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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr.

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Zur Geschichte der Nationalliberalen.

Tyrannei, Skandalsucht und persönliche Feindschaft gegen Bismarck; sehr un¬
erquickliche Debatte und beginnende Spuren einer Spaltung," merkt er unter
dem Is. April 1869 an.

Derartige Notizen finden sich noch vielfältig. Sie zeigen die ganze
Schwierigkeit einer im wesentlichen vermittelnden Thätigkeit, wie Stephani sie
sich zur Aufgabe gemacht hatte, inmitten prinzipieller Gegensätze, die durch Leiden-
schaftlichkeit, Reizbarkeit, Hartnäckigkeit, persönliche Antipathien u. s. w. verschärft
wurden. Und unmittelbar zu Papier gebracht, nicht für andern Zweck als zur
eignen Erinnerung, am wenigsten für die Öffentlichkeit bestimmt, werfen solche
Äußeruiigen oft ein sehr bezeichnendes Licht ans parlamentarische Vorgänge und
deren weitere Folgen. Auch schon während des Zollparlaments ünszert sich
"der lange verhaltene Groll der meisten gegen Lasters und Hennigs Anmaßung,"
und ähnliche Bemerkungen über Laster, seiue Rechthaberei n. s. w. ziehen sich
wie ein roter Faden durch Stephcmis Tagebuch, und man muß dabei sich
wundern, daß die Partei überhaupt zehn Jahre lang mit solchen Elementen
bestehen konnte.

Es würde zu weit führen, wollten wir die Haltung Stephcmis durch die
folgenden an Aufregungen und Kämpfen so reichen Jahre verfolgen. Von Be¬
deutung aber ist die Darstellung des endlich 1880 eingetretenen offenen Bruches
in der Partei, welche sich rühmen durfte, an dem Ausbau des deutschen Reiches
in erster Linie mitgearbeitet zu haben. "Seit zwei Jahren gab es . . . in ihren
Reihen eine Richtung, der die Politik der Kompromisse überlebt und die Ver¬
folgung einer rücksichtslosen Partcipvlitik als das einzig Nichtige erschien." Das
Signal zur Sprengung gab am 28. Februar 1880 Forckeubeck in einer Fraktions¬
sitzung wegen des Militärgesetzes mit einem vom Zaun gebrochenen persönlichen
Angriff auf Bennigsen. Im Plenum trat am 1. März Bennigsen für das
Septeunat, Stausfenberg für den parlamentarischen Rechtsanspruch und für
die Bewilligung der Präsenzzisfer nur auf drei Jahre ein. Am 6. März er¬
klärte sich Marquardsen im Namen der großen Mehrheit der Fraktion für die
Verlängerung des Sozialistengesetzes, Laster dagegen. "Offenbar war er von
vornherein zum Austritt entschlossen, wurde aber von der ausdrücklichen Er¬
klärung derselben durch Forckenbeck und andre abgehalten, die einen günstigen
Zeitpunkt suchten, um mit ihm gemeinsam die Spaltung der Partei zu bewerk¬
stelligen. Als solcher Zeitpunkt war die Frnktionsverhandlung über das Militär¬
gesetz ausersehen. Der Versuch schlug aber gänzlich fehl. Unter dem peinlichen
Eindrucke der Auseinandersetzung vom 29. Februar war der linke Flügel un-
findbar geworden. So ging denn Laster, nachdem er noch bis zum 16. Mürz
gewartet hhätte^, allein." In einem Briefe an seine Wühler beschuldigte er die
nativnnlliberalc Partei der Preisgebung ihrer Grundsätze, und Rickert war es,
der am 9. April solchen Anschuldigungen entgegentrat, die dann am 15. Bcun-
berger bekämpfte. Und nach dem Schlüsse der Session traten zwanzig aus der


Grenzboten I. 1887. 6S
Zur Geschichte der Nationalliberalen.

Tyrannei, Skandalsucht und persönliche Feindschaft gegen Bismarck; sehr un¬
erquickliche Debatte und beginnende Spuren einer Spaltung," merkt er unter
dem Is. April 1869 an.

Derartige Notizen finden sich noch vielfältig. Sie zeigen die ganze
Schwierigkeit einer im wesentlichen vermittelnden Thätigkeit, wie Stephani sie
sich zur Aufgabe gemacht hatte, inmitten prinzipieller Gegensätze, die durch Leiden-
schaftlichkeit, Reizbarkeit, Hartnäckigkeit, persönliche Antipathien u. s. w. verschärft
wurden. Und unmittelbar zu Papier gebracht, nicht für andern Zweck als zur
eignen Erinnerung, am wenigsten für die Öffentlichkeit bestimmt, werfen solche
Äußeruiigen oft ein sehr bezeichnendes Licht ans parlamentarische Vorgänge und
deren weitere Folgen. Auch schon während des Zollparlaments ünszert sich
„der lange verhaltene Groll der meisten gegen Lasters und Hennigs Anmaßung,"
und ähnliche Bemerkungen über Laster, seiue Rechthaberei n. s. w. ziehen sich
wie ein roter Faden durch Stephcmis Tagebuch, und man muß dabei sich
wundern, daß die Partei überhaupt zehn Jahre lang mit solchen Elementen
bestehen konnte.

Es würde zu weit führen, wollten wir die Haltung Stephcmis durch die
folgenden an Aufregungen und Kämpfen so reichen Jahre verfolgen. Von Be¬
deutung aber ist die Darstellung des endlich 1880 eingetretenen offenen Bruches
in der Partei, welche sich rühmen durfte, an dem Ausbau des deutschen Reiches
in erster Linie mitgearbeitet zu haben. „Seit zwei Jahren gab es . . . in ihren
Reihen eine Richtung, der die Politik der Kompromisse überlebt und die Ver¬
folgung einer rücksichtslosen Partcipvlitik als das einzig Nichtige erschien." Das
Signal zur Sprengung gab am 28. Februar 1880 Forckeubeck in einer Fraktions¬
sitzung wegen des Militärgesetzes mit einem vom Zaun gebrochenen persönlichen
Angriff auf Bennigsen. Im Plenum trat am 1. März Bennigsen für das
Septeunat, Stausfenberg für den parlamentarischen Rechtsanspruch und für
die Bewilligung der Präsenzzisfer nur auf drei Jahre ein. Am 6. März er¬
klärte sich Marquardsen im Namen der großen Mehrheit der Fraktion für die
Verlängerung des Sozialistengesetzes, Laster dagegen. „Offenbar war er von
vornherein zum Austritt entschlossen, wurde aber von der ausdrücklichen Er¬
klärung derselben durch Forckenbeck und andre abgehalten, die einen günstigen
Zeitpunkt suchten, um mit ihm gemeinsam die Spaltung der Partei zu bewerk¬
stelligen. Als solcher Zeitpunkt war die Frnktionsverhandlung über das Militär¬
gesetz ausersehen. Der Versuch schlug aber gänzlich fehl. Unter dem peinlichen
Eindrucke der Auseinandersetzung vom 29. Februar war der linke Flügel un-
findbar geworden. So ging denn Laster, nachdem er noch bis zum 16. Mürz
gewartet hhätte^, allein." In einem Briefe an seine Wühler beschuldigte er die
nativnnlliberalc Partei der Preisgebung ihrer Grundsätze, und Rickert war es,
der am 9. April solchen Anschuldigungen entgegentrat, die dann am 15. Bcun-
berger bekämpfte. Und nach dem Schlüsse der Session traten zwanzig aus der


Grenzboten I. 1887. 6S
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[0521] Zur Geschichte der Nationalliberalen. Tyrannei, Skandalsucht und persönliche Feindschaft gegen Bismarck; sehr un¬ erquickliche Debatte und beginnende Spuren einer Spaltung," merkt er unter dem Is. April 1869 an. Derartige Notizen finden sich noch vielfältig. Sie zeigen die ganze Schwierigkeit einer im wesentlichen vermittelnden Thätigkeit, wie Stephani sie sich zur Aufgabe gemacht hatte, inmitten prinzipieller Gegensätze, die durch Leiden- schaftlichkeit, Reizbarkeit, Hartnäckigkeit, persönliche Antipathien u. s. w. verschärft wurden. Und unmittelbar zu Papier gebracht, nicht für andern Zweck als zur eignen Erinnerung, am wenigsten für die Öffentlichkeit bestimmt, werfen solche Äußeruiigen oft ein sehr bezeichnendes Licht ans parlamentarische Vorgänge und deren weitere Folgen. Auch schon während des Zollparlaments ünszert sich „der lange verhaltene Groll der meisten gegen Lasters und Hennigs Anmaßung," und ähnliche Bemerkungen über Laster, seiue Rechthaberei n. s. w. ziehen sich wie ein roter Faden durch Stephcmis Tagebuch, und man muß dabei sich wundern, daß die Partei überhaupt zehn Jahre lang mit solchen Elementen bestehen konnte. Es würde zu weit führen, wollten wir die Haltung Stephcmis durch die folgenden an Aufregungen und Kämpfen so reichen Jahre verfolgen. Von Be¬ deutung aber ist die Darstellung des endlich 1880 eingetretenen offenen Bruches in der Partei, welche sich rühmen durfte, an dem Ausbau des deutschen Reiches in erster Linie mitgearbeitet zu haben. „Seit zwei Jahren gab es . . . in ihren Reihen eine Richtung, der die Politik der Kompromisse überlebt und die Ver¬ folgung einer rücksichtslosen Partcipvlitik als das einzig Nichtige erschien." Das Signal zur Sprengung gab am 28. Februar 1880 Forckeubeck in einer Fraktions¬ sitzung wegen des Militärgesetzes mit einem vom Zaun gebrochenen persönlichen Angriff auf Bennigsen. Im Plenum trat am 1. März Bennigsen für das Septeunat, Stausfenberg für den parlamentarischen Rechtsanspruch und für die Bewilligung der Präsenzzisfer nur auf drei Jahre ein. Am 6. März er¬ klärte sich Marquardsen im Namen der großen Mehrheit der Fraktion für die Verlängerung des Sozialistengesetzes, Laster dagegen. „Offenbar war er von vornherein zum Austritt entschlossen, wurde aber von der ausdrücklichen Er¬ klärung derselben durch Forckenbeck und andre abgehalten, die einen günstigen Zeitpunkt suchten, um mit ihm gemeinsam die Spaltung der Partei zu bewerk¬ stelligen. Als solcher Zeitpunkt war die Frnktionsverhandlung über das Militär¬ gesetz ausersehen. Der Versuch schlug aber gänzlich fehl. Unter dem peinlichen Eindrucke der Auseinandersetzung vom 29. Februar war der linke Flügel un- findbar geworden. So ging denn Laster, nachdem er noch bis zum 16. Mürz gewartet hhätte^, allein." In einem Briefe an seine Wühler beschuldigte er die nativnnlliberalc Partei der Preisgebung ihrer Grundsätze, und Rickert war es, der am 9. April solchen Anschuldigungen entgegentrat, die dann am 15. Bcun- berger bekämpfte. Und nach dem Schlüsse der Session traten zwanzig aus der Grenzboten I. 1887. 6S

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200104/521>, abgerufen am 25.08.2024.