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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr.

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Paul Hoyses Roman der Stiftsdame.

Geschmacks über diese Art, sich selbst in die Geschichte einzuführen, den Kopf
schütteln; weder der jüngere Heyse, der in seinem "Letzten Centaur" sich sebst
gar meisterlich und poetisch in die Handlung einführte, noch ein andrer Dichter
haben eine solche Reflexion auf den eignen literarischen Ruhm, der ja zweifellos
und zu Recht besteht, gewagt. Und dennoch, überschaut man die ganze Ge¬
schichte der Stiftsdame, so wird mau ein feines künstlerisches Motiv selbst in
diesem Wagnis Hcyscs nicht verkennen können. Denn mau wird dann zuge¬
stehen müssen, daß der Herr Johannes Weißbrodt mit seiner bis ans Lebens¬
ende unausgereiften Jünglingsseele, welche wieder eine Bedingung für die
Handlung des ganzen Romans ist, nicht besser eingeführt werden konnte, als
durch das hastige Davonlaufen bei der Begegnung mit dem fremden Manne
und durch den nachhinkenden Eutschuldigungsbrief samt der ausführlichen Beichte,
nachdem er erfahren hat, wer eigentlich jener Fremde gewesen sei. Diese Er¬
kenntnis des künstlerischen Zusammenhanges rückt Heyses Wagnis in ein humo¬
ristisch versöhnendes Licht, wenn auch der Humor des Falles nicht ausdrücklich
betont wird. Und nun zur eigentlichen Geschichte.

Johannes Weißbrodt war der Sohn eines höhern angesehenen Geistlichen
in Berlin und studirte auch Theologie. Es geschah dies zu Anfang der vierziger
Jahre, und er hatte sich der orthodoxen Richtung angeschlossen, welche damals gegen
die historisch-kritische Schule stritt. Er war ein gutmütiger, aber auch sehr
eitler junger Mensch. Auf seine scholastische Gelehrsamkeit, auf seine Disputir-
kuust that er sich viel zugute und hoffte jedenfalls ein großes Kirchenlicht zu
werden. Schon jetzt hatte er großen Respekt vor sich selbst, er trug ein würde¬
volles Äußere zur Schau, und das lange Haar war in wohlgepflegtem Christus¬
scheitel hinter die Ohre" gestrichen. Als absolvirtcr Kandidat und ohne Ver¬
mögen nahm er eine Hofmcisterstclle bei einem Rittergutsbesitzer in der Mark
an. Mit dieser Stelle war die Aussicht auf das Pastorat des Gutes ver¬
bunden, welches bei dem hohen Alter des noch im Amte stehenden, überdies
kränklichen Pastors bald erledigt sein sollte. In dieser Stellung als Hofmeister
der zwei Kinder des Barons Ansatz lernte Johannes das Stiftsfräulein
Luise, die Nichte desselben, kennen. Sie war eine Waise, im Alter von vier-
uudzwnnzig Jahre", der Baron war ihr Vormund. Aber sie lebte mit ihm in
keinem guten Einvernehmen. Baron Nchatz trug äußerlich die ganze Würde
des Adlichen zur Schau, war aber nichts weniger als ein edler Mann. Seine
Frömmigkeit war Heuchelei, seiue Reden waren hohle Phrasen. Unter den
Augen der eignen Frau, der Mutter seiner halberwachsenen Kinder, die ihm,
dem verarmten Offizier, das reiche Heiratsgut ins Haus gebracht hatte, hielt
er sich in einer schlauen Französin, Fräulein Suzon, eine sogenannte Gesell¬
schafterin; denn die seelensgute Baronin war durch schwere körperliche Gebrechen
nicht imstande, sich zu bewegen. Und nur der ruhelosen Thätigkeit seines Bruders
Joachim hatte es der Baron überhaupt zu danken, daß die Gntswirtschast im


Paul Hoyses Roman der Stiftsdame.

Geschmacks über diese Art, sich selbst in die Geschichte einzuführen, den Kopf
schütteln; weder der jüngere Heyse, der in seinem „Letzten Centaur" sich sebst
gar meisterlich und poetisch in die Handlung einführte, noch ein andrer Dichter
haben eine solche Reflexion auf den eignen literarischen Ruhm, der ja zweifellos
und zu Recht besteht, gewagt. Und dennoch, überschaut man die ganze Ge¬
schichte der Stiftsdame, so wird mau ein feines künstlerisches Motiv selbst in
diesem Wagnis Hcyscs nicht verkennen können. Denn mau wird dann zuge¬
stehen müssen, daß der Herr Johannes Weißbrodt mit seiner bis ans Lebens¬
ende unausgereiften Jünglingsseele, welche wieder eine Bedingung für die
Handlung des ganzen Romans ist, nicht besser eingeführt werden konnte, als
durch das hastige Davonlaufen bei der Begegnung mit dem fremden Manne
und durch den nachhinkenden Eutschuldigungsbrief samt der ausführlichen Beichte,
nachdem er erfahren hat, wer eigentlich jener Fremde gewesen sei. Diese Er¬
kenntnis des künstlerischen Zusammenhanges rückt Heyses Wagnis in ein humo¬
ristisch versöhnendes Licht, wenn auch der Humor des Falles nicht ausdrücklich
betont wird. Und nun zur eigentlichen Geschichte.

Johannes Weißbrodt war der Sohn eines höhern angesehenen Geistlichen
in Berlin und studirte auch Theologie. Es geschah dies zu Anfang der vierziger
Jahre, und er hatte sich der orthodoxen Richtung angeschlossen, welche damals gegen
die historisch-kritische Schule stritt. Er war ein gutmütiger, aber auch sehr
eitler junger Mensch. Auf seine scholastische Gelehrsamkeit, auf seine Disputir-
kuust that er sich viel zugute und hoffte jedenfalls ein großes Kirchenlicht zu
werden. Schon jetzt hatte er großen Respekt vor sich selbst, er trug ein würde¬
volles Äußere zur Schau, und das lange Haar war in wohlgepflegtem Christus¬
scheitel hinter die Ohre» gestrichen. Als absolvirtcr Kandidat und ohne Ver¬
mögen nahm er eine Hofmcisterstclle bei einem Rittergutsbesitzer in der Mark
an. Mit dieser Stelle war die Aussicht auf das Pastorat des Gutes ver¬
bunden, welches bei dem hohen Alter des noch im Amte stehenden, überdies
kränklichen Pastors bald erledigt sein sollte. In dieser Stellung als Hofmeister
der zwei Kinder des Barons Ansatz lernte Johannes das Stiftsfräulein
Luise, die Nichte desselben, kennen. Sie war eine Waise, im Alter von vier-
uudzwnnzig Jahre», der Baron war ihr Vormund. Aber sie lebte mit ihm in
keinem guten Einvernehmen. Baron Nchatz trug äußerlich die ganze Würde
des Adlichen zur Schau, war aber nichts weniger als ein edler Mann. Seine
Frömmigkeit war Heuchelei, seiue Reden waren hohle Phrasen. Unter den
Augen der eignen Frau, der Mutter seiner halberwachsenen Kinder, die ihm,
dem verarmten Offizier, das reiche Heiratsgut ins Haus gebracht hatte, hielt
er sich in einer schlauen Französin, Fräulein Suzon, eine sogenannte Gesell¬
schafterin; denn die seelensgute Baronin war durch schwere körperliche Gebrechen
nicht imstande, sich zu bewegen. Und nur der ruhelosen Thätigkeit seines Bruders
Joachim hatte es der Baron überhaupt zu danken, daß die Gntswirtschast im


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200104/435>, abgerufen am 23.12.2024.