Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr.bannt." Ist das nun Wirklichkeit, oder ist es nicht vielmehr der gröblichste, Stark ist die Versuchung, auch noch ein Wort über die mit dem Juden¬ bannt." Ist das nun Wirklichkeit, oder ist es nicht vielmehr der gröblichste, Stark ist die Versuchung, auch noch ein Wort über die mit dem Juden¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0453" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/200558"/> <fw type="header" place="top"/><lb/> <p xml:id="ID_1408" prev="#ID_1407"> bannt." Ist das nun Wirklichkeit, oder ist es nicht vielmehr der gröblichste,<lb/> einseitigste, ja man möchte sagen roheste Parteistaudpnnkt? Ziemt es sich, eine<lb/> so weitverbreitete Richtung, welche unsern Kaiser selbst samt allen den Männern,<lb/> die unser neues Reich begründet haben, welche eine solche Menge von Koryphäen<lb/> der Kunst und Wissenschaft zu ihren Anhängern zählt, ohne weiteres der Heuchelei<lb/> zu beschuldige»? Oder hat es auch nur eine innere Wahrscheinlichkeit für sich,<lb/> daß der Standpunkt, welcher vor Zeiten unser Volk gerettet und ihm die<lb/> Wiedercrhebnng ans schwersten Elend ermöglicht, welcher so unendlich vieles<lb/> zur Vorbereitung unsrer großen literarischen und philosophischen Gcistcsperiode<lb/> beigetragen hat, heute schon keine überzeugten Anhänger mehr haben soll?<lb/> Wenn doch diese, so leicht mit den gröblichsten Beschimpfungen andersdenkender<lb/> um sich werfenden Leute einmal einen Blick in ein wirklich „frommes" Haus<lb/> werfen, wenn sie doch einmal sehen könnten, welche unsäglich schweren Schicksale<lb/> dort gläubig und freudig ertragen, welche heldenmütigen Tugenden mit Gottes<lb/> Hilfe ganze Menschenalter hindurch geübt werden! Es widerstrebt uns, bei<lb/> diesem Punkte lange zu verweilen. Aber ein Wort möge uns noch über den¬<lb/> selben gestattet sein. Eine Lieblingsfignr gewisser Romane (und auch Dramen)<lb/> ist der freisinnige Geistliche, der die ganze Gemeinde aus seiner Seite hat und<lb/> einen gewaltigen, natürlich unsäglich segensreichen Einfluß ans sie ausübt. Nun,<lb/> wir kennen in der That mehrere Geistliche, die in ähnlicher Weise innerhalb<lb/> ihrer Gemeinde stehen und der ärgsten Verwilderung durch ihre geistige und<lb/> sittliche Kraft ein Ende gemacht haben, und es sind uns auch Fälle bekannt,<lb/> wo solche Geistliche noch viele Jahre nach ihrem Tode als wahre Schutzengel<lb/> der Gemeinde betrachtet und beweint wurden. Aber diese Geistlichen sind oder<lb/> waren allesamt — orthodox, um uns des von den Gegnern mit solcher Vor¬<lb/> liebe benutzten, bei der Freiheit auch des positivsten heutigen Christentums in<lb/> Wahrheit garnicht mehr zutreffende» Wortes zu bedienen. Wir sagen nicht,<lb/> daß nicht ein solcher Einfluß auch von einem liberalen Geistlichen geübt werden<lb/> könnte. Aber — man zeige uns einen!</p><lb/> <p xml:id="ID_1409"> Stark ist die Versuchung, auch noch ein Wort über die mit dem Juden¬<lb/> tum und den so zahlreichen „edeln" und „hochgebildeten" Juden und Jüdinnen<lb/> unsrer Romane getriebene Verherrlichung zu reden, insbesondre auch über die<lb/> geflissentlich überall eingestreuten Darstellungen, als ob diese zcihestc aller Rassen<lb/> im Begriffe stehe, sich in unser weiches, in nationaler Hinsicht so wenig wider¬<lb/> standsfähiges Deutschtum hinein zu verschmelzen. Aber es mag genug sein.<lb/> Man überzeuge sich, in welchem Umfange und in welchem, wir wollen nicht<lb/> sagen systematischen und bewußten, aber offenbar von einem einheitlichen Geiste<lb/> erfüllten Weise diejenige Nomanliteratnr, welche sich an die Massen des Bürger-<lb/> tums und des Mittelstandes und den lesewütigcu Teil der untern Volksklassen<lb/> wendet, von den oben angedeuteten Sätzen durchtränkt ist. Es ist wahr, daß<lb/> seit einigen Jahren ein neuer Geist sich zu entfalten beginnt, daß neue, von<lb/> dem Bisherigen ganz abweichende Erscheinungen in wachsender Zahl auftauchen<lb/> und einen allmählich immer größer werdenden Renum einnehmen. Aber auf<lb/> die Masse des Lesepublikums und gerade auch auf diejenigen Schriften, welche<lb/> dahinein dringen, ist dies noch so gut wie einflußlos geblieben, ja es wird noch<lb/> kaum bemerkt.' Es ist also immerhin hoch an der Zeit, darauf aufmerksam zu<lb/> macheu, wie eifrig und nicht erfolglos hier an der Verfälschung unsers Volks¬<lb/> geistes gearbeitet'wird, und wie nötig es ist, sich der hieraus entspringenden<lb/> eigentümlichen Gefahren bewußt zu sein.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0453]
bannt." Ist das nun Wirklichkeit, oder ist es nicht vielmehr der gröblichste,
einseitigste, ja man möchte sagen roheste Parteistaudpnnkt? Ziemt es sich, eine
so weitverbreitete Richtung, welche unsern Kaiser selbst samt allen den Männern,
die unser neues Reich begründet haben, welche eine solche Menge von Koryphäen
der Kunst und Wissenschaft zu ihren Anhängern zählt, ohne weiteres der Heuchelei
zu beschuldige»? Oder hat es auch nur eine innere Wahrscheinlichkeit für sich,
daß der Standpunkt, welcher vor Zeiten unser Volk gerettet und ihm die
Wiedercrhebnng ans schwersten Elend ermöglicht, welcher so unendlich vieles
zur Vorbereitung unsrer großen literarischen und philosophischen Gcistcsperiode
beigetragen hat, heute schon keine überzeugten Anhänger mehr haben soll?
Wenn doch diese, so leicht mit den gröblichsten Beschimpfungen andersdenkender
um sich werfenden Leute einmal einen Blick in ein wirklich „frommes" Haus
werfen, wenn sie doch einmal sehen könnten, welche unsäglich schweren Schicksale
dort gläubig und freudig ertragen, welche heldenmütigen Tugenden mit Gottes
Hilfe ganze Menschenalter hindurch geübt werden! Es widerstrebt uns, bei
diesem Punkte lange zu verweilen. Aber ein Wort möge uns noch über den¬
selben gestattet sein. Eine Lieblingsfignr gewisser Romane (und auch Dramen)
ist der freisinnige Geistliche, der die ganze Gemeinde aus seiner Seite hat und
einen gewaltigen, natürlich unsäglich segensreichen Einfluß ans sie ausübt. Nun,
wir kennen in der That mehrere Geistliche, die in ähnlicher Weise innerhalb
ihrer Gemeinde stehen und der ärgsten Verwilderung durch ihre geistige und
sittliche Kraft ein Ende gemacht haben, und es sind uns auch Fälle bekannt,
wo solche Geistliche noch viele Jahre nach ihrem Tode als wahre Schutzengel
der Gemeinde betrachtet und beweint wurden. Aber diese Geistlichen sind oder
waren allesamt — orthodox, um uns des von den Gegnern mit solcher Vor¬
liebe benutzten, bei der Freiheit auch des positivsten heutigen Christentums in
Wahrheit garnicht mehr zutreffende» Wortes zu bedienen. Wir sagen nicht,
daß nicht ein solcher Einfluß auch von einem liberalen Geistlichen geübt werden
könnte. Aber — man zeige uns einen!
Stark ist die Versuchung, auch noch ein Wort über die mit dem Juden¬
tum und den so zahlreichen „edeln" und „hochgebildeten" Juden und Jüdinnen
unsrer Romane getriebene Verherrlichung zu reden, insbesondre auch über die
geflissentlich überall eingestreuten Darstellungen, als ob diese zcihestc aller Rassen
im Begriffe stehe, sich in unser weiches, in nationaler Hinsicht so wenig wider¬
standsfähiges Deutschtum hinein zu verschmelzen. Aber es mag genug sein.
Man überzeuge sich, in welchem Umfange und in welchem, wir wollen nicht
sagen systematischen und bewußten, aber offenbar von einem einheitlichen Geiste
erfüllten Weise diejenige Nomanliteratnr, welche sich an die Massen des Bürger-
tums und des Mittelstandes und den lesewütigcu Teil der untern Volksklassen
wendet, von den oben angedeuteten Sätzen durchtränkt ist. Es ist wahr, daß
seit einigen Jahren ein neuer Geist sich zu entfalten beginnt, daß neue, von
dem Bisherigen ganz abweichende Erscheinungen in wachsender Zahl auftauchen
und einen allmählich immer größer werdenden Renum einnehmen. Aber auf
die Masse des Lesepublikums und gerade auch auf diejenigen Schriften, welche
dahinein dringen, ist dies noch so gut wie einflußlos geblieben, ja es wird noch
kaum bemerkt.' Es ist also immerhin hoch an der Zeit, darauf aufmerksam zu
macheu, wie eifrig und nicht erfolglos hier an der Verfälschung unsers Volks¬
geistes gearbeitet'wird, und wie nötig es ist, sich der hieraus entspringenden
eigentümlichen Gefahren bewußt zu sein.
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |