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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr.

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der Natur als des Menschenherzens hineinführt," ein Werk "ohne allen Wert"
nennt, wenn er noch in den letzten Jahren seine Übereinstimmung mit Carlyle
betont, der sich bekanntlich in einer weitgehenden Geringschätzung Walter Scotts
gefiel, so waren dies eben Ausflüsse der besondern Natur Hebbels. Wie zahl¬
reiche Menschen alles fürchten, was eine Tiefe hat, fürchtete er alles, was eine
Breite hat.

Am augenscheinlichsten ist die Wirkung des Sonnenscheins in Hebbels Wiener
Jahren dadurch, daß die grübelnde Versenkung in gewisse äußerste Fälle, die
ihm als Konsequenz der Dinge erschienen, nach und nach beinahe völlig aufhört.
Wir finden in den "Tagebüchern" der vierziger Jahre noch genug Aufzeichnungen
dieser Art, während sie später immer mehr zurücktreten. Nur ein paar Proben
mögen das Wesen dieser Reflexion näher erläutern. Hebbel zeichnet auf: "Ein
Maler, der für sein höchstes Kunstwerk ein schönes Mädchen als Modell ge¬
braucht und sie dann tötet, damit kein zweiter sie gebrauchen und niemand sagen
könne, es sei Porträt," oder: "Ob jemand wohl so durstig werden kann, daß er
ein Glas Wasser trinkt, welches vergiftet ist," oder: "Eine Bartholomäusnacht,
aber in anderen Sinne als die erste, um die Bevölkerung der Erde auf das
ihrer Produktionskraft entsprechende Maß zu reduziren, infolge allgemeinen
Volksbeschlnsses." Das Spielen mit solchen und ähnlichen Problemen hört in
der Periode, in welcher "Agnes Bernaner," "Michel Angelo," "Gyges und
sein Ring," die "Nibelungen" entstanden, beinahe ganz auf. Der Dichter hatte
nur noch einzelne Anwandlungen, gegenüber gewissen Problemen zu vergessen,
daß das Maß der menschlichen Dinge sich mit innerer Notwendigkeit, allen
Abstraktionen zum Trotz, herstellt. Wenn er die Frage aufwarf, ob nicht
ein Rothschild die Ernte ganzer Länder aufkaufen und zu seinem Privat¬
vergnügen auf dem Halme verfaulen lassen könne, wobei ihn "der Staat"
als Hüter des Eigentumes schützen müsse, so stellte sich der Staat
dem sonst so scharfsichtigen als ein in alle Ewigkeit unwandelbares
Abstraktum dar; er vergaß, daß er eine Gemeinsamkeit von Menschen ist,
die unfehlbar vom Recht des Krieges gegen den Einzelnen Gebrauch machen
würde, der ihr in der angedeuteten Weise den Krieg erklärt hätte. Aber, wie
gesagt, in eben dem Maße, als Hebbel die Segnungen eines lichtem Daseins,
eines frohen Gedeihens empfand und dankbar würdigte, trat die Neigung zu
diesem finstern Gedankenspiel zurück. Die spätern "Tagebücher" bezeugen eine
unverkennbare Neigung, sich auch den anmutigern und erquicklichern Eindrücken
des Lebens zu überlassen, der Reiz und eigentümliche Duft, welcher die lyrischen
Spätlinge Hebbels auszeichnet, erfüllt auch zahlreiche kleine Bilder, die uns aus
den letzten Blättern der "Tagebücher" entgegentreten.

Überhaupt aber -- und das ist Wohl die Hauptsache -- welche offene,
männlich tapfere, pflichtstrenge, im besten Sinne ritterliche, welche große, in
allen Hauptsachen edle, in schwerer Selbstzucht geläuterte Natur, welch ein


der Natur als des Menschenherzens hineinführt," ein Werk „ohne allen Wert"
nennt, wenn er noch in den letzten Jahren seine Übereinstimmung mit Carlyle
betont, der sich bekanntlich in einer weitgehenden Geringschätzung Walter Scotts
gefiel, so waren dies eben Ausflüsse der besondern Natur Hebbels. Wie zahl¬
reiche Menschen alles fürchten, was eine Tiefe hat, fürchtete er alles, was eine
Breite hat.

Am augenscheinlichsten ist die Wirkung des Sonnenscheins in Hebbels Wiener
Jahren dadurch, daß die grübelnde Versenkung in gewisse äußerste Fälle, die
ihm als Konsequenz der Dinge erschienen, nach und nach beinahe völlig aufhört.
Wir finden in den „Tagebüchern" der vierziger Jahre noch genug Aufzeichnungen
dieser Art, während sie später immer mehr zurücktreten. Nur ein paar Proben
mögen das Wesen dieser Reflexion näher erläutern. Hebbel zeichnet auf: „Ein
Maler, der für sein höchstes Kunstwerk ein schönes Mädchen als Modell ge¬
braucht und sie dann tötet, damit kein zweiter sie gebrauchen und niemand sagen
könne, es sei Porträt," oder: „Ob jemand wohl so durstig werden kann, daß er
ein Glas Wasser trinkt, welches vergiftet ist," oder: „Eine Bartholomäusnacht,
aber in anderen Sinne als die erste, um die Bevölkerung der Erde auf das
ihrer Produktionskraft entsprechende Maß zu reduziren, infolge allgemeinen
Volksbeschlnsses." Das Spielen mit solchen und ähnlichen Problemen hört in
der Periode, in welcher „Agnes Bernaner," „Michel Angelo," „Gyges und
sein Ring," die „Nibelungen" entstanden, beinahe ganz auf. Der Dichter hatte
nur noch einzelne Anwandlungen, gegenüber gewissen Problemen zu vergessen,
daß das Maß der menschlichen Dinge sich mit innerer Notwendigkeit, allen
Abstraktionen zum Trotz, herstellt. Wenn er die Frage aufwarf, ob nicht
ein Rothschild die Ernte ganzer Länder aufkaufen und zu seinem Privat¬
vergnügen auf dem Halme verfaulen lassen könne, wobei ihn „der Staat"
als Hüter des Eigentumes schützen müsse, so stellte sich der Staat
dem sonst so scharfsichtigen als ein in alle Ewigkeit unwandelbares
Abstraktum dar; er vergaß, daß er eine Gemeinsamkeit von Menschen ist,
die unfehlbar vom Recht des Krieges gegen den Einzelnen Gebrauch machen
würde, der ihr in der angedeuteten Weise den Krieg erklärt hätte. Aber, wie
gesagt, in eben dem Maße, als Hebbel die Segnungen eines lichtem Daseins,
eines frohen Gedeihens empfand und dankbar würdigte, trat die Neigung zu
diesem finstern Gedankenspiel zurück. Die spätern „Tagebücher" bezeugen eine
unverkennbare Neigung, sich auch den anmutigern und erquicklichern Eindrücken
des Lebens zu überlassen, der Reiz und eigentümliche Duft, welcher die lyrischen
Spätlinge Hebbels auszeichnet, erfüllt auch zahlreiche kleine Bilder, die uns aus
den letzten Blättern der „Tagebücher" entgegentreten.

Überhaupt aber — und das ist Wohl die Hauptsache — welche offene,
männlich tapfere, pflichtstrenge, im besten Sinne ritterliche, welche große, in
allen Hauptsachen edle, in schwerer Selbstzucht geläuterte Natur, welch ein


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200104/35>, abgerufen am 23.12.2024.