelegen sein, die Damen in der Karlsakademie in Stuttgart herumzuführen. Diese ahnten nicht, daß sie fünf Jahre später mit Schiller selbst in die engste Verbindung treten würden. Schon auf der Rückreise im folgenden Jahre, 1784, machten sie in Mannheim flüchtig die Bekanntschaft des Dichters der „Räuber" und wunderten sich, daß er „ein so sanftes Äußere haben könnte." Auf der Hinreise, in Stuttgart, machten die jungen Damen zunächst eine andre Eroberung. Wilhelm von Wolzogen, zur Zeit noch Zögling der Akademie, widmete den „Cousinen" sogleich alle zärt¬ lichen Empfindungen und alle Verehrung seines jungen Herzens. Waren sie *) Unter Friedrich. Der Erbprinz Ludwig Friedrich, der in Übereinstimmung mit seiner Gemahlin Karoline und seinen Geschwister» dem Hofe ein geistigeres Gepräge gab, kam, wie oben bemerkt, erst 1793 zur Regierung.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200104/539>, abgerufen am 23.07.2024.