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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr.

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Die heilige Magdalena von Witscht.

Schmerz hinzieht, die beiden obersten Prinzipien der christlichen Weltordnung
und deren geheiligte Träger, Kaiser und Papst, in selbstvernichtendem, ewigem
Kampfe sehen zu müssen, während doch die Christenheit von ihnen allein
Ordnung, Frieden und Heil empfangen zu müssen meinte, Oschwald glaubte
also an einen allmächtigen, neuen germanischen Kaiser und weissagte, daß
derselbe bald kommen werde, und das thaten auch deutsche Burschenschafter,
Bolksmänner und Parlamentsredner. Ja der Satz Oschwalds: "Da nun
durch die Wiedergeburt Europas das sogenannte Herreujoch gebrochen, der
AnstokratiSmns gestürzt, die Privilegien entkräftet, die Bevormundung durch
das Polizeiwesen aufgehoben, was zur Unterdrückung der Völker gehört, be¬
seitigt und, was zu einer falschen Politik gehört, ausgerottet sein wird, so
werden die Menschen in diesem Staate eine Freiheit genießen, wie sie den
Kindern Gottes zukommen muß," könnte, vielleicht mit Ausnahme der letzten
Worte, in der Paulskirche gesprochen worden sein, und zwar von einem
Radikalen.

Auch das Martyrium, das dem Propheten natürlich nicht fehlen durfte,
und das in obrigkeitlicher Verfolgung und Verbannung nach Amerika bestand,
stellt den Mann in seltsame Parallele mit den andern' Enthusiasten.

Oschwald war ein Asket. Wie ein zweiter Franz von Assise, sprach
er vor seinen Zuhörern in Verzückung halbe und ganze Tage lang, um zum
Schlüsse mit den Hungrigen eine dürre Brotkruste zu teilen und ihnen den
nackten Boden zum Lager anzubieten. Aber je strenger er war, desto mehr
Zulauf fand er. In allen Orten, wo er einmal pastorirt hatte, und in der
ganzen Umgegend hatte er Anhänger, die, wenn er versetzt wurde, jährlich
wenigstens einmal bis zu hundert Stunden weit, mühsam zu Fuß, ihm nach¬
reisten.

Das wurde natürlich von den andern Geistlichen nicht gern gesehen. Noch
mehr mochten ihnen Oschwalds übernatürliche Gaben und Kräfte, deren er doch
als Prophet nicht gut entbehren konnte, ein Dorn im Auge sein. Doch diese
Dinge konnte man noch auf geschickte Weise nicht nur unschädlich erhalten,
sondern sogar im Dienste der Kirche und Priesterschaft verwenden.

Aber Oschwald sprach und schrieb als Schüler Susos, Taulers und des
Thomas von Kempen auch gegen das unnütze leere Beichten und Kommnniziren,
gegen gcistlähmende und geisttötende Werke, äußerliche Übungen und ängstliche
Gesetzlichkeit. Alle dergleichen Sachen hasset meine Seele, sagte er; denn da¬
durch kommt man zu keinem freien Geiste. Das war schon sehr schlimm, und
man sieht daraus, daß der Maun nicht uur ein Prophet war, sondern auch
alles Zeug zu einem richtigen Ketzer hatte, für einen katholischen Priester ein
gar gefährliches Talent. Doch verzeihlich waren anch diese Äußerungen. Die
Kirche konnte sagen und hat dies im Verlaufe ihrer Geschichte oft gethan, daß
solche Lehren, wenn sie uur richtig verstanden würden, ganz die ihrigen seien.


Die heilige Magdalena von Witscht.

Schmerz hinzieht, die beiden obersten Prinzipien der christlichen Weltordnung
und deren geheiligte Träger, Kaiser und Papst, in selbstvernichtendem, ewigem
Kampfe sehen zu müssen, während doch die Christenheit von ihnen allein
Ordnung, Frieden und Heil empfangen zu müssen meinte, Oschwald glaubte
also an einen allmächtigen, neuen germanischen Kaiser und weissagte, daß
derselbe bald kommen werde, und das thaten auch deutsche Burschenschafter,
Bolksmänner und Parlamentsredner. Ja der Satz Oschwalds: „Da nun
durch die Wiedergeburt Europas das sogenannte Herreujoch gebrochen, der
AnstokratiSmns gestürzt, die Privilegien entkräftet, die Bevormundung durch
das Polizeiwesen aufgehoben, was zur Unterdrückung der Völker gehört, be¬
seitigt und, was zu einer falschen Politik gehört, ausgerottet sein wird, so
werden die Menschen in diesem Staate eine Freiheit genießen, wie sie den
Kindern Gottes zukommen muß," könnte, vielleicht mit Ausnahme der letzten
Worte, in der Paulskirche gesprochen worden sein, und zwar von einem
Radikalen.

Auch das Martyrium, das dem Propheten natürlich nicht fehlen durfte,
und das in obrigkeitlicher Verfolgung und Verbannung nach Amerika bestand,
stellt den Mann in seltsame Parallele mit den andern' Enthusiasten.

Oschwald war ein Asket. Wie ein zweiter Franz von Assise, sprach
er vor seinen Zuhörern in Verzückung halbe und ganze Tage lang, um zum
Schlüsse mit den Hungrigen eine dürre Brotkruste zu teilen und ihnen den
nackten Boden zum Lager anzubieten. Aber je strenger er war, desto mehr
Zulauf fand er. In allen Orten, wo er einmal pastorirt hatte, und in der
ganzen Umgegend hatte er Anhänger, die, wenn er versetzt wurde, jährlich
wenigstens einmal bis zu hundert Stunden weit, mühsam zu Fuß, ihm nach¬
reisten.

Das wurde natürlich von den andern Geistlichen nicht gern gesehen. Noch
mehr mochten ihnen Oschwalds übernatürliche Gaben und Kräfte, deren er doch
als Prophet nicht gut entbehren konnte, ein Dorn im Auge sein. Doch diese
Dinge konnte man noch auf geschickte Weise nicht nur unschädlich erhalten,
sondern sogar im Dienste der Kirche und Priesterschaft verwenden.

Aber Oschwald sprach und schrieb als Schüler Susos, Taulers und des
Thomas von Kempen auch gegen das unnütze leere Beichten und Kommnniziren,
gegen gcistlähmende und geisttötende Werke, äußerliche Übungen und ängstliche
Gesetzlichkeit. Alle dergleichen Sachen hasset meine Seele, sagte er; denn da¬
durch kommt man zu keinem freien Geiste. Das war schon sehr schlimm, und
man sieht daraus, daß der Maun nicht uur ein Prophet war, sondern auch
alles Zeug zu einem richtigen Ketzer hatte, für einen katholischen Priester ein
gar gefährliches Talent. Doch verzeihlich waren anch diese Äußerungen. Die
Kirche konnte sagen und hat dies im Verlaufe ihrer Geschichte oft gethan, daß
solche Lehren, wenn sie uur richtig verstanden würden, ganz die ihrigen seien.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200104/52>, abgerufen am 23.12.2024.