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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr.

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Lin elsässischos Oeuvre 6e recon5ort.

wechselt nämlich dabei den bekannten von Erasmus gepriesenen Humanistenkreis
mit -- dem erwähnten Gymnasium und schreibt über "diesen Vorfall, welcher
beweist, wie lebenskräftig im Elsaß die Auflehnung der Geister gegen die deutsche
Verwaltung geblieben war: Als Wimpfeling im Jahre 1501 in Straßburg die
Bildung eines durch Gemeinsamkeit der Sprache verbundenen Gelehrtenkreises
unter dem Namen Osrnrania vorschlug, übernahm Murner, auf diese dem
Lateinischen entlehnte Bezeichnung fußend, die Verteidigung der lateinischen
Sprache und Universität, indem er das Unpassende darthat, in einer auf ihren
gallischen Ursprung so stolzen Stadt eine andre Sprache anzupreisen. Seine
unter dem Namen Nova Oeriuania erschienene Schrift, in welcher er diese Be¬
hauptung erhärtete, muß merkwürdig beweiskräftige Gründe beigebracht haben, da
sie nicht nur vom Kaiser verboten und mit Beschlag belegt, sondern mit solcher
Sorgfalt zerstört wurde, daß es bis heute unmöglich gewesen ist, einen Abdruck
derselben aufzufinden. Man muß dies bedauern, da dieser Streit über die
wirklichen Grenzen Frankreichs und Deutschlands heute von zeitgemäßen Inter¬
esse sein würde." Herr Reiher hätte sein Bedauern sparen und seine patriotische
Wißbegierde vollauf befriedigen können, wenn ihm bekannt gewesen wäre, daß
sein Landsmann Karl Schmidt Murners Oernrl>.ni!Z, nova. zusammen mit Wim-
pfelings AeriNÄnig, (Genf 1375) wieder hat abdrucken lassen. In helle Freude
aber würde sich sein Unmut verwandelt haben, wenn er eine Ahnung davon
gehabt Hütte, daß schon zu Ende des ersten Drittels des sechzehnten Jahrhun¬
derts eine von der Schulbehörde unterstützte französische Schule in Straßburg
bestand, allerdings nicht für die Jugend der "auf ihren gallischen Ursprung so
stolzen" Stadt, sondern für die Kinder der der religiösen Verfolgungen wegen
dahin geflüchteten und aufgenommenen Franzosen. Ähnliche "seine patriotische
Fiber augenehm berührende" Thatsachen würde Herr Reiher noch mehr haben
"entdecken" können, wenn er sich vor Abfassung seines Oeuvre, alö reeoutort
etwas sorgfältiger in der Geschichte seines engern Vaterlandes umgesehen hätte.

Die Ursache, weshalb trotz alles "gallischen Ursprungs" des Landes die
französische Sprache nach der Vereinigung desselben mit Frankreich nicht die
herrschende wurde und das Elsaß in dieser Beziehung "um 150 Jahre zurück¬
blieb," erblickt Herr Reiher in dem Umstände, daß der Unterricht, was die
LollöMs und die I^vvLs anlangt, ausschließlich in die Hände der Jesuiten ge¬
geben und dadurch unklugerweise die französische Einwirkung auf die protestan¬
tischen Familien lahmgelegt wurde, welche "sich gezwungen sahen, zu lokalen
Hilfsquellen wie dem Straßburger protestantischen Ghmnasium (in welchem
noch in den ersten Jahrzehnten unsers Jahrhunderts der Unterricht deutsch
erteilt wurde) ihre Zuflucht zu nehmen." Doch muß es selbst nach Aufhebung
des Jesuitenordens um den ssxrit Z-rulois im Elsaß noch "ehe fragwürdig aus¬
gesehen haben. Bringt doch -- um aus der Fülle nur einen besonders an¬
mutigen Beleg Herauszugreisen -- der von d'Aquin de Chateau-Lyon heraus-


Lin elsässischos Oeuvre 6e recon5ort.

wechselt nämlich dabei den bekannten von Erasmus gepriesenen Humanistenkreis
mit — dem erwähnten Gymnasium und schreibt über „diesen Vorfall, welcher
beweist, wie lebenskräftig im Elsaß die Auflehnung der Geister gegen die deutsche
Verwaltung geblieben war: Als Wimpfeling im Jahre 1501 in Straßburg die
Bildung eines durch Gemeinsamkeit der Sprache verbundenen Gelehrtenkreises
unter dem Namen Osrnrania vorschlug, übernahm Murner, auf diese dem
Lateinischen entlehnte Bezeichnung fußend, die Verteidigung der lateinischen
Sprache und Universität, indem er das Unpassende darthat, in einer auf ihren
gallischen Ursprung so stolzen Stadt eine andre Sprache anzupreisen. Seine
unter dem Namen Nova Oeriuania erschienene Schrift, in welcher er diese Be¬
hauptung erhärtete, muß merkwürdig beweiskräftige Gründe beigebracht haben, da
sie nicht nur vom Kaiser verboten und mit Beschlag belegt, sondern mit solcher
Sorgfalt zerstört wurde, daß es bis heute unmöglich gewesen ist, einen Abdruck
derselben aufzufinden. Man muß dies bedauern, da dieser Streit über die
wirklichen Grenzen Frankreichs und Deutschlands heute von zeitgemäßen Inter¬
esse sein würde." Herr Reiher hätte sein Bedauern sparen und seine patriotische
Wißbegierde vollauf befriedigen können, wenn ihm bekannt gewesen wäre, daß
sein Landsmann Karl Schmidt Murners Oernrl>.ni!Z, nova. zusammen mit Wim-
pfelings AeriNÄnig, (Genf 1375) wieder hat abdrucken lassen. In helle Freude
aber würde sich sein Unmut verwandelt haben, wenn er eine Ahnung davon
gehabt Hütte, daß schon zu Ende des ersten Drittels des sechzehnten Jahrhun¬
derts eine von der Schulbehörde unterstützte französische Schule in Straßburg
bestand, allerdings nicht für die Jugend der „auf ihren gallischen Ursprung so
stolzen" Stadt, sondern für die Kinder der der religiösen Verfolgungen wegen
dahin geflüchteten und aufgenommenen Franzosen. Ähnliche „seine patriotische
Fiber augenehm berührende" Thatsachen würde Herr Reiher noch mehr haben
„entdecken" können, wenn er sich vor Abfassung seines Oeuvre, alö reeoutort
etwas sorgfältiger in der Geschichte seines engern Vaterlandes umgesehen hätte.

Die Ursache, weshalb trotz alles „gallischen Ursprungs" des Landes die
französische Sprache nach der Vereinigung desselben mit Frankreich nicht die
herrschende wurde und das Elsaß in dieser Beziehung „um 150 Jahre zurück¬
blieb," erblickt Herr Reiher in dem Umstände, daß der Unterricht, was die
LollöMs und die I^vvLs anlangt, ausschließlich in die Hände der Jesuiten ge¬
geben und dadurch unklugerweise die französische Einwirkung auf die protestan¬
tischen Familien lahmgelegt wurde, welche „sich gezwungen sahen, zu lokalen
Hilfsquellen wie dem Straßburger protestantischen Ghmnasium (in welchem
noch in den ersten Jahrzehnten unsers Jahrhunderts der Unterricht deutsch
erteilt wurde) ihre Zuflucht zu nehmen." Doch muß es selbst nach Aufhebung
des Jesuitenordens um den ssxrit Z-rulois im Elsaß noch «ehe fragwürdig aus¬
gesehen haben. Bringt doch — um aus der Fülle nur einen besonders an¬
mutigen Beleg Herauszugreisen — der von d'Aquin de Chateau-Lyon heraus-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200104/535>, abgerufen am 23.07.2024.