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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr.

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tritt natürlich die ganze Wut des blinden nltrcunontanen Hasses gegen ihn ent¬
fesselt haben würde, dessen bloße Möglichkeit aber auch schon einen guten Teil
der mißgünstigen Gefühle erklärt, welche sich gegen ihn geltend machen.

Raphael de Cesare hat in einem soeben in Rom erschienenen Werke über
das Konklave Leos XIII. eine Zusammenstellung von Tagebnchnotizcn der in
demselben eingeschlossenen Personen sowie offizielle Dokumente veröffentlicht,
ans welchem eine Geschichte von solcher Lebendigkeit und Zuverlässigkeit ent¬
standen ist, wie sie wenigen geschichtlichen Begebenheiten zu Teil wird. Im
folgenden entnehmen wir diesen Aufzeichnungen dasjenige, was am geeignetsten
ist, über das Hauptinteresse aufzuklären, welches die Vorgänge vor und nach
der Papstwahl für uns haben, indem wir andres erklärendes und ergänzendes
Material hinzufügen.

Am 20. Februar 1878, am zwanzigsten Tage des Konklaves, hörten die
Kardinäle die übliche Messe in der Capella Paolina, darauf begaben sie sich
in die Sixtinische Kapelle zur Abstimmung. Als letzter trat der Kardinal Pecei
herein. Er sah sehr bleich und aufgeregt ans. Ohne mit sonst jemand zu
sprechen, ging er auf den Kardinal Barwlini zu und sagte: Eminenz, da Sie
und viele andre wünschen, daß ich Papst werde, so sagen Sie mir. ob Ihnen
der Name Leo XIII. gefällt. Ich habe ihn zum Andenken an Leo XII. ge¬
wühlt, dem ich alles verdanke. Bartvlini erwiederte: Nehmen Sie den Namen
Leo XIII. an, Eminenz, er gefällt mir.

Ehe man zur Abstimmung schritt, wurde darüber beraten, in welcher Weise
der daraus mit Wahrscheinlichkeit hervorgehende neue Papst als solcher öffent¬
lich ausgerufen werden sollte. Die Mehrzahl der Kardinäle war dafür, ihn
nicht öffentlich, sondern in dem größten und schönsten offenen Jnnenraume des
vatikanischen Palastes, Bramantes Wunderbau, dem Hose des heiligen Damasns,
auszurufen. Andre machten dagegen geltend, man dürfe die alten Gewohnheiten
nicht ändern (d. h. man müsse den Papst auf der äußern Loggia der Peters¬
kirche ausrufen); endlich einigte man sich über einen Mittelweg: es wurde be¬
schlossen, ihn in der gewöhnlichen Weise auszurufen, wenn der Petersplatz nicht
allzusehr mit Menschen angefüllt sei.

Wir halten hier einen Augenblick inne. Die päpstliche Souveränität geht
nach dem Tode des Papstes an die im Konklave versammelten Kardinäle über,
weshalb jeder derselben über seinem Sitze in dem Beratungs- und Abstimmnngs-
saale (der Sixtinischen Kapelle) einen fürstlichen Baldachin hat. So lange das
Konklave dauert, hört also die Herrschaft der Kamarilla auf, die nur indirekt
durch ihren Einfluß auf den jedesmaligen Papst regiert und natürlich meist
aus jesuitischen Elementen besteht. Hätte diese Kamarilla irgend einen Einfluß
bei der erwähnten Beratung gehabt, so würde sie ohne Zweifel die Fabel vou
der Gefangenschaft Pius' IX. fortgesetzt und schon die Möglichkeit einer Ver¬
kündigung von der äußern Loggia der Peterskirche verhindert haben.


tritt natürlich die ganze Wut des blinden nltrcunontanen Hasses gegen ihn ent¬
fesselt haben würde, dessen bloße Möglichkeit aber auch schon einen guten Teil
der mißgünstigen Gefühle erklärt, welche sich gegen ihn geltend machen.

Raphael de Cesare hat in einem soeben in Rom erschienenen Werke über
das Konklave Leos XIII. eine Zusammenstellung von Tagebnchnotizcn der in
demselben eingeschlossenen Personen sowie offizielle Dokumente veröffentlicht,
ans welchem eine Geschichte von solcher Lebendigkeit und Zuverlässigkeit ent¬
standen ist, wie sie wenigen geschichtlichen Begebenheiten zu Teil wird. Im
folgenden entnehmen wir diesen Aufzeichnungen dasjenige, was am geeignetsten
ist, über das Hauptinteresse aufzuklären, welches die Vorgänge vor und nach
der Papstwahl für uns haben, indem wir andres erklärendes und ergänzendes
Material hinzufügen.

Am 20. Februar 1878, am zwanzigsten Tage des Konklaves, hörten die
Kardinäle die übliche Messe in der Capella Paolina, darauf begaben sie sich
in die Sixtinische Kapelle zur Abstimmung. Als letzter trat der Kardinal Pecei
herein. Er sah sehr bleich und aufgeregt ans. Ohne mit sonst jemand zu
sprechen, ging er auf den Kardinal Barwlini zu und sagte: Eminenz, da Sie
und viele andre wünschen, daß ich Papst werde, so sagen Sie mir. ob Ihnen
der Name Leo XIII. gefällt. Ich habe ihn zum Andenken an Leo XII. ge¬
wühlt, dem ich alles verdanke. Bartvlini erwiederte: Nehmen Sie den Namen
Leo XIII. an, Eminenz, er gefällt mir.

Ehe man zur Abstimmung schritt, wurde darüber beraten, in welcher Weise
der daraus mit Wahrscheinlichkeit hervorgehende neue Papst als solcher öffent¬
lich ausgerufen werden sollte. Die Mehrzahl der Kardinäle war dafür, ihn
nicht öffentlich, sondern in dem größten und schönsten offenen Jnnenraume des
vatikanischen Palastes, Bramantes Wunderbau, dem Hose des heiligen Damasns,
auszurufen. Andre machten dagegen geltend, man dürfe die alten Gewohnheiten
nicht ändern (d. h. man müsse den Papst auf der äußern Loggia der Peters¬
kirche ausrufen); endlich einigte man sich über einen Mittelweg: es wurde be¬
schlossen, ihn in der gewöhnlichen Weise auszurufen, wenn der Petersplatz nicht
allzusehr mit Menschen angefüllt sei.

Wir halten hier einen Augenblick inne. Die päpstliche Souveränität geht
nach dem Tode des Papstes an die im Konklave versammelten Kardinäle über,
weshalb jeder derselben über seinem Sitze in dem Beratungs- und Abstimmnngs-
saale (der Sixtinischen Kapelle) einen fürstlichen Baldachin hat. So lange das
Konklave dauert, hört also die Herrschaft der Kamarilla auf, die nur indirekt
durch ihren Einfluß auf den jedesmaligen Papst regiert und natürlich meist
aus jesuitischen Elementen besteht. Hätte diese Kamarilla irgend einen Einfluß
bei der erwähnten Beratung gehabt, so würde sie ohne Zweifel die Fabel vou
der Gefangenschaft Pius' IX. fortgesetzt und schon die Möglichkeit einer Ver¬
kündigung von der äußern Loggia der Peterskirche verhindert haben.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200104/523>, abgerufen am 23.07.2024.