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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr.

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Französische Lharakterköpfe.

aller seiner verstimmten Organe; jetzt hat es die Periode des lustigen Wahnes
überschritten und wird in die finstere Periode des Deliriums übergehen; jetzt
wird es fähig, alles zu wagen, zu leiden, zu thun: unerhörte Heldenthaten und
abscheuliche Barbareien, sobald seine Führer, ebenso verirrt wie es selbst, seiner
Wut einen Feind oder ein Hindernis bezeichnet haben werden."

Nicht minder pessimistisch schildert Taine an einer andern Stelle seines
Werkes "den Hauptcharakter, den ersten Antrieb und die herrschende Leidenschaft der
Revolution": "Welches immer die großen Worte Freiheit, Gleichheit, Bruderliebe
sein mögen, mit welchen sich die Revolution schmückt, so führt sie doch in ihrer
eigentlichen Wesenheit ans eine Verschiebung des Eigentums zurück: in dieser
besteht ihr innerer Halt, ihre permanente Kraft, ihr erster Antrieb, ihr histo¬
rischer Sinn. Früher, im Altertume, hatte man schon derartige Exekutionen,
die Abschaffung oder Verminderung der Schulden, die Konfiskation der Güter
der Reichen, die Verteilung der öffentlichen Liegenschaften gesehen; aber die
Operation beschränkte sich auf ein städtisches Gemeinwesen und vollzog sich
innerhalb der Grenzen eines kleinen Gebietes. Zum erstenmale erfüllte sie sich
im großen und in einem modernen Staatswesen. Bis jetzt hatten sich die
tiefern Schichten in diesen umfangreichen Staaten nur gegen die Herrschaft eines
fremden Machthabers oder gegen die Bedrückung der Gewissen erhoben. So
hatten in Frankreich im fünfzehnten, in Holland im sechzehnten, in England im
siebzehnten Jahrhundert der Bauer, der Handwerker, der Tagelöhner die Waffen
gegen den Landesfeind oder für den Glauben ergriffen. An Stelle des reli¬
giösen und patriotischen Eifers ist das Bedürfnis nach Wohlstand getreten, und
der neue Beweggrund ist ebenso mächtig wie jene andern; denn in unsern indu¬
striellen, demokratischen, utilitären Gesellschaften beherrscht dieses nun fast alles
Leben und wird zum Hebel fast aller politischen und individuellen Anstrengungen.
Jahrhundertelang zurückgedrängt, hat sich die Leidenschaft aufgelehnt und jene
beiden Gewichte abgeschüttelt, die auf ihr lasteten: die Regierungen und die
Vorrechte. Mit einemmale nun entfaltet sie sich in ihrem ganzen Ungestüm,
wie eine rohe Gewalt über alles legale und legitime Eigentum, über allen
öffentlichen und privaten Besitz. Die Hindernisse, der sie begegnet, machen sie
nur noch verwüstender: über das Eigentum hinaus vergreift sie sich an den
Eigentümern und vollendet die Plünderungen mit den Ächtungen."

Nach einer andern Seite charakterisirt Taine die große Revolution folgender¬
maßen: "Der Menschenmordgednnke ist die eigentliche Grundlage der revolutionäre"
Glaubenslehre. Der Fortschritt des Jakobiners besteht darin, sich als gesetzmäßiger
Souverän zu betrachten und seine Gegner nicht als kriegführende Partei, sondern
als Verbrecher zu behandeln. Sie sind Verbrecher der Nationsverletznng und
der Volksbeleidigung, sie stehen außerhalb des Gesetzes, siud allezeit und aller¬
orten gut zum Töten, des Henkertvdes würdig, selbst dann, wenn sie nicht
imstande oder außer Stand gesetzt sind, zu schaden."


Französische Lharakterköpfe.

aller seiner verstimmten Organe; jetzt hat es die Periode des lustigen Wahnes
überschritten und wird in die finstere Periode des Deliriums übergehen; jetzt
wird es fähig, alles zu wagen, zu leiden, zu thun: unerhörte Heldenthaten und
abscheuliche Barbareien, sobald seine Führer, ebenso verirrt wie es selbst, seiner
Wut einen Feind oder ein Hindernis bezeichnet haben werden."

Nicht minder pessimistisch schildert Taine an einer andern Stelle seines
Werkes „den Hauptcharakter, den ersten Antrieb und die herrschende Leidenschaft der
Revolution": „Welches immer die großen Worte Freiheit, Gleichheit, Bruderliebe
sein mögen, mit welchen sich die Revolution schmückt, so führt sie doch in ihrer
eigentlichen Wesenheit ans eine Verschiebung des Eigentums zurück: in dieser
besteht ihr innerer Halt, ihre permanente Kraft, ihr erster Antrieb, ihr histo¬
rischer Sinn. Früher, im Altertume, hatte man schon derartige Exekutionen,
die Abschaffung oder Verminderung der Schulden, die Konfiskation der Güter
der Reichen, die Verteilung der öffentlichen Liegenschaften gesehen; aber die
Operation beschränkte sich auf ein städtisches Gemeinwesen und vollzog sich
innerhalb der Grenzen eines kleinen Gebietes. Zum erstenmale erfüllte sie sich
im großen und in einem modernen Staatswesen. Bis jetzt hatten sich die
tiefern Schichten in diesen umfangreichen Staaten nur gegen die Herrschaft eines
fremden Machthabers oder gegen die Bedrückung der Gewissen erhoben. So
hatten in Frankreich im fünfzehnten, in Holland im sechzehnten, in England im
siebzehnten Jahrhundert der Bauer, der Handwerker, der Tagelöhner die Waffen
gegen den Landesfeind oder für den Glauben ergriffen. An Stelle des reli¬
giösen und patriotischen Eifers ist das Bedürfnis nach Wohlstand getreten, und
der neue Beweggrund ist ebenso mächtig wie jene andern; denn in unsern indu¬
striellen, demokratischen, utilitären Gesellschaften beherrscht dieses nun fast alles
Leben und wird zum Hebel fast aller politischen und individuellen Anstrengungen.
Jahrhundertelang zurückgedrängt, hat sich die Leidenschaft aufgelehnt und jene
beiden Gewichte abgeschüttelt, die auf ihr lasteten: die Regierungen und die
Vorrechte. Mit einemmale nun entfaltet sie sich in ihrem ganzen Ungestüm,
wie eine rohe Gewalt über alles legale und legitime Eigentum, über allen
öffentlichen und privaten Besitz. Die Hindernisse, der sie begegnet, machen sie
nur noch verwüstender: über das Eigentum hinaus vergreift sie sich an den
Eigentümern und vollendet die Plünderungen mit den Ächtungen."

Nach einer andern Seite charakterisirt Taine die große Revolution folgender¬
maßen: „Der Menschenmordgednnke ist die eigentliche Grundlage der revolutionäre»
Glaubenslehre. Der Fortschritt des Jakobiners besteht darin, sich als gesetzmäßiger
Souverän zu betrachten und seine Gegner nicht als kriegführende Partei, sondern
als Verbrecher zu behandeln. Sie sind Verbrecher der Nationsverletznng und
der Volksbeleidigung, sie stehen außerhalb des Gesetzes, siud allezeit und aller¬
orten gut zum Töten, des Henkertvdes würdig, selbst dann, wenn sie nicht
imstande oder außer Stand gesetzt sind, zu schaden."


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200104/381>, abgerufen am 23.12.2024.