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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr.

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Jugenderinnerungen.

dem knabenhaften Übermute noch nicht, die Preußen sollten fühlen, daß das
verkleinerte Sachsen dem immer größer und stärker werdenden Staate Friedrichs
des Großen sehr böse war.

Was konnte einer Schar unvernünftiger kleiner Bengel beim Spiel im
Freien erwünschter sein als eine lustige Rauferei? Zu solcher Rauferei gab
der Haß auf Preußen die schönste Gelegenheit, die ausgiebig benutzt wurde.
Die kampffähigen Knaben -- und für kampffähig wurde alles erklärt, was die
Fäuste brauchen und einen Stecken schwingen konnte -- teilten sich in zwei der
Zahl nach gleiche Parteien. Eine derselben stellte die preußische, die andre die
sächsische Macht vor, und so rückten sie mit Stecken und Schwuppen bewaffnet unter
wildem Geschrei gegen einander. Die Erbitterung gegen Preußen in den kleinen
Herzen der eifrigen Krieger sorgte dafür, daß man sich gegenseitig wenig schonte,
sondern mit Herzenslust einander durchbläute. Die politisch sehr weise Ein¬
richtung, welche mit Genehmigung aller Teilhaber an diesem Kriegsspiel ge¬
troffen wurde, daß nämlich die schwächeren und kleineren Knaben regelmäßig
die Preußen, die größeren und stärkeren dagegen die Sachsen vorstellten, hatte
einen doppelten Nutzen. Wer vermöge seiner Kleinheit oder noch sehr wenig
entwickelter Körperkraft zu den Preußen kommandirt ward, ergrimmte schon vor
Beginn des Spiels innerlich und geriet dadurch in nachhaltige Kampflust. Zu¬
gleich aber war damit anch der Ausgang der Schlacht bereits im voraus ge¬
sichert. Die größere" mußten selbstverständlich die kleineren zuletzt besiegen
und in die Flucht schlagen, Sachsen also mit Ruhm bedeckt aus dem Kampfe
hervorgehen. In der Regel endigte anch wirklich das knabenhafte Kriegsspiel
sehr im Widerspruch mit den geschichtlichen Thatsachen in der angedeuteten Weise,
immer jedoch erwies sich die kluge Berechnung unsrer Strategen nicht als stich¬
haltig. Es gab nämlich unter den Preußen, bei denen ich als einer der Jüngsten
und Kleinsten meistenteils auch eingestellt wurde, einige sehr gewandte und völlig
rücksichtslose Kerlchen, die sich ungern der Disziplin, dem Kommando unsers
Kriegsobersten aber garnicht fügten. Diese Ungeberdigen liebten es, sobald
die Schlacht in voller Wild entbrannt war, auf eigue Faust hinterlistige Auf-
und Anfälle zu machen, wodurch mancher phlegmatisch kämpfende Sachse
ins Stolpern geriet. Solche arge Kniffe verschafften dann den bösen Preußen
den Sieg und entschädigten uns Kleine einigermaßen für die abscheulichen Prügel,
die wir uns aus Patriotismus von den Sachsen gefallen lassen mußten.

Patriotismus! Ob in meiner Kindheit Wohl viele Leute sich klar zu machen
suchten, was nnter Patriotismus zu verstehe" sei? Ich glaube es nicht. Von
Deutschland sprachen allerdings so ziemlich alle, wirklich deutsch aber fühlten
trotz des Arudtschen Liedes vom deutschen Vaterlande nnr sehr wenige. Es
gab in jenen längst vergangenen Tagen nur Landsmannschaften: die Menschen
waren Preußen, Sachsen, Würtenberger, Hessen, Mecklenburger ?c., und dem¬
entsprechend kannten sie auch nur eiuen spezifisch preußischen u. s. w. Patriv-


Jugenderinnerungen.

dem knabenhaften Übermute noch nicht, die Preußen sollten fühlen, daß das
verkleinerte Sachsen dem immer größer und stärker werdenden Staate Friedrichs
des Großen sehr böse war.

Was konnte einer Schar unvernünftiger kleiner Bengel beim Spiel im
Freien erwünschter sein als eine lustige Rauferei? Zu solcher Rauferei gab
der Haß auf Preußen die schönste Gelegenheit, die ausgiebig benutzt wurde.
Die kampffähigen Knaben — und für kampffähig wurde alles erklärt, was die
Fäuste brauchen und einen Stecken schwingen konnte — teilten sich in zwei der
Zahl nach gleiche Parteien. Eine derselben stellte die preußische, die andre die
sächsische Macht vor, und so rückten sie mit Stecken und Schwuppen bewaffnet unter
wildem Geschrei gegen einander. Die Erbitterung gegen Preußen in den kleinen
Herzen der eifrigen Krieger sorgte dafür, daß man sich gegenseitig wenig schonte,
sondern mit Herzenslust einander durchbläute. Die politisch sehr weise Ein¬
richtung, welche mit Genehmigung aller Teilhaber an diesem Kriegsspiel ge¬
troffen wurde, daß nämlich die schwächeren und kleineren Knaben regelmäßig
die Preußen, die größeren und stärkeren dagegen die Sachsen vorstellten, hatte
einen doppelten Nutzen. Wer vermöge seiner Kleinheit oder noch sehr wenig
entwickelter Körperkraft zu den Preußen kommandirt ward, ergrimmte schon vor
Beginn des Spiels innerlich und geriet dadurch in nachhaltige Kampflust. Zu¬
gleich aber war damit anch der Ausgang der Schlacht bereits im voraus ge¬
sichert. Die größere» mußten selbstverständlich die kleineren zuletzt besiegen
und in die Flucht schlagen, Sachsen also mit Ruhm bedeckt aus dem Kampfe
hervorgehen. In der Regel endigte anch wirklich das knabenhafte Kriegsspiel
sehr im Widerspruch mit den geschichtlichen Thatsachen in der angedeuteten Weise,
immer jedoch erwies sich die kluge Berechnung unsrer Strategen nicht als stich¬
haltig. Es gab nämlich unter den Preußen, bei denen ich als einer der Jüngsten
und Kleinsten meistenteils auch eingestellt wurde, einige sehr gewandte und völlig
rücksichtslose Kerlchen, die sich ungern der Disziplin, dem Kommando unsers
Kriegsobersten aber garnicht fügten. Diese Ungeberdigen liebten es, sobald
die Schlacht in voller Wild entbrannt war, auf eigue Faust hinterlistige Auf-
und Anfälle zu machen, wodurch mancher phlegmatisch kämpfende Sachse
ins Stolpern geriet. Solche arge Kniffe verschafften dann den bösen Preußen
den Sieg und entschädigten uns Kleine einigermaßen für die abscheulichen Prügel,
die wir uns aus Patriotismus von den Sachsen gefallen lassen mußten.

Patriotismus! Ob in meiner Kindheit Wohl viele Leute sich klar zu machen
suchten, was nnter Patriotismus zu verstehe» sei? Ich glaube es nicht. Von
Deutschland sprachen allerdings so ziemlich alle, wirklich deutsch aber fühlten
trotz des Arudtschen Liedes vom deutschen Vaterlande nnr sehr wenige. Es
gab in jenen längst vergangenen Tagen nur Landsmannschaften: die Menschen
waren Preußen, Sachsen, Würtenberger, Hessen, Mecklenburger ?c., und dem¬
entsprechend kannten sie auch nur eiuen spezifisch preußischen u. s. w. Patriv-


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[0343] Jugenderinnerungen. dem knabenhaften Übermute noch nicht, die Preußen sollten fühlen, daß das verkleinerte Sachsen dem immer größer und stärker werdenden Staate Friedrichs des Großen sehr böse war. Was konnte einer Schar unvernünftiger kleiner Bengel beim Spiel im Freien erwünschter sein als eine lustige Rauferei? Zu solcher Rauferei gab der Haß auf Preußen die schönste Gelegenheit, die ausgiebig benutzt wurde. Die kampffähigen Knaben — und für kampffähig wurde alles erklärt, was die Fäuste brauchen und einen Stecken schwingen konnte — teilten sich in zwei der Zahl nach gleiche Parteien. Eine derselben stellte die preußische, die andre die sächsische Macht vor, und so rückten sie mit Stecken und Schwuppen bewaffnet unter wildem Geschrei gegen einander. Die Erbitterung gegen Preußen in den kleinen Herzen der eifrigen Krieger sorgte dafür, daß man sich gegenseitig wenig schonte, sondern mit Herzenslust einander durchbläute. Die politisch sehr weise Ein¬ richtung, welche mit Genehmigung aller Teilhaber an diesem Kriegsspiel ge¬ troffen wurde, daß nämlich die schwächeren und kleineren Knaben regelmäßig die Preußen, die größeren und stärkeren dagegen die Sachsen vorstellten, hatte einen doppelten Nutzen. Wer vermöge seiner Kleinheit oder noch sehr wenig entwickelter Körperkraft zu den Preußen kommandirt ward, ergrimmte schon vor Beginn des Spiels innerlich und geriet dadurch in nachhaltige Kampflust. Zu¬ gleich aber war damit anch der Ausgang der Schlacht bereits im voraus ge¬ sichert. Die größere» mußten selbstverständlich die kleineren zuletzt besiegen und in die Flucht schlagen, Sachsen also mit Ruhm bedeckt aus dem Kampfe hervorgehen. In der Regel endigte anch wirklich das knabenhafte Kriegsspiel sehr im Widerspruch mit den geschichtlichen Thatsachen in der angedeuteten Weise, immer jedoch erwies sich die kluge Berechnung unsrer Strategen nicht als stich¬ haltig. Es gab nämlich unter den Preußen, bei denen ich als einer der Jüngsten und Kleinsten meistenteils auch eingestellt wurde, einige sehr gewandte und völlig rücksichtslose Kerlchen, die sich ungern der Disziplin, dem Kommando unsers Kriegsobersten aber garnicht fügten. Diese Ungeberdigen liebten es, sobald die Schlacht in voller Wild entbrannt war, auf eigue Faust hinterlistige Auf- und Anfälle zu machen, wodurch mancher phlegmatisch kämpfende Sachse ins Stolpern geriet. Solche arge Kniffe verschafften dann den bösen Preußen den Sieg und entschädigten uns Kleine einigermaßen für die abscheulichen Prügel, die wir uns aus Patriotismus von den Sachsen gefallen lassen mußten. Patriotismus! Ob in meiner Kindheit Wohl viele Leute sich klar zu machen suchten, was nnter Patriotismus zu verstehe» sei? Ich glaube es nicht. Von Deutschland sprachen allerdings so ziemlich alle, wirklich deutsch aber fühlten trotz des Arudtschen Liedes vom deutschen Vaterlande nnr sehr wenige. Es gab in jenen längst vergangenen Tagen nur Landsmannschaften: die Menschen waren Preußen, Sachsen, Würtenberger, Hessen, Mecklenburger ?c., und dem¬ entsprechend kannten sie auch nur eiuen spezifisch preußischen u. s. w. Patriv-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200104/343>, abgerufen am 03.07.2024.