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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr.

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Zur Jahreswende.

Ob wir so weit wären, wem, nicht gleichzeitig von zwei Seiten das Selbst¬
gefühl der Nation kräftige Anregung erhalten Hütte, ist fraglich. Das konzentrische
Vorgehen gegen das Deutschtum an allen seinen Grenzen, die Gewaltthätigkeiten,
welche sich Völker erlauben, die noch bei dem Abc der Kultur stehen und auch
dies nnr in der Schule der Deutschen erlernt haben, erschöpfte endlich unsre
Langmut und brachte den Ncichsangehörigen die Pflicht in Erinnerung, die in
andern Staaten lebenden Stnmmesgenosseu in ihrem ungleichen Kampfe um
die Nationalität zu unterstützen. Und wie in diesem Falle, so war es im all¬
gemeinen die Jugend, welche durch die eigne Begeisterung auch die der Ältern
neu entzündete. Kein besseres Zeugnis kann wahrlich der heutigen Jugend aus¬
gestellt werden, als daß der vulgäre Liberalismus über ihre "Entartung" seufzt.
Freilich ist sie besser daran als die vorangegangenen Generationen,

Sie ist nicht in einer trüben und schweren Atmosphäre nnfgemachsen, aus welcher
der lebendige Mensch sich heransschncn mußte "ins Freie," sondern in frischer,
bewegter Luft, welche anregt und jeder Kraft gestattet, sich zu regen. Sie
braucht nicht zu träumen von Kaiser und Reich, sie erfreut sich der wieder-
crstandnen Herrlichkeit, seitdem sie sehen und verstehen gelernt hat. Sie beneidet
nicht mehr Engländer und Franzosen um das Recht, über alles zu reden und
zu schreiben, denn sie hat erfahren, was Reden wert sind und was Thaten.
Sie hat nicht das Gefühl, einem Pariavvlk anzugehören, das bescheiden zuschaut,
wenn andre Völker über das Schicksal der Welt entscheiden, sondern sie weiß,
daß im Rate der Völker kein Volk vor dein ihrigen den Vorrang einnimmt.
Sie ist nicht gezwungen gewesen, sich durchzuarbeiten durch Mcmchesterei, Wclt-
bürgerei, Weltschmerzelei, Kraftstoffelei, Pessimistelei und wie diese Seuchen alle
heißen, die wir zu bestehen hatten. Ihr ist vergönnt, sich des Lebens auf
dieser Erde zu erfreuen, die kein Paradies ist und keine Hölle. Sie liebt diesen
Boden, der sich nichts abgewinnen läßt ohne volle Anspannung aller Kräfte, sie
liebt ihn, weil es der Heimatboden ist, und möchte ihn gegen keinen frei¬
gebigern vertauschen. Sie hängt am Vaterlande mit der Treue, welche zu
jedem Opfer bereit ist und auch in schwerern Zeiten nicht wanken würde, nicht
mit unklarer Schwärmerei, welche in ernster Prüfung sich so rasch zu ver¬
flüchtigen pflegt. Sie tritt wieder, unbekümmert um das Gewitzel der Vatcr-
landslosen, ein für deutsche Sprache, deutsche Art und Sitte, sie blickt voll
Ehrfurcht zur Größe empor. Auf diese Jugend dürfen wir unser Vertrauen
setzen; je mehr sie handelnd in das Lebe" eintritt, desto mehr werden die Überlebten
und die Böswilligen, die Worthelden und die Schleicher vom Schauplätze verdrängt
werden. Darauf Wollen wir in der Sylvesternacht die Gläser klingen lassen!




Zur Jahreswende.

Ob wir so weit wären, wem, nicht gleichzeitig von zwei Seiten das Selbst¬
gefühl der Nation kräftige Anregung erhalten Hütte, ist fraglich. Das konzentrische
Vorgehen gegen das Deutschtum an allen seinen Grenzen, die Gewaltthätigkeiten,
welche sich Völker erlauben, die noch bei dem Abc der Kultur stehen und auch
dies nnr in der Schule der Deutschen erlernt haben, erschöpfte endlich unsre
Langmut und brachte den Ncichsangehörigen die Pflicht in Erinnerung, die in
andern Staaten lebenden Stnmmesgenosseu in ihrem ungleichen Kampfe um
die Nationalität zu unterstützen. Und wie in diesem Falle, so war es im all¬
gemeinen die Jugend, welche durch die eigne Begeisterung auch die der Ältern
neu entzündete. Kein besseres Zeugnis kann wahrlich der heutigen Jugend aus¬
gestellt werden, als daß der vulgäre Liberalismus über ihre „Entartung" seufzt.
Freilich ist sie besser daran als die vorangegangenen Generationen,

Sie ist nicht in einer trüben und schweren Atmosphäre nnfgemachsen, aus welcher
der lebendige Mensch sich heransschncn mußte „ins Freie," sondern in frischer,
bewegter Luft, welche anregt und jeder Kraft gestattet, sich zu regen. Sie
braucht nicht zu träumen von Kaiser und Reich, sie erfreut sich der wieder-
crstandnen Herrlichkeit, seitdem sie sehen und verstehen gelernt hat. Sie beneidet
nicht mehr Engländer und Franzosen um das Recht, über alles zu reden und
zu schreiben, denn sie hat erfahren, was Reden wert sind und was Thaten.
Sie hat nicht das Gefühl, einem Pariavvlk anzugehören, das bescheiden zuschaut,
wenn andre Völker über das Schicksal der Welt entscheiden, sondern sie weiß,
daß im Rate der Völker kein Volk vor dein ihrigen den Vorrang einnimmt.
Sie ist nicht gezwungen gewesen, sich durchzuarbeiten durch Mcmchesterei, Wclt-
bürgerei, Weltschmerzelei, Kraftstoffelei, Pessimistelei und wie diese Seuchen alle
heißen, die wir zu bestehen hatten. Ihr ist vergönnt, sich des Lebens auf
dieser Erde zu erfreuen, die kein Paradies ist und keine Hölle. Sie liebt diesen
Boden, der sich nichts abgewinnen läßt ohne volle Anspannung aller Kräfte, sie
liebt ihn, weil es der Heimatboden ist, und möchte ihn gegen keinen frei¬
gebigern vertauschen. Sie hängt am Vaterlande mit der Treue, welche zu
jedem Opfer bereit ist und auch in schwerern Zeiten nicht wanken würde, nicht
mit unklarer Schwärmerei, welche in ernster Prüfung sich so rasch zu ver¬
flüchtigen pflegt. Sie tritt wieder, unbekümmert um das Gewitzel der Vatcr-
landslosen, ein für deutsche Sprache, deutsche Art und Sitte, sie blickt voll
Ehrfurcht zur Größe empor. Auf diese Jugend dürfen wir unser Vertrauen
setzen; je mehr sie handelnd in das Lebe» eintritt, desto mehr werden die Überlebten
und die Böswilligen, die Worthelden und die Schleicher vom Schauplätze verdrängt
werden. Darauf Wollen wir in der Sylvesternacht die Gläser klingen lassen!




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[0048] Zur Jahreswende. Ob wir so weit wären, wem, nicht gleichzeitig von zwei Seiten das Selbst¬ gefühl der Nation kräftige Anregung erhalten Hütte, ist fraglich. Das konzentrische Vorgehen gegen das Deutschtum an allen seinen Grenzen, die Gewaltthätigkeiten, welche sich Völker erlauben, die noch bei dem Abc der Kultur stehen und auch dies nnr in der Schule der Deutschen erlernt haben, erschöpfte endlich unsre Langmut und brachte den Ncichsangehörigen die Pflicht in Erinnerung, die in andern Staaten lebenden Stnmmesgenosseu in ihrem ungleichen Kampfe um die Nationalität zu unterstützen. Und wie in diesem Falle, so war es im all¬ gemeinen die Jugend, welche durch die eigne Begeisterung auch die der Ältern neu entzündete. Kein besseres Zeugnis kann wahrlich der heutigen Jugend aus¬ gestellt werden, als daß der vulgäre Liberalismus über ihre „Entartung" seufzt. Freilich ist sie besser daran als die vorangegangenen Generationen, Sie ist nicht in einer trüben und schweren Atmosphäre nnfgemachsen, aus welcher der lebendige Mensch sich heransschncn mußte „ins Freie," sondern in frischer, bewegter Luft, welche anregt und jeder Kraft gestattet, sich zu regen. Sie braucht nicht zu träumen von Kaiser und Reich, sie erfreut sich der wieder- crstandnen Herrlichkeit, seitdem sie sehen und verstehen gelernt hat. Sie beneidet nicht mehr Engländer und Franzosen um das Recht, über alles zu reden und zu schreiben, denn sie hat erfahren, was Reden wert sind und was Thaten. Sie hat nicht das Gefühl, einem Pariavvlk anzugehören, das bescheiden zuschaut, wenn andre Völker über das Schicksal der Welt entscheiden, sondern sie weiß, daß im Rate der Völker kein Volk vor dein ihrigen den Vorrang einnimmt. Sie ist nicht gezwungen gewesen, sich durchzuarbeiten durch Mcmchesterei, Wclt- bürgerei, Weltschmerzelei, Kraftstoffelei, Pessimistelei und wie diese Seuchen alle heißen, die wir zu bestehen hatten. Ihr ist vergönnt, sich des Lebens auf dieser Erde zu erfreuen, die kein Paradies ist und keine Hölle. Sie liebt diesen Boden, der sich nichts abgewinnen läßt ohne volle Anspannung aller Kräfte, sie liebt ihn, weil es der Heimatboden ist, und möchte ihn gegen keinen frei¬ gebigern vertauschen. Sie hängt am Vaterlande mit der Treue, welche zu jedem Opfer bereit ist und auch in schwerern Zeiten nicht wanken würde, nicht mit unklarer Schwärmerei, welche in ernster Prüfung sich so rasch zu ver¬ flüchtigen pflegt. Sie tritt wieder, unbekümmert um das Gewitzel der Vatcr- landslosen, ein für deutsche Sprache, deutsche Art und Sitte, sie blickt voll Ehrfurcht zur Größe empor. Auf diese Jugend dürfen wir unser Vertrauen setzen; je mehr sie handelnd in das Lebe» eintritt, desto mehr werden die Überlebten und die Böswilligen, die Worthelden und die Schleicher vom Schauplätze verdrängt werden. Darauf Wollen wir in der Sylvesternacht die Gläser klingen lassen!

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200104/48>, abgerufen am 23.12.2024.