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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr.

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Kleinere Mitteilungen.

aller Nationen. Guizot schaffte sich beide Agitatoren vom Halse, beide zogen sich
nach Brüssel zurück, von wo aus Grün hauptsächlich für die "Triersche Zeitung"
arbeitete, damals das einzige Tagesblatt mit sozialistischer Tendenz in Deutschland.
1848 führte er die Redaktion dieser Zeitung, bis eine Nachwahl ihn im Herbst
in die preußische Nationalversammlung brachte. Er traf gerade zu der stürmischen
Abendsitznng am 31. Oktober ein und ergriff sofort das Wort. "Wien" stand auf
der Tagesordnung, die äußerste Linke verlangte das Einschreiten Preußens zu
Gunsten der Wiener Revolution, die gemäßigte Linke wollte diese Aufgabe der
Zentralgewalt in Frankfurt zugewiesen wissen. Diesen Antrag bekämpfte Grün
mit dem Argument, die Zentralgewalt sei um allen Kredit gekommen, sie werde
nur noch Neichsgeudarmerie genannt; und als sich lautes Murren erhob, setzte er
ganz naiv hinzu: "Ich darf doch erzählen, was ich auf der Reise nach Berlin
Berlin gehört habe!" Damit waren, soviel wir uns erinnern, seine parlamen¬
tarischen Thaten zu Ende; die Tage der Nationalversammlung waren gezählt, und
auch in dem ersten Landtage von 1349 trat er in keiner Weise hervor. Für die
kurze Freude hatte er jedoch durch lauge Untersuchungshaft zu büßen. Als er nach
Trier zurückkehrte, war schon die sonderbarste Bewegung im Gange: die Re¬
publikaner erhoben sich sür die monarchische Reichsverfassung. Auch die demo¬
kratische Jugend Triers machte sich auf, um das Zeughaus in Prüm zu stürmen
und zog dann in die Pfalz; Grün wurde als geistiger Urheber dieses Putsches
angesehen, überzeugte jedoch die Geschwornen, daß er in dieser Angelegenheit große
Vorsicht beobachtet hatte. Abermals siedelte er nach Brüssel über, versorgte die
"Triersche Zeitung" (das ,,Organ der grünen Republik," wie die Marxsche Partei
spottete) und ließ eine Reihe von Flugschriften gegen deu Bonapartismus erscheinen:
"Die Sphinx ans dem Throne der Cäsaren," "Westdeutsche Grenzen" :c. In diesen
Schriften wehte nationaler Geist. Und auch als Grün nach dem Thronwechsel in
Preußen heimkehrte, als Publizist und Redner ans Schützcntagen ?e. eine neue
Thätigkeit entwickelte, war diese zunächst uoch mit seinem frühern Glaubensbekenntnis,
daß die Hoffnung Deutschlands auf Preußen beruhe, in Einklang zu bringen. Allein
die Atmosphäre in Frankfurt, wo er eine Lehrerstelle erhielt, blieb nicht ohne Ein¬
fluß, und bald sah man ihn als eifrigen Parteigänger der preußenfeindlichen Koali¬
tion, welche den Prinzen von Augustenburg, dann den Bundestag und endlich
Oesterreich als Vorwand gebrauchte: er wurde "süddeutscher Demokrat" und begab
sich, wie so viele, uach deu preußischen Siegen uuter die Fittiche Beusts. In dieser
Periode scheint urplötzlich Interesse für die bildende Kunst in ihm erwacht zu sein,
die ihm bis dahin sehr fern gelegen hatte, und sofort schrieb er Knnstbücher, von
denen das originellste ein unter dem Titel "Glückliches Wien" erschienener räson-
nirender Katalog der dortigen Gemäldegalerie -- frei uach Waagen -- ist. Er
wird ziemlich zwanzig Jahre in Wien gelebt haben, emsig schreibend bis in die
letzte Zeit: kulturgeschichtliche Bücher, unzählige Abhandlungen politischen oder philo¬
sophischen Inhalts in Tagesblättern und Revuen. Daneben gab er den Nachlaß
Ludwig Feuerbachs heraus und gehörte zu dem Hofstaate des philosophischen Gast¬
wirts in Oberösterreich. Ein halbes Jahrhundert ununterbrochener Schreibthätig¬
keit, große Beweglichkeit des Geistes, nicht unbedeutendes Wissen, die Fähigkeit,
ans den verschiedensten literarischen Gebieten sich rasch leidlich zu orientiren -- und
die Summe von alledem? Daß schon morgen niemand mehr seinen Namen kennen
wird. Das ist das Geschick des echten "Literaten"!




Kleinere Mitteilungen.

aller Nationen. Guizot schaffte sich beide Agitatoren vom Halse, beide zogen sich
nach Brüssel zurück, von wo aus Grün hauptsächlich für die „Triersche Zeitung"
arbeitete, damals das einzige Tagesblatt mit sozialistischer Tendenz in Deutschland.
1848 führte er die Redaktion dieser Zeitung, bis eine Nachwahl ihn im Herbst
in die preußische Nationalversammlung brachte. Er traf gerade zu der stürmischen
Abendsitznng am 31. Oktober ein und ergriff sofort das Wort. „Wien" stand auf
der Tagesordnung, die äußerste Linke verlangte das Einschreiten Preußens zu
Gunsten der Wiener Revolution, die gemäßigte Linke wollte diese Aufgabe der
Zentralgewalt in Frankfurt zugewiesen wissen. Diesen Antrag bekämpfte Grün
mit dem Argument, die Zentralgewalt sei um allen Kredit gekommen, sie werde
nur noch Neichsgeudarmerie genannt; und als sich lautes Murren erhob, setzte er
ganz naiv hinzu: „Ich darf doch erzählen, was ich auf der Reise nach Berlin
Berlin gehört habe!" Damit waren, soviel wir uns erinnern, seine parlamen¬
tarischen Thaten zu Ende; die Tage der Nationalversammlung waren gezählt, und
auch in dem ersten Landtage von 1349 trat er in keiner Weise hervor. Für die
kurze Freude hatte er jedoch durch lauge Untersuchungshaft zu büßen. Als er nach
Trier zurückkehrte, war schon die sonderbarste Bewegung im Gange: die Re¬
publikaner erhoben sich sür die monarchische Reichsverfassung. Auch die demo¬
kratische Jugend Triers machte sich auf, um das Zeughaus in Prüm zu stürmen
und zog dann in die Pfalz; Grün wurde als geistiger Urheber dieses Putsches
angesehen, überzeugte jedoch die Geschwornen, daß er in dieser Angelegenheit große
Vorsicht beobachtet hatte. Abermals siedelte er nach Brüssel über, versorgte die
„Triersche Zeitung" (das ,,Organ der grünen Republik," wie die Marxsche Partei
spottete) und ließ eine Reihe von Flugschriften gegen deu Bonapartismus erscheinen:
„Die Sphinx ans dem Throne der Cäsaren," „Westdeutsche Grenzen" :c. In diesen
Schriften wehte nationaler Geist. Und auch als Grün nach dem Thronwechsel in
Preußen heimkehrte, als Publizist und Redner ans Schützcntagen ?e. eine neue
Thätigkeit entwickelte, war diese zunächst uoch mit seinem frühern Glaubensbekenntnis,
daß die Hoffnung Deutschlands auf Preußen beruhe, in Einklang zu bringen. Allein
die Atmosphäre in Frankfurt, wo er eine Lehrerstelle erhielt, blieb nicht ohne Ein¬
fluß, und bald sah man ihn als eifrigen Parteigänger der preußenfeindlichen Koali¬
tion, welche den Prinzen von Augustenburg, dann den Bundestag und endlich
Oesterreich als Vorwand gebrauchte: er wurde „süddeutscher Demokrat" und begab
sich, wie so viele, uach deu preußischen Siegen uuter die Fittiche Beusts. In dieser
Periode scheint urplötzlich Interesse für die bildende Kunst in ihm erwacht zu sein,
die ihm bis dahin sehr fern gelegen hatte, und sofort schrieb er Knnstbücher, von
denen das originellste ein unter dem Titel „Glückliches Wien" erschienener räson-
nirender Katalog der dortigen Gemäldegalerie — frei uach Waagen — ist. Er
wird ziemlich zwanzig Jahre in Wien gelebt haben, emsig schreibend bis in die
letzte Zeit: kulturgeschichtliche Bücher, unzählige Abhandlungen politischen oder philo¬
sophischen Inhalts in Tagesblättern und Revuen. Daneben gab er den Nachlaß
Ludwig Feuerbachs heraus und gehörte zu dem Hofstaate des philosophischen Gast¬
wirts in Oberösterreich. Ein halbes Jahrhundert ununterbrochener Schreibthätig¬
keit, große Beweglichkeit des Geistes, nicht unbedeutendes Wissen, die Fähigkeit,
ans den verschiedensten literarischen Gebieten sich rasch leidlich zu orientiren — und
die Summe von alledem? Daß schon morgen niemand mehr seinen Namen kennen
wird. Das ist das Geschick des echten „Literaten"!




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200104/511>, abgerufen am 23.12.2024.