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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr.

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Toynbee-Hall,

eröffnen, die ihm sonst für immer verschlossen blieben. Daß das University-
Extcnsion-Movement in der That einem bestehenden Bedürfnis entgegengekommen
ist, zeigen Fälle wie folgender. Zwei Arbeiter nahmen an einem Kurse über
Chemie, der im Cramlington abgehalten wurde, teil und legten den Hin- und
Rückweg, jedesmal etwa fünf englische Meilen, zu Fuß zurück. Nachbarn von
ihnen hätten ebenfalls gern an dem Kurse teilgenommen, konnten sich jedoch
den erforderlichen Aufwand an Zeit nicht gestatten. Man veranstaltete daher
in dem Heimatsdorfe einen ähnlichen Kursus, in dem die beiden Teilnehmer der
Extensionvorlesung deren Inhalt so gut als möglich wiedergaben. Sie ver¬
schafften sich sogar einige Apparate, um die Experimente zu wiederholen. Auf
ihren ausdrücklichen Wunsch veranstaltete der Extensionlehrer gegen Ende des
Kursus eine Prüfung, in welcher er "eine tüchtige Kenntnis des behandelten Gegen¬
standes fand, die selbst zum Bestehen eines gewöhnlichen Universitätsexamens
auf demselben Gebiete ausgereicht haben würde."

Vermöge des Universith-Extension'Movement folgt die aristokratische Univer¬
sitätsbildung -- in England weit exklusiver als bei uns -- dem Zuge der Zeit.
Die einzige Schwierigkeit, mit der die Bewegung auf die Dauer zu rechnen haben
wird, ist der Mangel an geeigneten Lehrern. Denn nnr wenige Männer sind
geneigt, irgend welche gelehrte Laufbahn zu unterbrechen, um einige Jahre als
Extensionlehrer zu wirken. Da ist es denn ein Glück, daß die Universitäten
noch den Reichtum besitzen, mit welchem die Vorfahren sie einst beschenkt haben.
Schon heute übersteigt die Anzahl der Fellowstellen, die auf den vorhandnen
Stiftungen beruhen, das Bedürfnis an Lehrkräften innerhalb der OollöAös;
Neugründungen von I?"z11ovslüxs könnten sich bei dem Reichtum der "noite^os
wohl ermöglichen lassen. Auf diesem Wege dürfte man einst den Bedarf an
Lehrern für das Extension-Movement decken. Denn schon in der kurzen Zeit,
während der man Erfahrungen machen konnte, hat sich gezeigt, daß der Fellow,
welcher in seiner akademischen Stellung einen festen Rückhalt hat, der geeignetste
Extensionlehrer ist. Man hat also nur bestehende Einrichtungen weiter aus¬
zubilden, um eine stets wachsende Schar tüchtiger Männer von den Universitäten
hinaufzusenden, Boten der Wissenschaft, welche zwar keinen berühmten Namen,
aber doch Frische und jugendlichen Eifer mit an ihr Werk bringen.




4.

Wenn das Extension-Movcment in Ost-London mit besondern Schwierigkeiten
zu kämpfen hatte, so beruht das auf den eigentümlichen Verhältnissen der unter
jenen Namen zusammengefaßten Stadtteile. Der bisher eingeschlagene Weg
erwies sich in diesem Falle als unzulänglich, und der Notwendigkeit, zu außer¬
ordentlichen Maßregeln zu greifen, verdankt Tohnbcc-Hall seine Entstehung.

Ost-London, dem weite Bezirke des Nordens und der größere Teil des
Südens der Stadt zuzuzählen sind, ist eine Stadt für sich mit etwa doppelt


Toynbee-Hall,

eröffnen, die ihm sonst für immer verschlossen blieben. Daß das University-
Extcnsion-Movement in der That einem bestehenden Bedürfnis entgegengekommen
ist, zeigen Fälle wie folgender. Zwei Arbeiter nahmen an einem Kurse über
Chemie, der im Cramlington abgehalten wurde, teil und legten den Hin- und
Rückweg, jedesmal etwa fünf englische Meilen, zu Fuß zurück. Nachbarn von
ihnen hätten ebenfalls gern an dem Kurse teilgenommen, konnten sich jedoch
den erforderlichen Aufwand an Zeit nicht gestatten. Man veranstaltete daher
in dem Heimatsdorfe einen ähnlichen Kursus, in dem die beiden Teilnehmer der
Extensionvorlesung deren Inhalt so gut als möglich wiedergaben. Sie ver¬
schafften sich sogar einige Apparate, um die Experimente zu wiederholen. Auf
ihren ausdrücklichen Wunsch veranstaltete der Extensionlehrer gegen Ende des
Kursus eine Prüfung, in welcher er „eine tüchtige Kenntnis des behandelten Gegen¬
standes fand, die selbst zum Bestehen eines gewöhnlichen Universitätsexamens
auf demselben Gebiete ausgereicht haben würde."

Vermöge des Universith-Extension'Movement folgt die aristokratische Univer¬
sitätsbildung — in England weit exklusiver als bei uns — dem Zuge der Zeit.
Die einzige Schwierigkeit, mit der die Bewegung auf die Dauer zu rechnen haben
wird, ist der Mangel an geeigneten Lehrern. Denn nnr wenige Männer sind
geneigt, irgend welche gelehrte Laufbahn zu unterbrechen, um einige Jahre als
Extensionlehrer zu wirken. Da ist es denn ein Glück, daß die Universitäten
noch den Reichtum besitzen, mit welchem die Vorfahren sie einst beschenkt haben.
Schon heute übersteigt die Anzahl der Fellowstellen, die auf den vorhandnen
Stiftungen beruhen, das Bedürfnis an Lehrkräften innerhalb der OollöAös;
Neugründungen von I?«z11ovslüxs könnten sich bei dem Reichtum der «noite^os
wohl ermöglichen lassen. Auf diesem Wege dürfte man einst den Bedarf an
Lehrern für das Extension-Movement decken. Denn schon in der kurzen Zeit,
während der man Erfahrungen machen konnte, hat sich gezeigt, daß der Fellow,
welcher in seiner akademischen Stellung einen festen Rückhalt hat, der geeignetste
Extensionlehrer ist. Man hat also nur bestehende Einrichtungen weiter aus¬
zubilden, um eine stets wachsende Schar tüchtiger Männer von den Universitäten
hinaufzusenden, Boten der Wissenschaft, welche zwar keinen berühmten Namen,
aber doch Frische und jugendlichen Eifer mit an ihr Werk bringen.




4.

Wenn das Extension-Movcment in Ost-London mit besondern Schwierigkeiten
zu kämpfen hatte, so beruht das auf den eigentümlichen Verhältnissen der unter
jenen Namen zusammengefaßten Stadtteile. Der bisher eingeschlagene Weg
erwies sich in diesem Falle als unzulänglich, und der Notwendigkeit, zu außer¬
ordentlichen Maßregeln zu greifen, verdankt Tohnbcc-Hall seine Entstehung.

Ost-London, dem weite Bezirke des Nordens und der größere Teil des
Südens der Stadt zuzuzählen sind, ist eine Stadt für sich mit etwa doppelt


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[0422] Toynbee-Hall, eröffnen, die ihm sonst für immer verschlossen blieben. Daß das University- Extcnsion-Movement in der That einem bestehenden Bedürfnis entgegengekommen ist, zeigen Fälle wie folgender. Zwei Arbeiter nahmen an einem Kurse über Chemie, der im Cramlington abgehalten wurde, teil und legten den Hin- und Rückweg, jedesmal etwa fünf englische Meilen, zu Fuß zurück. Nachbarn von ihnen hätten ebenfalls gern an dem Kurse teilgenommen, konnten sich jedoch den erforderlichen Aufwand an Zeit nicht gestatten. Man veranstaltete daher in dem Heimatsdorfe einen ähnlichen Kursus, in dem die beiden Teilnehmer der Extensionvorlesung deren Inhalt so gut als möglich wiedergaben. Sie ver¬ schafften sich sogar einige Apparate, um die Experimente zu wiederholen. Auf ihren ausdrücklichen Wunsch veranstaltete der Extensionlehrer gegen Ende des Kursus eine Prüfung, in welcher er „eine tüchtige Kenntnis des behandelten Gegen¬ standes fand, die selbst zum Bestehen eines gewöhnlichen Universitätsexamens auf demselben Gebiete ausgereicht haben würde." Vermöge des Universith-Extension'Movement folgt die aristokratische Univer¬ sitätsbildung — in England weit exklusiver als bei uns — dem Zuge der Zeit. Die einzige Schwierigkeit, mit der die Bewegung auf die Dauer zu rechnen haben wird, ist der Mangel an geeigneten Lehrern. Denn nnr wenige Männer sind geneigt, irgend welche gelehrte Laufbahn zu unterbrechen, um einige Jahre als Extensionlehrer zu wirken. Da ist es denn ein Glück, daß die Universitäten noch den Reichtum besitzen, mit welchem die Vorfahren sie einst beschenkt haben. Schon heute übersteigt die Anzahl der Fellowstellen, die auf den vorhandnen Stiftungen beruhen, das Bedürfnis an Lehrkräften innerhalb der OollöAös; Neugründungen von I?«z11ovslüxs könnten sich bei dem Reichtum der «noite^os wohl ermöglichen lassen. Auf diesem Wege dürfte man einst den Bedarf an Lehrern für das Extension-Movement decken. Denn schon in der kurzen Zeit, während der man Erfahrungen machen konnte, hat sich gezeigt, daß der Fellow, welcher in seiner akademischen Stellung einen festen Rückhalt hat, der geeignetste Extensionlehrer ist. Man hat also nur bestehende Einrichtungen weiter aus¬ zubilden, um eine stets wachsende Schar tüchtiger Männer von den Universitäten hinaufzusenden, Boten der Wissenschaft, welche zwar keinen berühmten Namen, aber doch Frische und jugendlichen Eifer mit an ihr Werk bringen. 4. Wenn das Extension-Movcment in Ost-London mit besondern Schwierigkeiten zu kämpfen hatte, so beruht das auf den eigentümlichen Verhältnissen der unter jenen Namen zusammengefaßten Stadtteile. Der bisher eingeschlagene Weg erwies sich in diesem Falle als unzulänglich, und der Notwendigkeit, zu außer¬ ordentlichen Maßregeln zu greifen, verdankt Tohnbcc-Hall seine Entstehung. Ost-London, dem weite Bezirke des Nordens und der größere Teil des Südens der Stadt zuzuzählen sind, ist eine Stadt für sich mit etwa doppelt

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200104/422>, abgerufen am 22.12.2024.