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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr.

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Literatur.

Literaturbeschreibung, sondern, was für ihn vielleicht noch wichtiger Ist, eine ge¬
schickte Inhaltsübersicht aller nur irgendwie bedeutsamen Erscheinungen, Hierbei
wird mit denkbarster Objektivität verfahren, und wenn sich irgendwie Sympathien
oder Antipathien verspüren lassen in der breiteren Ausführung dieser, der kürzeren
Behandlung jener Partien, so wird man darin nur die Kritik eines ästhetisch und
historisch gebildeten Mannes erkennen, der aus einem Wust vou politischen, so¬
zialen und Geschmacksexpcrimentcn das Bedeutsame, Verwendbare und Bleibende
in den Vordergrund zu stellen sucht. George Saud tritt z, B, mehr hervor als
Engen Sue, wir finden das sehr natürlich. Aber deswegen wird eine Erscheinung
wie Bnlzae aufs eingehendste und liebevollste gewürdigt, dem wackern Bayle
wird eine verdiente Auszeichnung zu Teil. Das sensationelle und infolge dessen
vielfach Besprochene beirrt den Blick dieses literarhistorischen Führers glücklicher¬
weise nicht. Wichtig ist das z. B. bei dem Dramatiker Angler, dessen Bedeutung
andrer Art ist als die eines Seribe, Dumas und Sardon nud gerade auf den
nicht vom Tageserfolge getragenen und infolge dessen bei uns leider am wenigsten
bekannten Stücken bericht. Die Nichtbeachtung der allerneuesten Entwicklung, sowie
etwa die knappe, obligate Besprechung Zolas gründet sich auf dieselben Prinzipien.
Die neuere Literatur spielt sonst eine überwiegende Rolle und zwar eine umso
umfangreichere, je mehr sie sich uusern Zeiten nähert. Die Gründe hierfür er¬
geben sich aus der Bestimmung des Buches vou selbst.

Ueber die Anordnung des Stoffes mit dem Verfasser zu rechte", wird sich
jeder hüten, der die Schwierigkeit dieses Punktes gerade in der französischen Lite¬
ratur einsieht. Gruppirungen um Zentralpnnkte oder nach Landschaften und
Stämmen, wodurch z. B. die deutsche so übersichtlich wird, sind dort unmöglich.
Nicht erst seit den Begründern der Souveränität, seit Henri IV., Richelieu, Ma-
zarin, nein schon seit der Renaissance unter den Auspizien des Siebengestirns aus
dem OoUtzKv no voyuvrot giebt es nnr eine Literatur, die wruto littüraturo vou
Paris. Und dies ist schließlich die eigentliche französische Nationallitcratnr, da
das sinkende Mitlelcilter gerade in Frankreich poetisch höchst phhsiognomielos, die
Tronbadourpoesie aber nicht eigentlich "französischen" Gepräges ist. Die Nor-
mandie etwa als Dichterprovinz zu fasse" (Malherbe, Corneille), wie bei uns im
siebzehnten Jahrhundert Schlesien, oder gewisse moderne Südfranzosen dem Norden
entgegenzusetzen, wie die Schweizer den Sachsen, wird niemandem im Ernste ein¬
fallen. Die gewählte Gruppirung nach den Dichtungsarten oder den literarischen
Produktionen, die der Dichtung nahestehen (nud hier sind gerade in Frankreich
Geschichtschreibung, Politik und Philosophie mehr als irgendwo heranzuziehen, schon
ans äußern Gründen, da diese Gebiete drüben nicht so im Banne des "Faches"
liege"), diese Gruppirung, an der z. B. bei uns die Kurzschc Literaturgeschichte
scheiterte, dürfte für unsre Empfindung die passendste sein. Denn nirgends haben
sich die einzelnen Gattungen mehr ausgelebt, nirgends ist ihre Scheidung für die
Gestaltung der Literatur selbst wichtiger geworden, als bei dein fvrmgiänbigsten
aller Literaturvölker. Unzuträglichkeiten ergeben sich schließlich in dieser Hinsicht
bei jeder Methode. Diejenige Periode, wo sie hier am ehesten ausfüllen, die so¬
genannte klassische, gestehen wir übrigens noch nirgends vollkommen durchsichtig
behandelt gefunden zu haben. Die Gegensätze und Entwicklungen (Malherbisten
und Prccicuse, Grammatiker, Akademiker und Italiener, sowie ihre Opponenten,
der Philosophischen Interessen garnicht zu gedenken) sind da so mannichfach und so
rasch auseinander gefolgt, daß zu ihrer historischen Bewältigung mehr Kunst gehört,
als in so kleinen! Rahmen, wie er hier dem siebzehnten Jahrhundert Verhältnis-


Literatur.

Literaturbeschreibung, sondern, was für ihn vielleicht noch wichtiger Ist, eine ge¬
schickte Inhaltsübersicht aller nur irgendwie bedeutsamen Erscheinungen, Hierbei
wird mit denkbarster Objektivität verfahren, und wenn sich irgendwie Sympathien
oder Antipathien verspüren lassen in der breiteren Ausführung dieser, der kürzeren
Behandlung jener Partien, so wird man darin nur die Kritik eines ästhetisch und
historisch gebildeten Mannes erkennen, der aus einem Wust vou politischen, so¬
zialen und Geschmacksexpcrimentcn das Bedeutsame, Verwendbare und Bleibende
in den Vordergrund zu stellen sucht. George Saud tritt z, B, mehr hervor als
Engen Sue, wir finden das sehr natürlich. Aber deswegen wird eine Erscheinung
wie Bnlzae aufs eingehendste und liebevollste gewürdigt, dem wackern Bayle
wird eine verdiente Auszeichnung zu Teil. Das sensationelle und infolge dessen
vielfach Besprochene beirrt den Blick dieses literarhistorischen Führers glücklicher¬
weise nicht. Wichtig ist das z. B. bei dem Dramatiker Angler, dessen Bedeutung
andrer Art ist als die eines Seribe, Dumas und Sardon nud gerade auf den
nicht vom Tageserfolge getragenen und infolge dessen bei uns leider am wenigsten
bekannten Stücken bericht. Die Nichtbeachtung der allerneuesten Entwicklung, sowie
etwa die knappe, obligate Besprechung Zolas gründet sich auf dieselben Prinzipien.
Die neuere Literatur spielt sonst eine überwiegende Rolle und zwar eine umso
umfangreichere, je mehr sie sich uusern Zeiten nähert. Die Gründe hierfür er¬
geben sich aus der Bestimmung des Buches vou selbst.

Ueber die Anordnung des Stoffes mit dem Verfasser zu rechte», wird sich
jeder hüten, der die Schwierigkeit dieses Punktes gerade in der französischen Lite¬
ratur einsieht. Gruppirungen um Zentralpnnkte oder nach Landschaften und
Stämmen, wodurch z. B. die deutsche so übersichtlich wird, sind dort unmöglich.
Nicht erst seit den Begründern der Souveränität, seit Henri IV., Richelieu, Ma-
zarin, nein schon seit der Renaissance unter den Auspizien des Siebengestirns aus
dem OoUtzKv no voyuvrot giebt es nnr eine Literatur, die wruto littüraturo vou
Paris. Und dies ist schließlich die eigentliche französische Nationallitcratnr, da
das sinkende Mitlelcilter gerade in Frankreich poetisch höchst phhsiognomielos, die
Tronbadourpoesie aber nicht eigentlich „französischen" Gepräges ist. Die Nor-
mandie etwa als Dichterprovinz zu fasse» (Malherbe, Corneille), wie bei uns im
siebzehnten Jahrhundert Schlesien, oder gewisse moderne Südfranzosen dem Norden
entgegenzusetzen, wie die Schweizer den Sachsen, wird niemandem im Ernste ein¬
fallen. Die gewählte Gruppirung nach den Dichtungsarten oder den literarischen
Produktionen, die der Dichtung nahestehen (nud hier sind gerade in Frankreich
Geschichtschreibung, Politik und Philosophie mehr als irgendwo heranzuziehen, schon
ans äußern Gründen, da diese Gebiete drüben nicht so im Banne des „Faches"
liege»), diese Gruppirung, an der z. B. bei uns die Kurzschc Literaturgeschichte
scheiterte, dürfte für unsre Empfindung die passendste sein. Denn nirgends haben
sich die einzelnen Gattungen mehr ausgelebt, nirgends ist ihre Scheidung für die
Gestaltung der Literatur selbst wichtiger geworden, als bei dein fvrmgiänbigsten
aller Literaturvölker. Unzuträglichkeiten ergeben sich schließlich in dieser Hinsicht
bei jeder Methode. Diejenige Periode, wo sie hier am ehesten ausfüllen, die so¬
genannte klassische, gestehen wir übrigens noch nirgends vollkommen durchsichtig
behandelt gefunden zu haben. Die Gegensätze und Entwicklungen (Malherbisten
und Prccicuse, Grammatiker, Akademiker und Italiener, sowie ihre Opponenten,
der Philosophischen Interessen garnicht zu gedenken) sind da so mannichfach und so
rasch auseinander gefolgt, daß zu ihrer historischen Bewältigung mehr Kunst gehört,
als in so kleinen! Rahmen, wie er hier dem siebzehnten Jahrhundert Verhältnis-


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[0348] Literatur. Literaturbeschreibung, sondern, was für ihn vielleicht noch wichtiger Ist, eine ge¬ schickte Inhaltsübersicht aller nur irgendwie bedeutsamen Erscheinungen, Hierbei wird mit denkbarster Objektivität verfahren, und wenn sich irgendwie Sympathien oder Antipathien verspüren lassen in der breiteren Ausführung dieser, der kürzeren Behandlung jener Partien, so wird man darin nur die Kritik eines ästhetisch und historisch gebildeten Mannes erkennen, der aus einem Wust vou politischen, so¬ zialen und Geschmacksexpcrimentcn das Bedeutsame, Verwendbare und Bleibende in den Vordergrund zu stellen sucht. George Saud tritt z, B, mehr hervor als Engen Sue, wir finden das sehr natürlich. Aber deswegen wird eine Erscheinung wie Bnlzae aufs eingehendste und liebevollste gewürdigt, dem wackern Bayle wird eine verdiente Auszeichnung zu Teil. Das sensationelle und infolge dessen vielfach Besprochene beirrt den Blick dieses literarhistorischen Führers glücklicher¬ weise nicht. Wichtig ist das z. B. bei dem Dramatiker Angler, dessen Bedeutung andrer Art ist als die eines Seribe, Dumas und Sardon nud gerade auf den nicht vom Tageserfolge getragenen und infolge dessen bei uns leider am wenigsten bekannten Stücken bericht. Die Nichtbeachtung der allerneuesten Entwicklung, sowie etwa die knappe, obligate Besprechung Zolas gründet sich auf dieselben Prinzipien. Die neuere Literatur spielt sonst eine überwiegende Rolle und zwar eine umso umfangreichere, je mehr sie sich uusern Zeiten nähert. Die Gründe hierfür er¬ geben sich aus der Bestimmung des Buches vou selbst. Ueber die Anordnung des Stoffes mit dem Verfasser zu rechte», wird sich jeder hüten, der die Schwierigkeit dieses Punktes gerade in der französischen Lite¬ ratur einsieht. Gruppirungen um Zentralpnnkte oder nach Landschaften und Stämmen, wodurch z. B. die deutsche so übersichtlich wird, sind dort unmöglich. Nicht erst seit den Begründern der Souveränität, seit Henri IV., Richelieu, Ma- zarin, nein schon seit der Renaissance unter den Auspizien des Siebengestirns aus dem OoUtzKv no voyuvrot giebt es nnr eine Literatur, die wruto littüraturo vou Paris. Und dies ist schließlich die eigentliche französische Nationallitcratnr, da das sinkende Mitlelcilter gerade in Frankreich poetisch höchst phhsiognomielos, die Tronbadourpoesie aber nicht eigentlich „französischen" Gepräges ist. Die Nor- mandie etwa als Dichterprovinz zu fasse» (Malherbe, Corneille), wie bei uns im siebzehnten Jahrhundert Schlesien, oder gewisse moderne Südfranzosen dem Norden entgegenzusetzen, wie die Schweizer den Sachsen, wird niemandem im Ernste ein¬ fallen. Die gewählte Gruppirung nach den Dichtungsarten oder den literarischen Produktionen, die der Dichtung nahestehen (nud hier sind gerade in Frankreich Geschichtschreibung, Politik und Philosophie mehr als irgendwo heranzuziehen, schon ans äußern Gründen, da diese Gebiete drüben nicht so im Banne des „Faches" liege»), diese Gruppirung, an der z. B. bei uns die Kurzschc Literaturgeschichte scheiterte, dürfte für unsre Empfindung die passendste sein. Denn nirgends haben sich die einzelnen Gattungen mehr ausgelebt, nirgends ist ihre Scheidung für die Gestaltung der Literatur selbst wichtiger geworden, als bei dein fvrmgiänbigsten aller Literaturvölker. Unzuträglichkeiten ergeben sich schließlich in dieser Hinsicht bei jeder Methode. Diejenige Periode, wo sie hier am ehesten ausfüllen, die so¬ genannte klassische, gestehen wir übrigens noch nirgends vollkommen durchsichtig behandelt gefunden zu haben. Die Gegensätze und Entwicklungen (Malherbisten und Prccicuse, Grammatiker, Akademiker und Italiener, sowie ihre Opponenten, der Philosophischen Interessen garnicht zu gedenken) sind da so mannichfach und so rasch auseinander gefolgt, daß zu ihrer historischen Bewältigung mehr Kunst gehört, als in so kleinen! Rahmen, wie er hier dem siebzehnten Jahrhundert Verhältnis-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200104/348>, abgerufen am 23.12.2024.