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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr.

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Jugenderinnerungen,

In dem eintönigen Leben, das wir bisher in der stillen Abgeschlossenheit
des Pfarrhauses geführt hatten, war diese Anknüpfung für uns ein Ereignis.
Wir Brüder konnten den jungen Sohn des Gerichtsmanncs gut leiden und
faßten eine freundschaftliche Zuneigung zu ihm. Zwar besaß er keine hervor¬
ragenden Geistesgaben und machte nur mäßige Fortschritte, aber er war eine
treue, ehrliche Seele, liebte seine Eltern und wurde nicht müde, den Bauernstand
zu preisen, dem er angehörte. Es sei der erste Stand der Welt, behauptete er,
verwies dabei auf die Bibel, ließ sich aber ans etwaige Einwürfe und Erörterungen
nicht weiter ein.

An mir ging dies immer von neuem sich wiederholende Loblied auf den
Bauernstand plebe ganz wirkungslos vorüber, während es meinen ältern Bruder,
der frühzeitig sich für die theologische Laufbcchu entschloß, wenig oder garnicht
berührte. Zur Illustration dieses Lobes trugen wesentlich die immer häufiger
werdenden Besuche auf dem väterlichen Hofe unsers Freundes bei. Es war mir
viel lieber, wenn die Eltern uns erlaubten, zu Davids Ehrenfried zu gehen, als
wenn dieser zu uns kommen durfte. Dort fühlte ich mich freier, der Natur
und ihrer Schaffenskraft näher als daheim, wo es fast immer sehr still zuging,
und außerdem konnte ich Blicke in eine ganz neue, vielfach interessante Werkstatt
gemeinnütziger Thätigkeit thun, die mir eine ganz neue Welt erschloß.

Alle meinen nächsten Verwandten waren Beamten, die einen Theologen, die
andern Juristen. Nur ein jüngerer Bruder der Mutter, Onkel Gottlieb benamst,
hatte, weil er infolge eines Naturfehlcrs nnr undeutlich sprechen konnte, das
Tnchmacherhandwcrk ergriffen, das in Zitten damals noch sehr in Blüte stand.
Gesprächsweise horte ich oft, wohin ich immer kam, die Behauptung aussprechen,
nur der Gelehrte habe ein sicheres Auskommen, ein sorgenfreies Leben, alle
übrigen Beschäftigungen auf Erden seien unzähligen Zufällen unterworfen, hingen
von guten und schlechten Zeitläuften ab und gewährten keinen sichern Halt. Nur
wer ausnahmsweise von unvorhergesehenen Glück begünstigt werde, bringe es zu
etwas besondern?; derartige Fälle kämen aber nur selten vor, und man könnte sich
mit Sicherheit nie darauf verlassen. Widersprechen hörte ich solchen Behauptungen
niemals, und wenn ich mich umsah in dem sehr großen Kreise unsrer Verwandt¬
schaft, so ließ sich mit Fug und Recht auch nichts Stichhaltiges dagegen auf¬
bringen. Da gab es überall Onkel und Vettern, die Senatoren, Scabini,
Actnarii oder angesehene Geistliche waren, auf deren Worte man lauschte, als
seien sie unmittelbar vom heiligen Geist diktirt. Hatte doch der Großvater
meiner eignen Mutter die höchste geistliche Würde in Zittau, das Primariat, bis
an seinen Tod bekleidet. Diesem Manne überhaupt war die Familie Bergmann
wesentlich ihr Glück und ihre bedeutende Stellung in Stadt und Bürgerschaft
schuldig. Denn der Primarins Wentzel hatte sich meines früh verwaisten Gro߬
vaters, des spätern Bürgermeisters, thatkräftig angenommen, ihm die Mittel
verschafft, studiren zu können, und schließlich, als der strebsame und ehrgeizige


Jugenderinnerungen,

In dem eintönigen Leben, das wir bisher in der stillen Abgeschlossenheit
des Pfarrhauses geführt hatten, war diese Anknüpfung für uns ein Ereignis.
Wir Brüder konnten den jungen Sohn des Gerichtsmanncs gut leiden und
faßten eine freundschaftliche Zuneigung zu ihm. Zwar besaß er keine hervor¬
ragenden Geistesgaben und machte nur mäßige Fortschritte, aber er war eine
treue, ehrliche Seele, liebte seine Eltern und wurde nicht müde, den Bauernstand
zu preisen, dem er angehörte. Es sei der erste Stand der Welt, behauptete er,
verwies dabei auf die Bibel, ließ sich aber ans etwaige Einwürfe und Erörterungen
nicht weiter ein.

An mir ging dies immer von neuem sich wiederholende Loblied auf den
Bauernstand plebe ganz wirkungslos vorüber, während es meinen ältern Bruder,
der frühzeitig sich für die theologische Laufbcchu entschloß, wenig oder garnicht
berührte. Zur Illustration dieses Lobes trugen wesentlich die immer häufiger
werdenden Besuche auf dem väterlichen Hofe unsers Freundes bei. Es war mir
viel lieber, wenn die Eltern uns erlaubten, zu Davids Ehrenfried zu gehen, als
wenn dieser zu uns kommen durfte. Dort fühlte ich mich freier, der Natur
und ihrer Schaffenskraft näher als daheim, wo es fast immer sehr still zuging,
und außerdem konnte ich Blicke in eine ganz neue, vielfach interessante Werkstatt
gemeinnütziger Thätigkeit thun, die mir eine ganz neue Welt erschloß.

Alle meinen nächsten Verwandten waren Beamten, die einen Theologen, die
andern Juristen. Nur ein jüngerer Bruder der Mutter, Onkel Gottlieb benamst,
hatte, weil er infolge eines Naturfehlcrs nnr undeutlich sprechen konnte, das
Tnchmacherhandwcrk ergriffen, das in Zitten damals noch sehr in Blüte stand.
Gesprächsweise horte ich oft, wohin ich immer kam, die Behauptung aussprechen,
nur der Gelehrte habe ein sicheres Auskommen, ein sorgenfreies Leben, alle
übrigen Beschäftigungen auf Erden seien unzähligen Zufällen unterworfen, hingen
von guten und schlechten Zeitläuften ab und gewährten keinen sichern Halt. Nur
wer ausnahmsweise von unvorhergesehenen Glück begünstigt werde, bringe es zu
etwas besondern?; derartige Fälle kämen aber nur selten vor, und man könnte sich
mit Sicherheit nie darauf verlassen. Widersprechen hörte ich solchen Behauptungen
niemals, und wenn ich mich umsah in dem sehr großen Kreise unsrer Verwandt¬
schaft, so ließ sich mit Fug und Recht auch nichts Stichhaltiges dagegen auf¬
bringen. Da gab es überall Onkel und Vettern, die Senatoren, Scabini,
Actnarii oder angesehene Geistliche waren, auf deren Worte man lauschte, als
seien sie unmittelbar vom heiligen Geist diktirt. Hatte doch der Großvater
meiner eignen Mutter die höchste geistliche Würde in Zittau, das Primariat, bis
an seinen Tod bekleidet. Diesem Manne überhaupt war die Familie Bergmann
wesentlich ihr Glück und ihre bedeutende Stellung in Stadt und Bürgerschaft
schuldig. Denn der Primarins Wentzel hatte sich meines früh verwaisten Gro߬
vaters, des spätern Bürgermeisters, thatkräftig angenommen, ihm die Mittel
verschafft, studiren zu können, und schließlich, als der strebsame und ehrgeizige


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[0396] Jugenderinnerungen, In dem eintönigen Leben, das wir bisher in der stillen Abgeschlossenheit des Pfarrhauses geführt hatten, war diese Anknüpfung für uns ein Ereignis. Wir Brüder konnten den jungen Sohn des Gerichtsmanncs gut leiden und faßten eine freundschaftliche Zuneigung zu ihm. Zwar besaß er keine hervor¬ ragenden Geistesgaben und machte nur mäßige Fortschritte, aber er war eine treue, ehrliche Seele, liebte seine Eltern und wurde nicht müde, den Bauernstand zu preisen, dem er angehörte. Es sei der erste Stand der Welt, behauptete er, verwies dabei auf die Bibel, ließ sich aber ans etwaige Einwürfe und Erörterungen nicht weiter ein. An mir ging dies immer von neuem sich wiederholende Loblied auf den Bauernstand plebe ganz wirkungslos vorüber, während es meinen ältern Bruder, der frühzeitig sich für die theologische Laufbcchu entschloß, wenig oder garnicht berührte. Zur Illustration dieses Lobes trugen wesentlich die immer häufiger werdenden Besuche auf dem väterlichen Hofe unsers Freundes bei. Es war mir viel lieber, wenn die Eltern uns erlaubten, zu Davids Ehrenfried zu gehen, als wenn dieser zu uns kommen durfte. Dort fühlte ich mich freier, der Natur und ihrer Schaffenskraft näher als daheim, wo es fast immer sehr still zuging, und außerdem konnte ich Blicke in eine ganz neue, vielfach interessante Werkstatt gemeinnütziger Thätigkeit thun, die mir eine ganz neue Welt erschloß. Alle meinen nächsten Verwandten waren Beamten, die einen Theologen, die andern Juristen. Nur ein jüngerer Bruder der Mutter, Onkel Gottlieb benamst, hatte, weil er infolge eines Naturfehlcrs nnr undeutlich sprechen konnte, das Tnchmacherhandwcrk ergriffen, das in Zitten damals noch sehr in Blüte stand. Gesprächsweise horte ich oft, wohin ich immer kam, die Behauptung aussprechen, nur der Gelehrte habe ein sicheres Auskommen, ein sorgenfreies Leben, alle übrigen Beschäftigungen auf Erden seien unzähligen Zufällen unterworfen, hingen von guten und schlechten Zeitläuften ab und gewährten keinen sichern Halt. Nur wer ausnahmsweise von unvorhergesehenen Glück begünstigt werde, bringe es zu etwas besondern?; derartige Fälle kämen aber nur selten vor, und man könnte sich mit Sicherheit nie darauf verlassen. Widersprechen hörte ich solchen Behauptungen niemals, und wenn ich mich umsah in dem sehr großen Kreise unsrer Verwandt¬ schaft, so ließ sich mit Fug und Recht auch nichts Stichhaltiges dagegen auf¬ bringen. Da gab es überall Onkel und Vettern, die Senatoren, Scabini, Actnarii oder angesehene Geistliche waren, auf deren Worte man lauschte, als seien sie unmittelbar vom heiligen Geist diktirt. Hatte doch der Großvater meiner eignen Mutter die höchste geistliche Würde in Zittau, das Primariat, bis an seinen Tod bekleidet. Diesem Manne überhaupt war die Familie Bergmann wesentlich ihr Glück und ihre bedeutende Stellung in Stadt und Bürgerschaft schuldig. Denn der Primarins Wentzel hatte sich meines früh verwaisten Gro߬ vaters, des spätern Bürgermeisters, thatkräftig angenommen, ihm die Mittel verschafft, studiren zu können, und schließlich, als der strebsame und ehrgeizige

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200104/396>, abgerufen am 23.12.2024.