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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr.

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Literatur.

folgen ein Dutzend Charakterbilder aus der Gesellschaft! der Halbgebildete, der
Dilettant, der Autographensammler, der Streber, Reisende der Dichtkunst, der
-einer, der Nassauer (worunter auch der ehrenwerte Journalist gemeint wird, der
sich seine Theaterkarten stets umsonst holt). Es sind durchaus Studien nach dem
Leben und so treu, daß mau mit dem Finger nach dem hier und da angetroffenen
Originale deuten mochte. Die Form dieser Bilder erinnert an die Manier des
alten Labruhere: nach ErMruug des Begriffs werden die Bemerkungen angereiht.
"Modelle" nennt Mcmthncr in glücklicher Wendung seine Sammlung.

Soviel über die. Fenilletonsammluug. Ob sie, die vornehmlich streitbarer
Natur ist, die ihre Originalität nur in dem, was bekämpft wird, nicht in dem
Standpunkte, von dem ans gekämpft wird, findet, ob sie mit dem positivsten Worte
der Welt, mit dein Credo, richtig bezeichnet worden ist, darf mau jedoch bezweifeln,
trotz Mauthuers Versuch, diesen Titel zu rechtfertigen."

Die Erzählung "Der letzte Deutsche von Blatna ist Poetisch garnicht ernst
zu nehmen, aber als Tendenzwerk ist sie ein Meisterstück. Mnnthner, von Haus
aus ein Deutschböhme und demnach mit den Verhältnissen seiner Heimat wohl-
vertraut, giebt in der Erzählung ein ausgezeichnetes und wirkungsvolles Bild der
nationalen Kämpfe in derselben zwischen Deutschen und Tschechen. In dem Schick¬
sale zweier Jugendfreunde, des Deutschen Anton Gegeubauer und des Tschechen
Zaboj Prokop, giebt er eine Entwicklung?'- und Naturgeschichte der böhmischen Zu¬
stände. Die Knaben sind Söhne ein- und desselben Städtchens, in weichem der
dnrchfließende Fluß seit Jahrhunderten die Sprachgrenze der beiden Nationen bildet.
Aber uach 1866 ist über die Tschechen die Furcht vor deu Preußen gekommen,
und mit Unterstützung der Regierung ist ihr Nationalgefühl immer mehr gestärkt
worden; von da ub beginnen die nationalen Reibungen. Hübsch werden die
Nationalcharaktere schon in den Knaben kontrastirt: Zaboj schwärmt für die Hus-
siten, Anton ster Ideale der reinen Menschlichkeit. Es wird dann gezeigt, wie die
Tschechen, immer von der Regierung unterstützt, die Deutschen zurückdrängen, aus
deu Wirtshäusern, aus deu Geschäfte", aus dem Grundbesitze, aus deu Wahlen,
und Maulhuer ist streug genug, um auch die Schwächen der Deutschen aufzudecken:
ihre nationale Gleichgiltigkeit, ihre Nachgiebigkeit, ihren unpolitischen Sinn. Und
anderseits stellt er deu nationalen Ausschreitungen der Jnngtschcchen die geschmack¬
losen Uebertreibungen des Reichenberger Deutschtums in gutmütigen Humor gegen¬
über. Es wird ferner gezeigt, wie die langsamen Deutschen, gezwungen durch das
Vorgehen der Tschechen, sich endlich zum Kampfe um ihre Nationalität aufraffen
und dann mit stämmigen Trotz bis aufs Aeußerste ausharren. Kurz, alle Typen
der Bewegung werden verständnisvoll vorgeführt, die Tendenz ist, ohne sich nnf-
zudriugeu, im Gange der Handlung verborgen. Da die nationalen Kämpfe in
Böhmen die Augen von ganz Deutschland ans sich lenken, so war es verdienstlich
von Fritz Manthner, einmal ein wahrheitsgetreues Bild derselbe" zu entwerfe" und
anders, als es die Zeitnngsliteratnr zu thun vermag. Daß er einen glücklichem
Griff in seinem "Letzten Deutschen" gethan hat, beweist der rasche Erfolg des Buches,
denn es liegt schon in dritter Auflage vor.






Für die Redaktion venmtwortlich: Johannes Grunvw in Leipzig.
Aerlag von Fr. Wilh. Grunow in Leipzig. -- Druck von Carl Marquart in Leipzig.
Literatur.

folgen ein Dutzend Charakterbilder aus der Gesellschaft! der Halbgebildete, der
Dilettant, der Autographensammler, der Streber, Reisende der Dichtkunst, der
-einer, der Nassauer (worunter auch der ehrenwerte Journalist gemeint wird, der
sich seine Theaterkarten stets umsonst holt). Es sind durchaus Studien nach dem
Leben und so treu, daß mau mit dem Finger nach dem hier und da angetroffenen
Originale deuten mochte. Die Form dieser Bilder erinnert an die Manier des
alten Labruhere: nach ErMruug des Begriffs werden die Bemerkungen angereiht.
„Modelle" nennt Mcmthncr in glücklicher Wendung seine Sammlung.

Soviel über die. Fenilletonsammluug. Ob sie, die vornehmlich streitbarer
Natur ist, die ihre Originalität nur in dem, was bekämpft wird, nicht in dem
Standpunkte, von dem ans gekämpft wird, findet, ob sie mit dem positivsten Worte
der Welt, mit dein Credo, richtig bezeichnet worden ist, darf mau jedoch bezweifeln,
trotz Mauthuers Versuch, diesen Titel zu rechtfertigen."

Die Erzählung „Der letzte Deutsche von Blatna ist Poetisch garnicht ernst
zu nehmen, aber als Tendenzwerk ist sie ein Meisterstück. Mnnthner, von Haus
aus ein Deutschböhme und demnach mit den Verhältnissen seiner Heimat wohl-
vertraut, giebt in der Erzählung ein ausgezeichnetes und wirkungsvolles Bild der
nationalen Kämpfe in derselben zwischen Deutschen und Tschechen. In dem Schick¬
sale zweier Jugendfreunde, des Deutschen Anton Gegeubauer und des Tschechen
Zaboj Prokop, giebt er eine Entwicklung?'- und Naturgeschichte der böhmischen Zu¬
stände. Die Knaben sind Söhne ein- und desselben Städtchens, in weichem der
dnrchfließende Fluß seit Jahrhunderten die Sprachgrenze der beiden Nationen bildet.
Aber uach 1866 ist über die Tschechen die Furcht vor deu Preußen gekommen,
und mit Unterstützung der Regierung ist ihr Nationalgefühl immer mehr gestärkt
worden; von da ub beginnen die nationalen Reibungen. Hübsch werden die
Nationalcharaktere schon in den Knaben kontrastirt: Zaboj schwärmt für die Hus-
siten, Anton ster Ideale der reinen Menschlichkeit. Es wird dann gezeigt, wie die
Tschechen, immer von der Regierung unterstützt, die Deutschen zurückdrängen, aus
deu Wirtshäusern, aus deu Geschäfte», aus dem Grundbesitze, aus deu Wahlen,
und Maulhuer ist streug genug, um auch die Schwächen der Deutschen aufzudecken:
ihre nationale Gleichgiltigkeit, ihre Nachgiebigkeit, ihren unpolitischen Sinn. Und
anderseits stellt er deu nationalen Ausschreitungen der Jnngtschcchen die geschmack¬
losen Uebertreibungen des Reichenberger Deutschtums in gutmütigen Humor gegen¬
über. Es wird ferner gezeigt, wie die langsamen Deutschen, gezwungen durch das
Vorgehen der Tschechen, sich endlich zum Kampfe um ihre Nationalität aufraffen
und dann mit stämmigen Trotz bis aufs Aeußerste ausharren. Kurz, alle Typen
der Bewegung werden verständnisvoll vorgeführt, die Tendenz ist, ohne sich nnf-
zudriugeu, im Gange der Handlung verborgen. Da die nationalen Kämpfe in
Böhmen die Augen von ganz Deutschland ans sich lenken, so war es verdienstlich
von Fritz Manthner, einmal ein wahrheitsgetreues Bild derselbe» zu entwerfe« und
anders, als es die Zeitnngsliteratnr zu thun vermag. Daß er einen glücklichem
Griff in seinem „Letzten Deutschen" gethan hat, beweist der rasche Erfolg des Buches,
denn es liegt schon in dritter Auflage vor.






Für die Redaktion venmtwortlich: Johannes Grunvw in Leipzig.
Aerlag von Fr. Wilh. Grunow in Leipzig. — Druck von Carl Marquart in Leipzig.
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[0352] Literatur. folgen ein Dutzend Charakterbilder aus der Gesellschaft! der Halbgebildete, der Dilettant, der Autographensammler, der Streber, Reisende der Dichtkunst, der -einer, der Nassauer (worunter auch der ehrenwerte Journalist gemeint wird, der sich seine Theaterkarten stets umsonst holt). Es sind durchaus Studien nach dem Leben und so treu, daß mau mit dem Finger nach dem hier und da angetroffenen Originale deuten mochte. Die Form dieser Bilder erinnert an die Manier des alten Labruhere: nach ErMruug des Begriffs werden die Bemerkungen angereiht. „Modelle" nennt Mcmthncr in glücklicher Wendung seine Sammlung. Soviel über die. Fenilletonsammluug. Ob sie, die vornehmlich streitbarer Natur ist, die ihre Originalität nur in dem, was bekämpft wird, nicht in dem Standpunkte, von dem ans gekämpft wird, findet, ob sie mit dem positivsten Worte der Welt, mit dein Credo, richtig bezeichnet worden ist, darf mau jedoch bezweifeln, trotz Mauthuers Versuch, diesen Titel zu rechtfertigen." Die Erzählung „Der letzte Deutsche von Blatna ist Poetisch garnicht ernst zu nehmen, aber als Tendenzwerk ist sie ein Meisterstück. Mnnthner, von Haus aus ein Deutschböhme und demnach mit den Verhältnissen seiner Heimat wohl- vertraut, giebt in der Erzählung ein ausgezeichnetes und wirkungsvolles Bild der nationalen Kämpfe in derselben zwischen Deutschen und Tschechen. In dem Schick¬ sale zweier Jugendfreunde, des Deutschen Anton Gegeubauer und des Tschechen Zaboj Prokop, giebt er eine Entwicklung?'- und Naturgeschichte der böhmischen Zu¬ stände. Die Knaben sind Söhne ein- und desselben Städtchens, in weichem der dnrchfließende Fluß seit Jahrhunderten die Sprachgrenze der beiden Nationen bildet. Aber uach 1866 ist über die Tschechen die Furcht vor deu Preußen gekommen, und mit Unterstützung der Regierung ist ihr Nationalgefühl immer mehr gestärkt worden; von da ub beginnen die nationalen Reibungen. Hübsch werden die Nationalcharaktere schon in den Knaben kontrastirt: Zaboj schwärmt für die Hus- siten, Anton ster Ideale der reinen Menschlichkeit. Es wird dann gezeigt, wie die Tschechen, immer von der Regierung unterstützt, die Deutschen zurückdrängen, aus deu Wirtshäusern, aus deu Geschäfte», aus dem Grundbesitze, aus deu Wahlen, und Maulhuer ist streug genug, um auch die Schwächen der Deutschen aufzudecken: ihre nationale Gleichgiltigkeit, ihre Nachgiebigkeit, ihren unpolitischen Sinn. Und anderseits stellt er deu nationalen Ausschreitungen der Jnngtschcchen die geschmack¬ losen Uebertreibungen des Reichenberger Deutschtums in gutmütigen Humor gegen¬ über. Es wird ferner gezeigt, wie die langsamen Deutschen, gezwungen durch das Vorgehen der Tschechen, sich endlich zum Kampfe um ihre Nationalität aufraffen und dann mit stämmigen Trotz bis aufs Aeußerste ausharren. Kurz, alle Typen der Bewegung werden verständnisvoll vorgeführt, die Tendenz ist, ohne sich nnf- zudriugeu, im Gange der Handlung verborgen. Da die nationalen Kämpfe in Böhmen die Augen von ganz Deutschland ans sich lenken, so war es verdienstlich von Fritz Manthner, einmal ein wahrheitsgetreues Bild derselbe» zu entwerfe« und anders, als es die Zeitnngsliteratnr zu thun vermag. Daß er einen glücklichem Griff in seinem „Letzten Deutschen" gethan hat, beweist der rasche Erfolg des Buches, denn es liegt schon in dritter Auflage vor. Für die Redaktion venmtwortlich: Johannes Grunvw in Leipzig. Aerlag von Fr. Wilh. Grunow in Leipzig. — Druck von Carl Marquart in Leipzig.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200104/352>, abgerufen am 23.12.2024.