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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr.

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ludion, welche langsam Italien und Frankreich erobert, während sie sich in
Deutschland der Beihilfe der schlechteren Elemente des Zentrums erfreut, die
den Gegensatz des Papsttums zu dem italienischen Königtums nach dem Norden
übertragen und in ihrem Interesse ausbeuten, Neun Zehnteile des Windt-
horstschen Phrasenmaterials mußten unverwendbar werden, sobald sich Leo XIII.
mit Italien versöhnte. Aber der Mensch hat für die selbstthätige Entwicklung
seiner Geschicke nur einen Augenblick zur Verfügung; läßt er ihn vorbeigehen,
ohne seine Zukunft durch den eignen Willen zu entscheiden, so verfüllt er den
Gewohnheitsmächten, die ihm d'le Fesseln anhängen, welche die Vergangenheit
stets für die Zukunft bereit hält.

Aus dem Konklave begab sich der Papst mit seinem Gefolge durch die
83,1g, rsAia, in feierlicher Prozession in die Peterskirche. Er hatte den Befehl
gegeben, das große Fenster zu öffnen, ohne zu sagen, welches von beiden; denn
ebenso wie hinter der großen Mittelloggia an der Außenseite der Peterskirche
ein Fenster ist, befindet sich ein solches Feuster hinter der Loggia im Innern
der Kirche, welche ihrer Lage "ach jener äußern entspricht. Wer sich darüber
wundert, daß er seinen Befehl nicht genauer gegeben hatte, der möge sich die
furchtbare Aufregung vergegenwärtigen, in welcher sich ein Mann befinden muß,
dem in hohem Alter nach zwanzigtägiger Spannung die, wie er glauben mußte,
höchste irdische Würde übertragen wurde.

Vor ihm und seinem Zuge laufen Diener und Konklavisten her, um das
Fenster, durch welches er in die äußere Loggia gelangt wäre, so zu verbreitern,
daß die Prozession hätte hindurchgehen können. Aber das Fenster, durch welches
kurz vorher der Kardinal Caterini auf die Loggia trat, war mittlerweile wieder
vernagelt worden! Außerdem war der Weg dahin so mit Bänken und andern
Gerätschaften vollgestcllt, daß die Prozession kaum hätte hindurchkommen können.
Was blieb übrig? Der Kardinal Bartolini erteilte den Befehl, das innere
Fenster zu öffnen, und der Zug begab sich dorthin.

Bartolini hatte die Wahl Leos XIII. hauptsächlich befördert, ja wahr¬
scheinlich durchgesetzt. Wer konnte zweifeln, daß er seinen Befehl im Namen
des uengewühlten Papstes gab? Mau kann sich darüber wundern, daß der
Papst nicht selbst gefragt wurde. Die Wahrscheinlichkeit spricht dafür, daß
Bartolini diese unmittelbare Anfrage verhinderte; vielleicht hatte er sich schon
mit der Kamarilla Pius' IX. verbündet, jedenfalls war er stets ein Todfeind
der neuen Ordnung in Italien gewesen, und nichts konnte ihm erwünschter sein,
als eine Versöhnung mit dem Königtums zu verhindern.

Im Innern der Peterskirche war es schon dunkel geworden. Mit einem-
male sahen die verhältnismäßig nicht zahlreichen Neugierigen, welche sich in
der Kirche befanden, wie das große Fenster, welches die innere Loggia ver¬
schließt, langsam geöffnet, ein roter Teppich über die Logcnbrüftung gebreitet
und ein Kissen auf denselben gelegt wurde. Ein lauter Ruf erschallte, und die


Grenzboten I. 1837. 66

ludion, welche langsam Italien und Frankreich erobert, während sie sich in
Deutschland der Beihilfe der schlechteren Elemente des Zentrums erfreut, die
den Gegensatz des Papsttums zu dem italienischen Königtums nach dem Norden
übertragen und in ihrem Interesse ausbeuten, Neun Zehnteile des Windt-
horstschen Phrasenmaterials mußten unverwendbar werden, sobald sich Leo XIII.
mit Italien versöhnte. Aber der Mensch hat für die selbstthätige Entwicklung
seiner Geschicke nur einen Augenblick zur Verfügung; läßt er ihn vorbeigehen,
ohne seine Zukunft durch den eignen Willen zu entscheiden, so verfüllt er den
Gewohnheitsmächten, die ihm d'le Fesseln anhängen, welche die Vergangenheit
stets für die Zukunft bereit hält.

Aus dem Konklave begab sich der Papst mit seinem Gefolge durch die
83,1g, rsAia, in feierlicher Prozession in die Peterskirche. Er hatte den Befehl
gegeben, das große Fenster zu öffnen, ohne zu sagen, welches von beiden; denn
ebenso wie hinter der großen Mittelloggia an der Außenseite der Peterskirche
ein Fenster ist, befindet sich ein solches Feuster hinter der Loggia im Innern
der Kirche, welche ihrer Lage »ach jener äußern entspricht. Wer sich darüber
wundert, daß er seinen Befehl nicht genauer gegeben hatte, der möge sich die
furchtbare Aufregung vergegenwärtigen, in welcher sich ein Mann befinden muß,
dem in hohem Alter nach zwanzigtägiger Spannung die, wie er glauben mußte,
höchste irdische Würde übertragen wurde.

Vor ihm und seinem Zuge laufen Diener und Konklavisten her, um das
Fenster, durch welches er in die äußere Loggia gelangt wäre, so zu verbreitern,
daß die Prozession hätte hindurchgehen können. Aber das Fenster, durch welches
kurz vorher der Kardinal Caterini auf die Loggia trat, war mittlerweile wieder
vernagelt worden! Außerdem war der Weg dahin so mit Bänken und andern
Gerätschaften vollgestcllt, daß die Prozession kaum hätte hindurchkommen können.
Was blieb übrig? Der Kardinal Bartolini erteilte den Befehl, das innere
Fenster zu öffnen, und der Zug begab sich dorthin.

Bartolini hatte die Wahl Leos XIII. hauptsächlich befördert, ja wahr¬
scheinlich durchgesetzt. Wer konnte zweifeln, daß er seinen Befehl im Namen
des uengewühlten Papstes gab? Mau kann sich darüber wundern, daß der
Papst nicht selbst gefragt wurde. Die Wahrscheinlichkeit spricht dafür, daß
Bartolini diese unmittelbare Anfrage verhinderte; vielleicht hatte er sich schon
mit der Kamarilla Pius' IX. verbündet, jedenfalls war er stets ein Todfeind
der neuen Ordnung in Italien gewesen, und nichts konnte ihm erwünschter sein,
als eine Versöhnung mit dem Königtums zu verhindern.

Im Innern der Peterskirche war es schon dunkel geworden. Mit einem-
male sahen die verhältnismäßig nicht zahlreichen Neugierigen, welche sich in
der Kirche befanden, wie das große Fenster, welches die innere Loggia ver¬
schließt, langsam geöffnet, ein roter Teppich über die Logcnbrüftung gebreitet
und ein Kissen auf denselben gelegt wurde. Ein lauter Ruf erschallte, und die


Grenzboten I. 1837. 66
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[0529] ludion, welche langsam Italien und Frankreich erobert, während sie sich in Deutschland der Beihilfe der schlechteren Elemente des Zentrums erfreut, die den Gegensatz des Papsttums zu dem italienischen Königtums nach dem Norden übertragen und in ihrem Interesse ausbeuten, Neun Zehnteile des Windt- horstschen Phrasenmaterials mußten unverwendbar werden, sobald sich Leo XIII. mit Italien versöhnte. Aber der Mensch hat für die selbstthätige Entwicklung seiner Geschicke nur einen Augenblick zur Verfügung; läßt er ihn vorbeigehen, ohne seine Zukunft durch den eignen Willen zu entscheiden, so verfüllt er den Gewohnheitsmächten, die ihm d'le Fesseln anhängen, welche die Vergangenheit stets für die Zukunft bereit hält. Aus dem Konklave begab sich der Papst mit seinem Gefolge durch die 83,1g, rsAia, in feierlicher Prozession in die Peterskirche. Er hatte den Befehl gegeben, das große Fenster zu öffnen, ohne zu sagen, welches von beiden; denn ebenso wie hinter der großen Mittelloggia an der Außenseite der Peterskirche ein Fenster ist, befindet sich ein solches Feuster hinter der Loggia im Innern der Kirche, welche ihrer Lage »ach jener äußern entspricht. Wer sich darüber wundert, daß er seinen Befehl nicht genauer gegeben hatte, der möge sich die furchtbare Aufregung vergegenwärtigen, in welcher sich ein Mann befinden muß, dem in hohem Alter nach zwanzigtägiger Spannung die, wie er glauben mußte, höchste irdische Würde übertragen wurde. Vor ihm und seinem Zuge laufen Diener und Konklavisten her, um das Fenster, durch welches er in die äußere Loggia gelangt wäre, so zu verbreitern, daß die Prozession hätte hindurchgehen können. Aber das Fenster, durch welches kurz vorher der Kardinal Caterini auf die Loggia trat, war mittlerweile wieder vernagelt worden! Außerdem war der Weg dahin so mit Bänken und andern Gerätschaften vollgestcllt, daß die Prozession kaum hätte hindurchkommen können. Was blieb übrig? Der Kardinal Bartolini erteilte den Befehl, das innere Fenster zu öffnen, und der Zug begab sich dorthin. Bartolini hatte die Wahl Leos XIII. hauptsächlich befördert, ja wahr¬ scheinlich durchgesetzt. Wer konnte zweifeln, daß er seinen Befehl im Namen des uengewühlten Papstes gab? Mau kann sich darüber wundern, daß der Papst nicht selbst gefragt wurde. Die Wahrscheinlichkeit spricht dafür, daß Bartolini diese unmittelbare Anfrage verhinderte; vielleicht hatte er sich schon mit der Kamarilla Pius' IX. verbündet, jedenfalls war er stets ein Todfeind der neuen Ordnung in Italien gewesen, und nichts konnte ihm erwünschter sein, als eine Versöhnung mit dem Königtums zu verhindern. Im Innern der Peterskirche war es schon dunkel geworden. Mit einem- male sahen die verhältnismäßig nicht zahlreichen Neugierigen, welche sich in der Kirche befanden, wie das große Fenster, welches die innere Loggia ver¬ schließt, langsam geöffnet, ein roter Teppich über die Logcnbrüftung gebreitet und ein Kissen auf denselben gelegt wurde. Ein lauter Ruf erschallte, und die Grenzboten I. 1837. 66

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200104/529>, abgerufen am 23.12.2024.