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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr.

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Jugenderinnerungen.

Unserm gescheit aus den Augen blickenden Großbauer leuchtete das sehr wohl
ein, zugleich aber regte sich auch der Wunsch in ihm, für gründlichere oder
doch etwas bessere Bildung seines jüngsten Sohnes wenn möglich Sorge zu
tragen. Offen und vertrauensvoll, wie der Mann von Natur war, äußerte er
diesen Wunsch in unserm Beisein gegen den Vater. Mein Ehreufried, sagte er,
ist auch so ein Page, Herr Magister, und ich wollte gar zu gern, daß er ein
Prinkel mehr lernte als die andern; denn er soll -- so ihn der Herr behütet --
als mein Jüngster das Gut erben und wie ich auch einmal in den Gerichtsbänken
sitzen. Die drei Pagen zusammen, rechne ich mir, gäben ein gutes Gespann.

Dem Vater konnte die Absicht des Gerichtsmannes -- so nannte man in der
Oberlcinsitz bis zum Jahre 1832 die Vorstandsmitglieder jeder Dorfgemeinde --
nicht verborgen bleiben. Um zu erfahren, wie sich derselbe ein kameradschaftliches
Verhältnis zu uns wohl denken möge, fragte er, ob der Bauer wünsche, daß
sein Sohn einige Stunden außer der gewöhnlichen Schulzeit mit uns haben
solle. Darauf antwortete der Bauer nicht geradezu bejahend. Vorsicht, Berechnung
und Sparsamkeit rieten ihm davon ab. In der eigentümlich bedächtigen Aus¬
drucksweise dieser Leute, die ich absichtlich beibehalte, entgegnete er: Mir schwingelt
(schwand), dabei würde mein Jüngster zu kurz kommen. Wenn hingegen der
Herr Magister mir die Freundschaft erweisen wollte, die beiden Pagen manchmal
zu mir kommen zu lassen, daß sie meinem Ehrenfried halfen, so würde er Wohl
bald was klüger werden als die meisten und nicht mehr so viel Stumpncr
(Schelte, Zurechtweisungen) in der Schule abkriegen.

Die Familie des Gerichtsmanncs und Großbauers David Förster war im
Dorfe hoch angesehen und, wie die Kirchenbücher nachwiesen, uralt. Es gab der
Förster, welche Bauernhöfe besaßen, eine ganze Anzahl, keiner von allen aber
überragte an Ansehen und Wohlhabenheit den Gerichtsmann. Zwei große Höfe
mit vortrefflich bestellten Feldern, die sich in fruchtbarer Ebene bis an die
Stadtgemarkung erstreckten, gehörten ihm zu eigen. Ein drittes Bauerngut hatte
er seinem ältesten Sohne gekauft, der sich demnächst mit einer ebenfalls be¬
güterten Bauerntochter verheiraten wollte.

Es lag kein Grund vor, dem wackern Manne sein bescheidnes Gesuch ab¬
zuschlagen. Sein Sohn Ehrcnfried, um den es sich handelte, war ein hübscher
Junge, um weniges älter als mein Bruder und gut geartet. Daß immer¬
währendes Alleinbleibeu für uns nicht vorteilhaft sein könne, mochte dem Vater
einleuchten. Es konnte uns stolz, hochfahrend, eingebildet und abstoßend gegen
andre Knaben machen, und das wollte der Vater um jeden Preis vermeidein
Er ging deshalb bereitwillig auf den Vorschlag des Bauern ein. Damit meinem
Vater aber die Aufsicht über uns stets verbleibe, ward verabredet, daß der
Banersohn ein paarmal die Woche zu uns kommen sollte, um mit uns zu
arbeiten, wir aber, so oft es sich thun ließe, auch zu gleichem Besuche das
Gehöft besuchen dürften.


Jugenderinnerungen.

Unserm gescheit aus den Augen blickenden Großbauer leuchtete das sehr wohl
ein, zugleich aber regte sich auch der Wunsch in ihm, für gründlichere oder
doch etwas bessere Bildung seines jüngsten Sohnes wenn möglich Sorge zu
tragen. Offen und vertrauensvoll, wie der Mann von Natur war, äußerte er
diesen Wunsch in unserm Beisein gegen den Vater. Mein Ehreufried, sagte er,
ist auch so ein Page, Herr Magister, und ich wollte gar zu gern, daß er ein
Prinkel mehr lernte als die andern; denn er soll — so ihn der Herr behütet —
als mein Jüngster das Gut erben und wie ich auch einmal in den Gerichtsbänken
sitzen. Die drei Pagen zusammen, rechne ich mir, gäben ein gutes Gespann.

Dem Vater konnte die Absicht des Gerichtsmannes — so nannte man in der
Oberlcinsitz bis zum Jahre 1832 die Vorstandsmitglieder jeder Dorfgemeinde —
nicht verborgen bleiben. Um zu erfahren, wie sich derselbe ein kameradschaftliches
Verhältnis zu uns wohl denken möge, fragte er, ob der Bauer wünsche, daß
sein Sohn einige Stunden außer der gewöhnlichen Schulzeit mit uns haben
solle. Darauf antwortete der Bauer nicht geradezu bejahend. Vorsicht, Berechnung
und Sparsamkeit rieten ihm davon ab. In der eigentümlich bedächtigen Aus¬
drucksweise dieser Leute, die ich absichtlich beibehalte, entgegnete er: Mir schwingelt
(schwand), dabei würde mein Jüngster zu kurz kommen. Wenn hingegen der
Herr Magister mir die Freundschaft erweisen wollte, die beiden Pagen manchmal
zu mir kommen zu lassen, daß sie meinem Ehrenfried halfen, so würde er Wohl
bald was klüger werden als die meisten und nicht mehr so viel Stumpncr
(Schelte, Zurechtweisungen) in der Schule abkriegen.

Die Familie des Gerichtsmanncs und Großbauers David Förster war im
Dorfe hoch angesehen und, wie die Kirchenbücher nachwiesen, uralt. Es gab der
Förster, welche Bauernhöfe besaßen, eine ganze Anzahl, keiner von allen aber
überragte an Ansehen und Wohlhabenheit den Gerichtsmann. Zwei große Höfe
mit vortrefflich bestellten Feldern, die sich in fruchtbarer Ebene bis an die
Stadtgemarkung erstreckten, gehörten ihm zu eigen. Ein drittes Bauerngut hatte
er seinem ältesten Sohne gekauft, der sich demnächst mit einer ebenfalls be¬
güterten Bauerntochter verheiraten wollte.

Es lag kein Grund vor, dem wackern Manne sein bescheidnes Gesuch ab¬
zuschlagen. Sein Sohn Ehrcnfried, um den es sich handelte, war ein hübscher
Junge, um weniges älter als mein Bruder und gut geartet. Daß immer¬
währendes Alleinbleibeu für uns nicht vorteilhaft sein könne, mochte dem Vater
einleuchten. Es konnte uns stolz, hochfahrend, eingebildet und abstoßend gegen
andre Knaben machen, und das wollte der Vater um jeden Preis vermeidein
Er ging deshalb bereitwillig auf den Vorschlag des Bauern ein. Damit meinem
Vater aber die Aufsicht über uns stets verbleibe, ward verabredet, daß der
Banersohn ein paarmal die Woche zu uns kommen sollte, um mit uns zu
arbeiten, wir aber, so oft es sich thun ließe, auch zu gleichem Besuche das
Gehöft besuchen dürften.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200104/395>, abgerufen am 23.12.2024.