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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr.

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der Einzelrichtcr eine durch keine Summe begrenzte Kompetenz hatte. So bildeten
z. B. in Kurhessen vor 1867 die Amtsgerichte die erste Instanz für alle Zivil¬
sachen, mit Ausnahme der Sachen des Staates, des Landesherrn und der Ehe¬
scheidungssachen, und man sagt, daß sich das Land dabei sehr gut befunden habe.
In der That ist gar kein Grund vorhanden, weshalb man nicht in weitem
Umfange für die Parteien den Versuch offen halten sollte, ihre Sache in ein¬
fachster Weise durch die Entscheidung eines Einzelrichtcrs erledigen zu lassen.
Genießt der Einzelrichter Vertrauen, so wird in vielen Fällen mit seiner Ent¬
scheidung die Sache zu Ende gehen. Können die Parteien sich bei seiner Ent¬
scheidung nicht beruhigen, so bleibt ihnen die ErWirkung einer kollegialischer
Entscheidung mittels Berufung vorbehalten.

Bereits in der Reichsjnstizkommissivn wurde wiederholt der Antrag gestellt,
die amtsgerichtliche Zuständigkeit (auf 500 Mark) zu erhöhen, und dieser Antrag
nur mit einer kleinen Stimmenmehrheit abgewiesen. Bei der gegenwärtigen
Sachlage würden wir es für durchaus zuträglich halten, wenn man auf diesen
Gedanken znrückkcime und die Zuständigkeit der Amtsgerichte, sagen wir auf das
doppelte der jetzt maßgebenden Wertsnmmc, ausdehnte. Dadurch würde eine nicht
ganz geringe Zahl von Sachen, welche jetzt bei den Landgerichten und den
Oberlandesgcrichten erledigt werden, bei den Amtsgerichten und Landgerichten,
also mit weit geringern Richterkräftcn, ihre Erledigung finden. Für die Amts¬
gerichte würde durch diese Kvmpetcnzerweiternng kaum eine erhebliche Vermehrung
der Richter erforderlich werden, jedenfalls eine weit geringere als die Ersparung,
welche an Nichterkräften bei den Landgerichten und Oberlandesgerichten dafür
eintreten könnte. Selbst wenn man etwa, um die kollegialische Entscheidung
zweiter Instanz vollwichtiger zu machen, anordnen wollte, daß in Berufnngs-
sachen über 300 Mark die Landgerichte mit fünf Richtern besetzt sein sollen, so
würde doch noch immer an Nichterkräften erheblich gespart werden. Eine weitere
Folge jener Kompetenzerweiterung würde die sein, daß die Anwälte bei den
Amtsgerichten wieder größere Beschäftigung fänden und sich deshalb auch in
größerer Zahl dort niederließen. Dadurch würde die Prozeßführung bei den
Amtsgerichten wieder erleichtert werden. Jetzt ist dieselbe durch deu Maugel an
Anwälten in den kleinem Orten oft in hohem Maße erschwert. Die Parteien,
die sich nicht selbst vertreten können, sind genötigt, einen um dem fernen Land-
gcrichtssitz wohnenden Rechtsanwalt mit ihrer Vertretung zu beauftragen. Dann
treten zu den gewöhnlichen Gebühren noch die sehr hoch bemessenen Reisekosten
des Urwalds hinzu, die häßlichste aller Gebühren, weil sie den Prozeß ganz
unabhängig von der Höhe des Streitgegenstandes belastet und so mitunter zu
Rechnungen führt, die den Wert des Streitgegenstandes um das Drei- und
Vierfache übersteigen.

Die Ausdehnung der amtsgerichtlicheu Zuständigkeit können wir jedoch nur
unter der Bedingung empfehlen, daß das amtsgerichtliche Verfahren in einigen


der Einzelrichtcr eine durch keine Summe begrenzte Kompetenz hatte. So bildeten
z. B. in Kurhessen vor 1867 die Amtsgerichte die erste Instanz für alle Zivil¬
sachen, mit Ausnahme der Sachen des Staates, des Landesherrn und der Ehe¬
scheidungssachen, und man sagt, daß sich das Land dabei sehr gut befunden habe.
In der That ist gar kein Grund vorhanden, weshalb man nicht in weitem
Umfange für die Parteien den Versuch offen halten sollte, ihre Sache in ein¬
fachster Weise durch die Entscheidung eines Einzelrichtcrs erledigen zu lassen.
Genießt der Einzelrichter Vertrauen, so wird in vielen Fällen mit seiner Ent¬
scheidung die Sache zu Ende gehen. Können die Parteien sich bei seiner Ent¬
scheidung nicht beruhigen, so bleibt ihnen die ErWirkung einer kollegialischer
Entscheidung mittels Berufung vorbehalten.

Bereits in der Reichsjnstizkommissivn wurde wiederholt der Antrag gestellt,
die amtsgerichtliche Zuständigkeit (auf 500 Mark) zu erhöhen, und dieser Antrag
nur mit einer kleinen Stimmenmehrheit abgewiesen. Bei der gegenwärtigen
Sachlage würden wir es für durchaus zuträglich halten, wenn man auf diesen
Gedanken znrückkcime und die Zuständigkeit der Amtsgerichte, sagen wir auf das
doppelte der jetzt maßgebenden Wertsnmmc, ausdehnte. Dadurch würde eine nicht
ganz geringe Zahl von Sachen, welche jetzt bei den Landgerichten und den
Oberlandesgcrichten erledigt werden, bei den Amtsgerichten und Landgerichten,
also mit weit geringern Richterkräftcn, ihre Erledigung finden. Für die Amts¬
gerichte würde durch diese Kvmpetcnzerweiternng kaum eine erhebliche Vermehrung
der Richter erforderlich werden, jedenfalls eine weit geringere als die Ersparung,
welche an Nichterkräften bei den Landgerichten und Oberlandesgerichten dafür
eintreten könnte. Selbst wenn man etwa, um die kollegialische Entscheidung
zweiter Instanz vollwichtiger zu machen, anordnen wollte, daß in Berufnngs-
sachen über 300 Mark die Landgerichte mit fünf Richtern besetzt sein sollen, so
würde doch noch immer an Nichterkräften erheblich gespart werden. Eine weitere
Folge jener Kompetenzerweiterung würde die sein, daß die Anwälte bei den
Amtsgerichten wieder größere Beschäftigung fänden und sich deshalb auch in
größerer Zahl dort niederließen. Dadurch würde die Prozeßführung bei den
Amtsgerichten wieder erleichtert werden. Jetzt ist dieselbe durch deu Maugel an
Anwälten in den kleinem Orten oft in hohem Maße erschwert. Die Parteien,
die sich nicht selbst vertreten können, sind genötigt, einen um dem fernen Land-
gcrichtssitz wohnenden Rechtsanwalt mit ihrer Vertretung zu beauftragen. Dann
treten zu den gewöhnlichen Gebühren noch die sehr hoch bemessenen Reisekosten
des Urwalds hinzu, die häßlichste aller Gebühren, weil sie den Prozeß ganz
unabhängig von der Höhe des Streitgegenstandes belastet und so mitunter zu
Rechnungen führt, die den Wert des Streitgegenstandes um das Drei- und
Vierfache übersteigen.

Die Ausdehnung der amtsgerichtlicheu Zuständigkeit können wir jedoch nur
unter der Bedingung empfehlen, daß das amtsgerichtliche Verfahren in einigen


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[0370] der Einzelrichtcr eine durch keine Summe begrenzte Kompetenz hatte. So bildeten z. B. in Kurhessen vor 1867 die Amtsgerichte die erste Instanz für alle Zivil¬ sachen, mit Ausnahme der Sachen des Staates, des Landesherrn und der Ehe¬ scheidungssachen, und man sagt, daß sich das Land dabei sehr gut befunden habe. In der That ist gar kein Grund vorhanden, weshalb man nicht in weitem Umfange für die Parteien den Versuch offen halten sollte, ihre Sache in ein¬ fachster Weise durch die Entscheidung eines Einzelrichtcrs erledigen zu lassen. Genießt der Einzelrichter Vertrauen, so wird in vielen Fällen mit seiner Ent¬ scheidung die Sache zu Ende gehen. Können die Parteien sich bei seiner Ent¬ scheidung nicht beruhigen, so bleibt ihnen die ErWirkung einer kollegialischer Entscheidung mittels Berufung vorbehalten. Bereits in der Reichsjnstizkommissivn wurde wiederholt der Antrag gestellt, die amtsgerichtliche Zuständigkeit (auf 500 Mark) zu erhöhen, und dieser Antrag nur mit einer kleinen Stimmenmehrheit abgewiesen. Bei der gegenwärtigen Sachlage würden wir es für durchaus zuträglich halten, wenn man auf diesen Gedanken znrückkcime und die Zuständigkeit der Amtsgerichte, sagen wir auf das doppelte der jetzt maßgebenden Wertsnmmc, ausdehnte. Dadurch würde eine nicht ganz geringe Zahl von Sachen, welche jetzt bei den Landgerichten und den Oberlandesgcrichten erledigt werden, bei den Amtsgerichten und Landgerichten, also mit weit geringern Richterkräftcn, ihre Erledigung finden. Für die Amts¬ gerichte würde durch diese Kvmpetcnzerweiternng kaum eine erhebliche Vermehrung der Richter erforderlich werden, jedenfalls eine weit geringere als die Ersparung, welche an Nichterkräften bei den Landgerichten und Oberlandesgerichten dafür eintreten könnte. Selbst wenn man etwa, um die kollegialische Entscheidung zweiter Instanz vollwichtiger zu machen, anordnen wollte, daß in Berufnngs- sachen über 300 Mark die Landgerichte mit fünf Richtern besetzt sein sollen, so würde doch noch immer an Nichterkräften erheblich gespart werden. Eine weitere Folge jener Kompetenzerweiterung würde die sein, daß die Anwälte bei den Amtsgerichten wieder größere Beschäftigung fänden und sich deshalb auch in größerer Zahl dort niederließen. Dadurch würde die Prozeßführung bei den Amtsgerichten wieder erleichtert werden. Jetzt ist dieselbe durch deu Maugel an Anwälten in den kleinem Orten oft in hohem Maße erschwert. Die Parteien, die sich nicht selbst vertreten können, sind genötigt, einen um dem fernen Land- gcrichtssitz wohnenden Rechtsanwalt mit ihrer Vertretung zu beauftragen. Dann treten zu den gewöhnlichen Gebühren noch die sehr hoch bemessenen Reisekosten des Urwalds hinzu, die häßlichste aller Gebühren, weil sie den Prozeß ganz unabhängig von der Höhe des Streitgegenstandes belastet und so mitunter zu Rechnungen führt, die den Wert des Streitgegenstandes um das Drei- und Vierfache übersteigen. Die Ausdehnung der amtsgerichtlicheu Zuständigkeit können wir jedoch nur unter der Bedingung empfehlen, daß das amtsgerichtliche Verfahren in einigen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200104/370>, abgerufen am 23.12.2024.