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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr.

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Jugenderinnerungen.

der ich doch einige Anlage, Ungewöhnliches zu sehen, besaß, diesen Gefallen
doch recht gut einmal hätte thun können.

Gegen alle solche Mitteilungen, die noch dazu von Mund zu Mund liefen
und überall Gläubige fanden, konnte sich das Gemüt des nervösen Knaben un¬
möglich verschließen. Ich hörte mit durstigen Ohr auf das Erzählte und ward
nicht müde, durch Fragen immer neue Wunderquellcn zu erschließen. Der Um¬
gang mit gutmütigen, aber ungebildeten Dienstboten, der uns Kindern nicht
verboten werden konnte, leistete dem Glauben an das Wunderbare, leider mehr
noch an das Gespenstische reichen Vorschub. Sowohl unsre eignen Dienstboten,
mit denen wir Geschwister des Abends immer beisammen waren, da außer dem
Studirzimmer des Vaters nur die gemeinsame Wohnstube als möglicher Auf¬
enthalt für alle andern Hausgenossen übrig blieb, als die Untergebenen des
patriarchalischen Bauern Vertrieben sich durch Erzählungen von Spuk- und
Hexengeschichten die Zeit. Es fehlte dabei nie an Vorgängen, die sich erst
kürzlich zugetragen hatten, und ich habe nie bemerkt, daß irgend jemand die
kritische Sonde an derartige Vorkommnisse legte.

Wie es unaussprechlich öde Gegenden giebt, so hat es der Natur auch
gefallen, einzelne Landstriche mit dem Schleier des Wunderbaren, des Ahnungs¬
vollen, ja selbst des Unheimlichen zu bekleiden. Mein Geburtsland ist sehr
reich an landschaftlichen Reizen. Die prachtvolle, reich gegliederte Gebirgskette,
welche die Oberlausitz von den Ausläufern des Riesengebirges bis zu den Bor-
Höhen der sächsischen Schweiz im Westen umspannt, kann mit den schönsten Berg-
landschaften Deutschlands wetteifern. Sanft gebettet in das fruchtbare, korn-
und obstreiche Doppelthal der Mauban und Reiße liegt Zittau mit den zunächst
angrenzenden großen und weitläufig gebauten Dörfern. So voll malerischer
Herrlichkeiten aber auch die ganze Umgebung Zittcius ist, so viele Terrain¬
abschnitte finden sich doch darin vor, die auf den Beschauer den Eindruck des
Schauerlichen machen. Beschreiben läßt sich dergleichen nicht, man kann es eben
nur fühlen. Solcher Erdfalken, Thalmulden und umbuschter Höhen gab es
in unmittelbarer Nähe und in geringer Entfernung verschiedne, und gerade
diese Örtlichkeiten waren im Munde des Volkes von nichtirdischen Wesen be¬
völkert oder wurden zeitweise von gespenstischen Erscheinungen heimgesucht. Der
allernächste Punkt, wo es sogar am lichten Tage umging, war der erwähnte
Schülerbnsch, den wir schon in zehn Minnten erreichen konnten. Auf uns
Kinder übte diese waldige Höhe trotz der Geister, die sie bewohnen sollten, eine
unwiderstehliche Anziehungskraft ans, und wir besuchten ihn deshalb in jeder
Stunde, über die wir frei verfügen konnten.

Diesem gegenüber, nur getrennt dnrch die rauschende Mauban, erhebt sich
der finster bewaldete Scheibeberg, so benannt nach dem Ort Scheibe, welcher
sich den Fluß entlang zieht und mit zu Hcrwigsdorf gehört. An den schrägen
Abhängen dieses Berges, die größtenteils aus Acker- und Wiesenland bestanden,


Jugenderinnerungen.

der ich doch einige Anlage, Ungewöhnliches zu sehen, besaß, diesen Gefallen
doch recht gut einmal hätte thun können.

Gegen alle solche Mitteilungen, die noch dazu von Mund zu Mund liefen
und überall Gläubige fanden, konnte sich das Gemüt des nervösen Knaben un¬
möglich verschließen. Ich hörte mit durstigen Ohr auf das Erzählte und ward
nicht müde, durch Fragen immer neue Wunderquellcn zu erschließen. Der Um¬
gang mit gutmütigen, aber ungebildeten Dienstboten, der uns Kindern nicht
verboten werden konnte, leistete dem Glauben an das Wunderbare, leider mehr
noch an das Gespenstische reichen Vorschub. Sowohl unsre eignen Dienstboten,
mit denen wir Geschwister des Abends immer beisammen waren, da außer dem
Studirzimmer des Vaters nur die gemeinsame Wohnstube als möglicher Auf¬
enthalt für alle andern Hausgenossen übrig blieb, als die Untergebenen des
patriarchalischen Bauern Vertrieben sich durch Erzählungen von Spuk- und
Hexengeschichten die Zeit. Es fehlte dabei nie an Vorgängen, die sich erst
kürzlich zugetragen hatten, und ich habe nie bemerkt, daß irgend jemand die
kritische Sonde an derartige Vorkommnisse legte.

Wie es unaussprechlich öde Gegenden giebt, so hat es der Natur auch
gefallen, einzelne Landstriche mit dem Schleier des Wunderbaren, des Ahnungs¬
vollen, ja selbst des Unheimlichen zu bekleiden. Mein Geburtsland ist sehr
reich an landschaftlichen Reizen. Die prachtvolle, reich gegliederte Gebirgskette,
welche die Oberlausitz von den Ausläufern des Riesengebirges bis zu den Bor-
Höhen der sächsischen Schweiz im Westen umspannt, kann mit den schönsten Berg-
landschaften Deutschlands wetteifern. Sanft gebettet in das fruchtbare, korn-
und obstreiche Doppelthal der Mauban und Reiße liegt Zittau mit den zunächst
angrenzenden großen und weitläufig gebauten Dörfern. So voll malerischer
Herrlichkeiten aber auch die ganze Umgebung Zittcius ist, so viele Terrain¬
abschnitte finden sich doch darin vor, die auf den Beschauer den Eindruck des
Schauerlichen machen. Beschreiben läßt sich dergleichen nicht, man kann es eben
nur fühlen. Solcher Erdfalken, Thalmulden und umbuschter Höhen gab es
in unmittelbarer Nähe und in geringer Entfernung verschiedne, und gerade
diese Örtlichkeiten waren im Munde des Volkes von nichtirdischen Wesen be¬
völkert oder wurden zeitweise von gespenstischen Erscheinungen heimgesucht. Der
allernächste Punkt, wo es sogar am lichten Tage umging, war der erwähnte
Schülerbnsch, den wir schon in zehn Minnten erreichen konnten. Auf uns
Kinder übte diese waldige Höhe trotz der Geister, die sie bewohnen sollten, eine
unwiderstehliche Anziehungskraft ans, und wir besuchten ihn deshalb in jeder
Stunde, über die wir frei verfügen konnten.

Diesem gegenüber, nur getrennt dnrch die rauschende Mauban, erhebt sich
der finster bewaldete Scheibeberg, so benannt nach dem Ort Scheibe, welcher
sich den Fluß entlang zieht und mit zu Hcrwigsdorf gehört. An den schrägen
Abhängen dieses Berges, die größtenteils aus Acker- und Wiesenland bestanden,


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[0504] Jugenderinnerungen. der ich doch einige Anlage, Ungewöhnliches zu sehen, besaß, diesen Gefallen doch recht gut einmal hätte thun können. Gegen alle solche Mitteilungen, die noch dazu von Mund zu Mund liefen und überall Gläubige fanden, konnte sich das Gemüt des nervösen Knaben un¬ möglich verschließen. Ich hörte mit durstigen Ohr auf das Erzählte und ward nicht müde, durch Fragen immer neue Wunderquellcn zu erschließen. Der Um¬ gang mit gutmütigen, aber ungebildeten Dienstboten, der uns Kindern nicht verboten werden konnte, leistete dem Glauben an das Wunderbare, leider mehr noch an das Gespenstische reichen Vorschub. Sowohl unsre eignen Dienstboten, mit denen wir Geschwister des Abends immer beisammen waren, da außer dem Studirzimmer des Vaters nur die gemeinsame Wohnstube als möglicher Auf¬ enthalt für alle andern Hausgenossen übrig blieb, als die Untergebenen des patriarchalischen Bauern Vertrieben sich durch Erzählungen von Spuk- und Hexengeschichten die Zeit. Es fehlte dabei nie an Vorgängen, die sich erst kürzlich zugetragen hatten, und ich habe nie bemerkt, daß irgend jemand die kritische Sonde an derartige Vorkommnisse legte. Wie es unaussprechlich öde Gegenden giebt, so hat es der Natur auch gefallen, einzelne Landstriche mit dem Schleier des Wunderbaren, des Ahnungs¬ vollen, ja selbst des Unheimlichen zu bekleiden. Mein Geburtsland ist sehr reich an landschaftlichen Reizen. Die prachtvolle, reich gegliederte Gebirgskette, welche die Oberlausitz von den Ausläufern des Riesengebirges bis zu den Bor- Höhen der sächsischen Schweiz im Westen umspannt, kann mit den schönsten Berg- landschaften Deutschlands wetteifern. Sanft gebettet in das fruchtbare, korn- und obstreiche Doppelthal der Mauban und Reiße liegt Zittau mit den zunächst angrenzenden großen und weitläufig gebauten Dörfern. So voll malerischer Herrlichkeiten aber auch die ganze Umgebung Zittcius ist, so viele Terrain¬ abschnitte finden sich doch darin vor, die auf den Beschauer den Eindruck des Schauerlichen machen. Beschreiben läßt sich dergleichen nicht, man kann es eben nur fühlen. Solcher Erdfalken, Thalmulden und umbuschter Höhen gab es in unmittelbarer Nähe und in geringer Entfernung verschiedne, und gerade diese Örtlichkeiten waren im Munde des Volkes von nichtirdischen Wesen be¬ völkert oder wurden zeitweise von gespenstischen Erscheinungen heimgesucht. Der allernächste Punkt, wo es sogar am lichten Tage umging, war der erwähnte Schülerbnsch, den wir schon in zehn Minnten erreichen konnten. Auf uns Kinder übte diese waldige Höhe trotz der Geister, die sie bewohnen sollten, eine unwiderstehliche Anziehungskraft ans, und wir besuchten ihn deshalb in jeder Stunde, über die wir frei verfügen konnten. Diesem gegenüber, nur getrennt dnrch die rauschende Mauban, erhebt sich der finster bewaldete Scheibeberg, so benannt nach dem Ort Scheibe, welcher sich den Fluß entlang zieht und mit zu Hcrwigsdorf gehört. An den schrägen Abhängen dieses Berges, die größtenteils aus Acker- und Wiesenland bestanden,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200104/504>, abgerufen am 23.07.2024.