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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr.

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einmal begeistert auf der Orgel spielen hören und dadurch Interesse für ihn
gewonnen. Sie blieb uicht mehr so streng abweisend gegen ihn, und es bildete
sich allmählich ein vertraulicher Verkehr zwischen ihr, Onkel Joachim und dem
Kandidaten. Da geschah etwas, was diese Idylle plötzlich zerstörte.

Luisen wurde der Aufenthalt im Hause ihres frivolen und heuchlerischen
Vormundes täglich unerträglicher. Er wollte sie schließlich zur Ehe mit einem
ungeliebten Vetter Kasimir, einem geschwätzigen Gecken, zwingen, wogegen sie sich
mit all ihrer Energie zur Wehre setzte. Eines Tages kam eine wandernde
Schauspielertruppe durch das Dorf des Gutsherrn; es war die Truppe eines
im besten Rufe stehenden Schauspielers Konstantin Spielberg. Luise hatte
diesen Spielberg schon im Berliner Schauspielhause auftreten sehen. Sie war
sogar in persönliche Beziehung zu ihm geraten, da sie und Onkel Joachim sich
in demselben Gasthofe aufgehalten hatten, wo Spielberg wohnte, und ihn bei
der Wirtstafel häufig getroffen hatte. Luise war damals in kindlichem En¬
thusiasmus für den Schauspieler erglüht, der dreist genug war, der jungen
Baronin brieflich einen Heiratsantrag ins Haus zu schicken. Luise hatte
uicht deu Menschen vom Künstler trennen können, und es war nur der schleunig
durch Onkel Joachim bewerkstelligte!? Abreise zu danken gewesen, daß es uicht
schon damals zu einer Katastrophe kam. Seitdem waren allerdings vier Jahre
vergangen, aber Luise hatte für die Schauspielkunst immer eine besondre Sym¬
pathie behalten. Nun kam Spiclberg als Direktor einer Wandertruppe durchs
Dorf. Unterwegs war eine der mitwirkenden Frauen erkrankt, und er suchte
beim Gutsherrn, der die Polizeigewalt inne hatte, um die Erlaubnis uach, die
Nacht mit seiner Truppe im Dorf verbringen zu dürfen. Aber der muckerische
Baron Ansatz verweigerte dem Schauspieler diese Erlaubnis, für seinen frommen
Sinn gab es keine menschliche Barmherzigkeit mit dem Schanspiclervolk. Es
kam zu einer erregten Szene, die durch die Fürbitte der hinzutretender Luise,
ihre Parteinahme für den fremden, nicht eben bescheiden auftretenden Mann
nur noch erregter wurde. Der abgewiesene Freier Luisens ließ sich vom Zorn
zu einem Hieb mit der Reitpeitsche nach dem Schauspieler hinreißen, Spielberg
fing ihn noch rechtzeitig mit der vorgestreckten Hand auf. "Elender! hörte man
die schneidende Stimme des Junkers, das -- das -- erfrechst du dich, mir ins
Gesicht -- Aber er konnte nicht weiter reden. Denn ohne daß irgend einer
ihre Annäherung bemerkt hätte, stand das Stiftsfräulein plötzlich hochaufgerichtet
zwischen den wutentbrannten Gegnern. Zurück! herrschte sie dem Junker zu.
Nur das eine Wort, aber in einem Tone, der selbst ihn, in Mark und Bein
dringen mußte. Denn ich sah, wie er kreideweiß wurde, ein Paar ohnmächtige
Worte stammelte und den Kopf zwischen die Schultern zog. Sie aber, ohne
ihn eines Blickes zu würdigen, trat ans den so schnöde behandelten Fremden
zu, ergriff seine schlaff herabhängende Hand, auf der ein duukelroter Streifen
sichtbar geworden war, und sich zu ihr herabneigeud, drückte sie einen raschen


einmal begeistert auf der Orgel spielen hören und dadurch Interesse für ihn
gewonnen. Sie blieb uicht mehr so streng abweisend gegen ihn, und es bildete
sich allmählich ein vertraulicher Verkehr zwischen ihr, Onkel Joachim und dem
Kandidaten. Da geschah etwas, was diese Idylle plötzlich zerstörte.

Luisen wurde der Aufenthalt im Hause ihres frivolen und heuchlerischen
Vormundes täglich unerträglicher. Er wollte sie schließlich zur Ehe mit einem
ungeliebten Vetter Kasimir, einem geschwätzigen Gecken, zwingen, wogegen sie sich
mit all ihrer Energie zur Wehre setzte. Eines Tages kam eine wandernde
Schauspielertruppe durch das Dorf des Gutsherrn; es war die Truppe eines
im besten Rufe stehenden Schauspielers Konstantin Spielberg. Luise hatte
diesen Spielberg schon im Berliner Schauspielhause auftreten sehen. Sie war
sogar in persönliche Beziehung zu ihm geraten, da sie und Onkel Joachim sich
in demselben Gasthofe aufgehalten hatten, wo Spielberg wohnte, und ihn bei
der Wirtstafel häufig getroffen hatte. Luise war damals in kindlichem En¬
thusiasmus für den Schauspieler erglüht, der dreist genug war, der jungen
Baronin brieflich einen Heiratsantrag ins Haus zu schicken. Luise hatte
uicht deu Menschen vom Künstler trennen können, und es war nur der schleunig
durch Onkel Joachim bewerkstelligte!? Abreise zu danken gewesen, daß es uicht
schon damals zu einer Katastrophe kam. Seitdem waren allerdings vier Jahre
vergangen, aber Luise hatte für die Schauspielkunst immer eine besondre Sym¬
pathie behalten. Nun kam Spiclberg als Direktor einer Wandertruppe durchs
Dorf. Unterwegs war eine der mitwirkenden Frauen erkrankt, und er suchte
beim Gutsherrn, der die Polizeigewalt inne hatte, um die Erlaubnis uach, die
Nacht mit seiner Truppe im Dorf verbringen zu dürfen. Aber der muckerische
Baron Ansatz verweigerte dem Schauspieler diese Erlaubnis, für seinen frommen
Sinn gab es keine menschliche Barmherzigkeit mit dem Schanspiclervolk. Es
kam zu einer erregten Szene, die durch die Fürbitte der hinzutretender Luise,
ihre Parteinahme für den fremden, nicht eben bescheiden auftretenden Mann
nur noch erregter wurde. Der abgewiesene Freier Luisens ließ sich vom Zorn
zu einem Hieb mit der Reitpeitsche nach dem Schauspieler hinreißen, Spielberg
fing ihn noch rechtzeitig mit der vorgestreckten Hand auf. „Elender! hörte man
die schneidende Stimme des Junkers, das — das — erfrechst du dich, mir ins
Gesicht — Aber er konnte nicht weiter reden. Denn ohne daß irgend einer
ihre Annäherung bemerkt hätte, stand das Stiftsfräulein plötzlich hochaufgerichtet
zwischen den wutentbrannten Gegnern. Zurück! herrschte sie dem Junker zu.
Nur das eine Wort, aber in einem Tone, der selbst ihn, in Mark und Bein
dringen mußte. Denn ich sah, wie er kreideweiß wurde, ein Paar ohnmächtige
Worte stammelte und den Kopf zwischen die Schultern zog. Sie aber, ohne
ihn eines Blickes zu würdigen, trat ans den so schnöde behandelten Fremden
zu, ergriff seine schlaff herabhängende Hand, auf der ein duukelroter Streifen
sichtbar geworden war, und sich zu ihr herabneigeud, drückte sie einen raschen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200104/438>, abgerufen am 23.12.2024.