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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr.

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Jugenderinnerungen.

täglich und gar häufig auch in der Woche von der Kanzel herab lehrte. Wenn
einer, so mußte der Vater es wissen, was den gerechten König in Gefangen¬
schaft gebracht hatte.

Die Antwort ans unsre Frage blieb uns der Vater nicht schuldig. Sie
lautete kurz und enthielt nur so viel Thatsächliches, als Kindern in so frühen
Jahren zu wissen ersprießlich war. Wir begnügten uus damit, nahmen aber
doch Anstoß an der Teilung unsers speziellen Vaterlandes, das als solches doch
nichts mit der persönlichen Anhänglichkeit des armen, beklagenswerten Königs
an den Kaiser Napoleon zu thun hatte, der nun in weiter, weiter Ferne auf
öder Insel im Ozean sein verlorenes Glück, seine verschwundene Herrlichkeit be¬
klagen konnte. Wir fanden, dieser wunderbare, geheimnisvolle Mann, den man
in den Tagen seines Unglücks durch allerhand Karrikaturen ebenso arg verhöhnte,
als man zur Zeit seiner Macht ihm blind gehuldigt und ihn demütig, ja knechtisch
gefeiert und verherrlicht hatte, sei viel übler daran als unser guter König.
Diesem war doch wenigstens das halbe Land geblieben, und er saß wieder stolz
und geliebt von seinen treuen Unterthanen auf dem Throne. Es war sehr
natürlich, daß wir uns sehr freuten, mit zu diesen getreuen Unterthanen zu
gehören. Manche nahe Verwandten von uns, ein Stiefbruder des Vaters,
der in Lauban lebte, und andre Vettern in Görlitz konnten sich dieses Glückes
nicht rühmen. Sie waren, ohne es zu wollen, Preußen -- Ncnpreußen --
geworden und mußten sich in die neuen Verhältnisse schicken und einleben, so
gut es gehen wollte.

Politische Fragen wurden zur Zeit meiner Jugend in den Familien, die
uns befreundet waren, nur änßerst selten besprochen. Es waren das Dinge,
über die man sich ein selbständiges Urteil nicht zutraute. Mau überließ das
denen, die es anging, die von Amtswegen damit zu thun hatten, also den
Herren von der Regierung und in unsrer unmittelbaren Nähe dem hochweisen
Rate der Stadt Zittau. Wie dieser gewisse Angelegenheiten betrachtete, blieb
uns selten lange verborgen, denn der älteste Bruder der Mutter bekleidete als
Syndikus eine hohe Stellung im Rate und stand als Studiengenosse des Vaters
in fortwährender Verbindung mit diesem. Bei gelegentliche" Besuchen dieses
einflußreichen, stets wohlunterrichteten Onkels in unserm Hanse kam es ge¬
wöhnlich zwischen den Jugendfreunden und damaligen Schwägern zu vertraulichen
Mitteilungen. Wir Brüder, auf deren harmlose Spiele man nicht achtete, hörten
diesen Gesprächen oft mit größerer Aufmerksamkeit zu, als Vater und Onkel
ahnen mochten, und legten uns das, was uns interessirte und insoweit wir es
verstanden, nach unsrer Weise zurecht.

Es mag dahingestellt bleiben, ob die Teilung Sachsens durch den Wiener
Kongreß ein Akt politischer Klugheit war. Preußen, das nnter der Herrschaft
Napoleons so schwer gelitten, das so ungeheure Opfer gebracht hatte und dessen
zäher Ausdauer alle deutschen Stämme die endliche Vertreibung der fremden


Jugenderinnerungen.

täglich und gar häufig auch in der Woche von der Kanzel herab lehrte. Wenn
einer, so mußte der Vater es wissen, was den gerechten König in Gefangen¬
schaft gebracht hatte.

Die Antwort ans unsre Frage blieb uns der Vater nicht schuldig. Sie
lautete kurz und enthielt nur so viel Thatsächliches, als Kindern in so frühen
Jahren zu wissen ersprießlich war. Wir begnügten uus damit, nahmen aber
doch Anstoß an der Teilung unsers speziellen Vaterlandes, das als solches doch
nichts mit der persönlichen Anhänglichkeit des armen, beklagenswerten Königs
an den Kaiser Napoleon zu thun hatte, der nun in weiter, weiter Ferne auf
öder Insel im Ozean sein verlorenes Glück, seine verschwundene Herrlichkeit be¬
klagen konnte. Wir fanden, dieser wunderbare, geheimnisvolle Mann, den man
in den Tagen seines Unglücks durch allerhand Karrikaturen ebenso arg verhöhnte,
als man zur Zeit seiner Macht ihm blind gehuldigt und ihn demütig, ja knechtisch
gefeiert und verherrlicht hatte, sei viel übler daran als unser guter König.
Diesem war doch wenigstens das halbe Land geblieben, und er saß wieder stolz
und geliebt von seinen treuen Unterthanen auf dem Throne. Es war sehr
natürlich, daß wir uns sehr freuten, mit zu diesen getreuen Unterthanen zu
gehören. Manche nahe Verwandten von uns, ein Stiefbruder des Vaters,
der in Lauban lebte, und andre Vettern in Görlitz konnten sich dieses Glückes
nicht rühmen. Sie waren, ohne es zu wollen, Preußen — Ncnpreußen —
geworden und mußten sich in die neuen Verhältnisse schicken und einleben, so
gut es gehen wollte.

Politische Fragen wurden zur Zeit meiner Jugend in den Familien, die
uns befreundet waren, nur änßerst selten besprochen. Es waren das Dinge,
über die man sich ein selbständiges Urteil nicht zutraute. Mau überließ das
denen, die es anging, die von Amtswegen damit zu thun hatten, also den
Herren von der Regierung und in unsrer unmittelbaren Nähe dem hochweisen
Rate der Stadt Zittau. Wie dieser gewisse Angelegenheiten betrachtete, blieb
uns selten lange verborgen, denn der älteste Bruder der Mutter bekleidete als
Syndikus eine hohe Stellung im Rate und stand als Studiengenosse des Vaters
in fortwährender Verbindung mit diesem. Bei gelegentliche» Besuchen dieses
einflußreichen, stets wohlunterrichteten Onkels in unserm Hanse kam es ge¬
wöhnlich zwischen den Jugendfreunden und damaligen Schwägern zu vertraulichen
Mitteilungen. Wir Brüder, auf deren harmlose Spiele man nicht achtete, hörten
diesen Gesprächen oft mit größerer Aufmerksamkeit zu, als Vater und Onkel
ahnen mochten, und legten uns das, was uns interessirte und insoweit wir es
verstanden, nach unsrer Weise zurecht.

Es mag dahingestellt bleiben, ob die Teilung Sachsens durch den Wiener
Kongreß ein Akt politischer Klugheit war. Preußen, das nnter der Herrschaft
Napoleons so schwer gelitten, das so ungeheure Opfer gebracht hatte und dessen
zäher Ausdauer alle deutschen Stämme die endliche Vertreibung der fremden


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[0341] Jugenderinnerungen. täglich und gar häufig auch in der Woche von der Kanzel herab lehrte. Wenn einer, so mußte der Vater es wissen, was den gerechten König in Gefangen¬ schaft gebracht hatte. Die Antwort ans unsre Frage blieb uns der Vater nicht schuldig. Sie lautete kurz und enthielt nur so viel Thatsächliches, als Kindern in so frühen Jahren zu wissen ersprießlich war. Wir begnügten uus damit, nahmen aber doch Anstoß an der Teilung unsers speziellen Vaterlandes, das als solches doch nichts mit der persönlichen Anhänglichkeit des armen, beklagenswerten Königs an den Kaiser Napoleon zu thun hatte, der nun in weiter, weiter Ferne auf öder Insel im Ozean sein verlorenes Glück, seine verschwundene Herrlichkeit be¬ klagen konnte. Wir fanden, dieser wunderbare, geheimnisvolle Mann, den man in den Tagen seines Unglücks durch allerhand Karrikaturen ebenso arg verhöhnte, als man zur Zeit seiner Macht ihm blind gehuldigt und ihn demütig, ja knechtisch gefeiert und verherrlicht hatte, sei viel übler daran als unser guter König. Diesem war doch wenigstens das halbe Land geblieben, und er saß wieder stolz und geliebt von seinen treuen Unterthanen auf dem Throne. Es war sehr natürlich, daß wir uns sehr freuten, mit zu diesen getreuen Unterthanen zu gehören. Manche nahe Verwandten von uns, ein Stiefbruder des Vaters, der in Lauban lebte, und andre Vettern in Görlitz konnten sich dieses Glückes nicht rühmen. Sie waren, ohne es zu wollen, Preußen — Ncnpreußen — geworden und mußten sich in die neuen Verhältnisse schicken und einleben, so gut es gehen wollte. Politische Fragen wurden zur Zeit meiner Jugend in den Familien, die uns befreundet waren, nur änßerst selten besprochen. Es waren das Dinge, über die man sich ein selbständiges Urteil nicht zutraute. Mau überließ das denen, die es anging, die von Amtswegen damit zu thun hatten, also den Herren von der Regierung und in unsrer unmittelbaren Nähe dem hochweisen Rate der Stadt Zittau. Wie dieser gewisse Angelegenheiten betrachtete, blieb uns selten lange verborgen, denn der älteste Bruder der Mutter bekleidete als Syndikus eine hohe Stellung im Rate und stand als Studiengenosse des Vaters in fortwährender Verbindung mit diesem. Bei gelegentliche» Besuchen dieses einflußreichen, stets wohlunterrichteten Onkels in unserm Hanse kam es ge¬ wöhnlich zwischen den Jugendfreunden und damaligen Schwägern zu vertraulichen Mitteilungen. Wir Brüder, auf deren harmlose Spiele man nicht achtete, hörten diesen Gesprächen oft mit größerer Aufmerksamkeit zu, als Vater und Onkel ahnen mochten, und legten uns das, was uns interessirte und insoweit wir es verstanden, nach unsrer Weise zurecht. Es mag dahingestellt bleiben, ob die Teilung Sachsens durch den Wiener Kongreß ein Akt politischer Klugheit war. Preußen, das nnter der Herrschaft Napoleons so schwer gelitten, das so ungeheure Opfer gebracht hatte und dessen zäher Ausdauer alle deutschen Stämme die endliche Vertreibung der fremden

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200104/341>, abgerufen am 01.10.2024.