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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr.

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Man könnte einwenden, daß der Ort der Verkündigung von geringer Be¬
deutung war, aber man würde dann einmal vergessen, daß jedes Heraustreten
des neuen Papstes aus dem angeblichen Gefängnisse seines Vorgängers einen
Bruch mit jener Fabel, d. h. eine Anerkennung des Königreiches Italien, be¬
deuten mußte. Dazu kommt der ganze Charakter des katholischen Kultus und
besonders derjenigen Zeremonien, welche mit Rom speziell zusammenhängen.
Wenn der Papst in frühern Zeiten am Ostersonntag ans die Loggia heraus¬
trat, und in dem Augenblicke, wo er die Hand zum Segen erhob, das Geläute
der sämtlichen Glocken Roms schwieg, die ungeheuern Fontänen des Peters-
platzcs zu springen aufhörten, und die zahlreiche" Fremden unter der unerme߬
lichen Volksmenge auf demi gigantischen Platze die Feierlichkeit dieses in seiner
Art einzigen Augenblickes tief empfanden, so kann man sich denken, wie sehr
der Römer an dergleichen Schauspielen hing, die mit seinem Charakter, den
Überlieferungen der Vergangenheit und dem ganzen römischen Leben aufs innigste
verbunden waren.

Die Kardinäle, welche den erwähnten Beschluß faßten, handelten offenbar
in der klügsten Weise und in der besten Absicht. Über die Volksstimmung wußten
sie nichts, da sie seit zwanzig Tagen von der Außenwelt abgeschlossen waren.
Daß sie mit der Regierung verhandelt und von ihr eine Mitteilung darüber
erhalten hätten, dieselbe könne für die Ruhe nicht einstehen, ist eine erheblich
später verbreitete und glaubwürdig widerlegte Lüge. Sie hatten also vollständig
Recht, wenn sie den Ort der Verkündigung vou den Umstünden abhängig machten:
war der Platz sehr voll, so konnte man Befürchtungen hegen; übrigens lag mich
der Gedanke nahe, nach Beendigung des Konklaves würde es leicht möglich sein,
Nachrichten über die Stimmung der Volksmenge einzuziehen.

Einundsechzig Kardinäle waren im Konklave. Die Abgabe der Stimm¬
zettel begann um elf Uhr morgens. Während dessen saß Bartolini ruhig auf
seinen: Platze. Da ging der Kardinal Randi auf ihn zu und sagte in auf¬
geregtem Tone: Sie sind ein Anhänger Peceis und wollen die Sache übereilen,
während alles sorgfältig zu überlegen ist. Sie haben eine Partei zusammen¬
gebracht, ich weiß es.

Ich bin auf meinem Posten, entgegnete Bartolini mit der Ruhe, die seiner
ungewöhnlichen Wohlleibigkeit -- Pius IX., der weder ihn noch seinen Freund
Pecei leiden konnte, pflegte ihn den Kardinal Tonne zu nennen -- entsprach,
und handle nach den Vorschriften meines Gewissens.

Nein, Sie reißen die andern mit sich fort.

Nein, ich bin auf meinem Posten.

Sie -- Sie --

Eminenz, jeder thut, was ihm gut scheint.

Um zwölf Uhr war der letzte Wahlzettel aus seiner Hülle genommen:
Pecei hat vierundvierzig Stimmen, er ist gewählt!


Man könnte einwenden, daß der Ort der Verkündigung von geringer Be¬
deutung war, aber man würde dann einmal vergessen, daß jedes Heraustreten
des neuen Papstes aus dem angeblichen Gefängnisse seines Vorgängers einen
Bruch mit jener Fabel, d. h. eine Anerkennung des Königreiches Italien, be¬
deuten mußte. Dazu kommt der ganze Charakter des katholischen Kultus und
besonders derjenigen Zeremonien, welche mit Rom speziell zusammenhängen.
Wenn der Papst in frühern Zeiten am Ostersonntag ans die Loggia heraus¬
trat, und in dem Augenblicke, wo er die Hand zum Segen erhob, das Geläute
der sämtlichen Glocken Roms schwieg, die ungeheuern Fontänen des Peters-
platzcs zu springen aufhörten, und die zahlreiche» Fremden unter der unerme߬
lichen Volksmenge auf demi gigantischen Platze die Feierlichkeit dieses in seiner
Art einzigen Augenblickes tief empfanden, so kann man sich denken, wie sehr
der Römer an dergleichen Schauspielen hing, die mit seinem Charakter, den
Überlieferungen der Vergangenheit und dem ganzen römischen Leben aufs innigste
verbunden waren.

Die Kardinäle, welche den erwähnten Beschluß faßten, handelten offenbar
in der klügsten Weise und in der besten Absicht. Über die Volksstimmung wußten
sie nichts, da sie seit zwanzig Tagen von der Außenwelt abgeschlossen waren.
Daß sie mit der Regierung verhandelt und von ihr eine Mitteilung darüber
erhalten hätten, dieselbe könne für die Ruhe nicht einstehen, ist eine erheblich
später verbreitete und glaubwürdig widerlegte Lüge. Sie hatten also vollständig
Recht, wenn sie den Ort der Verkündigung vou den Umstünden abhängig machten:
war der Platz sehr voll, so konnte man Befürchtungen hegen; übrigens lag mich
der Gedanke nahe, nach Beendigung des Konklaves würde es leicht möglich sein,
Nachrichten über die Stimmung der Volksmenge einzuziehen.

Einundsechzig Kardinäle waren im Konklave. Die Abgabe der Stimm¬
zettel begann um elf Uhr morgens. Während dessen saß Bartolini ruhig auf
seinen: Platze. Da ging der Kardinal Randi auf ihn zu und sagte in auf¬
geregtem Tone: Sie sind ein Anhänger Peceis und wollen die Sache übereilen,
während alles sorgfältig zu überlegen ist. Sie haben eine Partei zusammen¬
gebracht, ich weiß es.

Ich bin auf meinem Posten, entgegnete Bartolini mit der Ruhe, die seiner
ungewöhnlichen Wohlleibigkeit — Pius IX., der weder ihn noch seinen Freund
Pecei leiden konnte, pflegte ihn den Kardinal Tonne zu nennen — entsprach,
und handle nach den Vorschriften meines Gewissens.

Nein, Sie reißen die andern mit sich fort.

Nein, ich bin auf meinem Posten.

Sie — Sie —

Eminenz, jeder thut, was ihm gut scheint.

Um zwölf Uhr war der letzte Wahlzettel aus seiner Hülle genommen:
Pecei hat vierundvierzig Stimmen, er ist gewählt!


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[0524] Man könnte einwenden, daß der Ort der Verkündigung von geringer Be¬ deutung war, aber man würde dann einmal vergessen, daß jedes Heraustreten des neuen Papstes aus dem angeblichen Gefängnisse seines Vorgängers einen Bruch mit jener Fabel, d. h. eine Anerkennung des Königreiches Italien, be¬ deuten mußte. Dazu kommt der ganze Charakter des katholischen Kultus und besonders derjenigen Zeremonien, welche mit Rom speziell zusammenhängen. Wenn der Papst in frühern Zeiten am Ostersonntag ans die Loggia heraus¬ trat, und in dem Augenblicke, wo er die Hand zum Segen erhob, das Geläute der sämtlichen Glocken Roms schwieg, die ungeheuern Fontänen des Peters- platzcs zu springen aufhörten, und die zahlreiche» Fremden unter der unerme߬ lichen Volksmenge auf demi gigantischen Platze die Feierlichkeit dieses in seiner Art einzigen Augenblickes tief empfanden, so kann man sich denken, wie sehr der Römer an dergleichen Schauspielen hing, die mit seinem Charakter, den Überlieferungen der Vergangenheit und dem ganzen römischen Leben aufs innigste verbunden waren. Die Kardinäle, welche den erwähnten Beschluß faßten, handelten offenbar in der klügsten Weise und in der besten Absicht. Über die Volksstimmung wußten sie nichts, da sie seit zwanzig Tagen von der Außenwelt abgeschlossen waren. Daß sie mit der Regierung verhandelt und von ihr eine Mitteilung darüber erhalten hätten, dieselbe könne für die Ruhe nicht einstehen, ist eine erheblich später verbreitete und glaubwürdig widerlegte Lüge. Sie hatten also vollständig Recht, wenn sie den Ort der Verkündigung vou den Umstünden abhängig machten: war der Platz sehr voll, so konnte man Befürchtungen hegen; übrigens lag mich der Gedanke nahe, nach Beendigung des Konklaves würde es leicht möglich sein, Nachrichten über die Stimmung der Volksmenge einzuziehen. Einundsechzig Kardinäle waren im Konklave. Die Abgabe der Stimm¬ zettel begann um elf Uhr morgens. Während dessen saß Bartolini ruhig auf seinen: Platze. Da ging der Kardinal Randi auf ihn zu und sagte in auf¬ geregtem Tone: Sie sind ein Anhänger Peceis und wollen die Sache übereilen, während alles sorgfältig zu überlegen ist. Sie haben eine Partei zusammen¬ gebracht, ich weiß es. Ich bin auf meinem Posten, entgegnete Bartolini mit der Ruhe, die seiner ungewöhnlichen Wohlleibigkeit — Pius IX., der weder ihn noch seinen Freund Pecei leiden konnte, pflegte ihn den Kardinal Tonne zu nennen — entsprach, und handle nach den Vorschriften meines Gewissens. Nein, Sie reißen die andern mit sich fort. Nein, ich bin auf meinem Posten. Sie — Sie — Eminenz, jeder thut, was ihm gut scheint. Um zwölf Uhr war der letzte Wahlzettel aus seiner Hülle genommen: Pecei hat vierundvierzig Stimmen, er ist gewählt!

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200104/524>, abgerufen am 23.12.2024.