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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr.

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Friedrich Hebbels Tagebücher von ^3^2 bis ^362.

schließen, und es entspringt nur zum Teil aus meiner dichterischen Natur, die
allerdings an sich, da sie vermöge der bloßen Vorstellung das Geheimste mensch¬
licher Situationen und Charaktere in sich hervorrufen soll, eine größere Rezep-
tivität als die gewöhnliche voraussetzt; zum größern ist es die Folge meiner
trüben Kindheit und meiner gedrückten Jünglingsjcchrc, es geht mir wie einem,
der ein Dezennium zwischen Fußangeln und Sclbststößen umhergeirrt ist und
nur die wenigsten davon vermieden hat, er wird selbst auf Pflastersteinen anders
auftreten wie andre. Was hilft es mir, daß ich dagegen angehe! Das kann
die Menschen, mit denen ich zu thun habe, freilich gegen mich, gegen mein Auf¬
fahren schützen, aber in mir bleibt's das nämliche!" Die Zeit und die glück¬
licheren Verhältnisse der zweiten Lebcnshälfte milderten hieran Wohl etwas,
aber am 31. Dezember 1858 verzeichnet der Dichter, eine Krankheitsperiode
zusammenfassend: "Der Gemütszustand war sehr finster, die Arbeitsunfähigkeit
groß, und mit tiefster Neue gedenke ich so mancher heftigen Aufwallung gegen
die Meinigen, die selbst durch Krankheit nicht zu entschuldigen ist und die meine
teure Frau mit Engelsgeduld ertrug. Freilich war ich fest überzeugt, daß ich
nie wieder gesund werden würde, und wer mir die Beine nimmt, der nimmt
mir auch den Kopf." Und in einem (den Tagebüchern uicht entnommenen,
seither ungedruckten) Briefe vom 15. Oktober 1862 heißt es: "Ich erinnere
mich der diesmal wieder mit Ihnen zugebrachten Tage mit Freuden. Sie haben
weniger Ursache dazu, denn ich, war der finstre Saul und Sie neben mir der
milde David. Aber ich stehe nun einmal nnter einem so bösen Sterne, daß
ich mitunter auffahre, wo ich bloß lachen sollte, und auch Sie haben sich zu
meinem Bedauern davon persönlich überzeugen müssen. Nicht, als ob ich mir
in der Sache Unrecht gäbe; das wird mir selten begegnen, denn ich bin eine
Aristidesnatur und kreuzige mein Fleisch oft über die Gebühr. Aber in der
Form; wenn sich ein Architekt mit mir zu Tische setzt und als Maurergeselle
wieder aufsteht, so ist das ein Spaß und weiter nichts."

Eine nicht minder hinderliche, ja verhängnisvolle Mitgabe als die unzähm¬
bare, leidenschaftliche Heftigkeit in gewissen Augenblicken, war die Unmöglichkeit,
von seinem Wege abliegende Leistungen zu würdigen und an sie die Maßstäbe
anzulegen, welche sich aus ihrer Natur und Art ergeben. Es trieb Hebbel in
solchen Fällen förmlich dämonisch, den härtesten Ausdruck für seine Überzeugung""
zu brauchen. Wer ohne Berücksichtigung der ganzen Anlage und der durchaus
subjektiven, von seinem innersten Künstlerbedürfnis bestimmten (an lichtvollen
Offenbarungen, wie um feinsten Beobachtungen überreichen) Ästhetik des Dichters
sich nur an den Widerspruch vieler seiner Urteile mit dem allgemein giltigen
halten will, der findet auch in dem zweiten Bande der "Tagebücher" eine Auslese
solcher kritischen Aufwallungen. Wenn Hebbel beim Vergleich Uhlands mit
Rückert gelegentlich von Rückerts Jämmerlichkeit spricht, oder Wielands Oberon
"eine wie aus der Luft gegriffene Märchenanekdote, die so wenig in die Mysterien


Friedrich Hebbels Tagebücher von ^3^2 bis ^362.

schließen, und es entspringt nur zum Teil aus meiner dichterischen Natur, die
allerdings an sich, da sie vermöge der bloßen Vorstellung das Geheimste mensch¬
licher Situationen und Charaktere in sich hervorrufen soll, eine größere Rezep-
tivität als die gewöhnliche voraussetzt; zum größern ist es die Folge meiner
trüben Kindheit und meiner gedrückten Jünglingsjcchrc, es geht mir wie einem,
der ein Dezennium zwischen Fußangeln und Sclbststößen umhergeirrt ist und
nur die wenigsten davon vermieden hat, er wird selbst auf Pflastersteinen anders
auftreten wie andre. Was hilft es mir, daß ich dagegen angehe! Das kann
die Menschen, mit denen ich zu thun habe, freilich gegen mich, gegen mein Auf¬
fahren schützen, aber in mir bleibt's das nämliche!" Die Zeit und die glück¬
licheren Verhältnisse der zweiten Lebcnshälfte milderten hieran Wohl etwas,
aber am 31. Dezember 1858 verzeichnet der Dichter, eine Krankheitsperiode
zusammenfassend: „Der Gemütszustand war sehr finster, die Arbeitsunfähigkeit
groß, und mit tiefster Neue gedenke ich so mancher heftigen Aufwallung gegen
die Meinigen, die selbst durch Krankheit nicht zu entschuldigen ist und die meine
teure Frau mit Engelsgeduld ertrug. Freilich war ich fest überzeugt, daß ich
nie wieder gesund werden würde, und wer mir die Beine nimmt, der nimmt
mir auch den Kopf." Und in einem (den Tagebüchern uicht entnommenen,
seither ungedruckten) Briefe vom 15. Oktober 1862 heißt es: „Ich erinnere
mich der diesmal wieder mit Ihnen zugebrachten Tage mit Freuden. Sie haben
weniger Ursache dazu, denn ich, war der finstre Saul und Sie neben mir der
milde David. Aber ich stehe nun einmal nnter einem so bösen Sterne, daß
ich mitunter auffahre, wo ich bloß lachen sollte, und auch Sie haben sich zu
meinem Bedauern davon persönlich überzeugen müssen. Nicht, als ob ich mir
in der Sache Unrecht gäbe; das wird mir selten begegnen, denn ich bin eine
Aristidesnatur und kreuzige mein Fleisch oft über die Gebühr. Aber in der
Form; wenn sich ein Architekt mit mir zu Tische setzt und als Maurergeselle
wieder aufsteht, so ist das ein Spaß und weiter nichts."

Eine nicht minder hinderliche, ja verhängnisvolle Mitgabe als die unzähm¬
bare, leidenschaftliche Heftigkeit in gewissen Augenblicken, war die Unmöglichkeit,
von seinem Wege abliegende Leistungen zu würdigen und an sie die Maßstäbe
anzulegen, welche sich aus ihrer Natur und Art ergeben. Es trieb Hebbel in
solchen Fällen förmlich dämonisch, den härtesten Ausdruck für seine Überzeugung«»
zu brauchen. Wer ohne Berücksichtigung der ganzen Anlage und der durchaus
subjektiven, von seinem innersten Künstlerbedürfnis bestimmten (an lichtvollen
Offenbarungen, wie um feinsten Beobachtungen überreichen) Ästhetik des Dichters
sich nur an den Widerspruch vieler seiner Urteile mit dem allgemein giltigen
halten will, der findet auch in dem zweiten Bande der „Tagebücher" eine Auslese
solcher kritischen Aufwallungen. Wenn Hebbel beim Vergleich Uhlands mit
Rückert gelegentlich von Rückerts Jämmerlichkeit spricht, oder Wielands Oberon
„eine wie aus der Luft gegriffene Märchenanekdote, die so wenig in die Mysterien


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[0034] Friedrich Hebbels Tagebücher von ^3^2 bis ^362. schließen, und es entspringt nur zum Teil aus meiner dichterischen Natur, die allerdings an sich, da sie vermöge der bloßen Vorstellung das Geheimste mensch¬ licher Situationen und Charaktere in sich hervorrufen soll, eine größere Rezep- tivität als die gewöhnliche voraussetzt; zum größern ist es die Folge meiner trüben Kindheit und meiner gedrückten Jünglingsjcchrc, es geht mir wie einem, der ein Dezennium zwischen Fußangeln und Sclbststößen umhergeirrt ist und nur die wenigsten davon vermieden hat, er wird selbst auf Pflastersteinen anders auftreten wie andre. Was hilft es mir, daß ich dagegen angehe! Das kann die Menschen, mit denen ich zu thun habe, freilich gegen mich, gegen mein Auf¬ fahren schützen, aber in mir bleibt's das nämliche!" Die Zeit und die glück¬ licheren Verhältnisse der zweiten Lebcnshälfte milderten hieran Wohl etwas, aber am 31. Dezember 1858 verzeichnet der Dichter, eine Krankheitsperiode zusammenfassend: „Der Gemütszustand war sehr finster, die Arbeitsunfähigkeit groß, und mit tiefster Neue gedenke ich so mancher heftigen Aufwallung gegen die Meinigen, die selbst durch Krankheit nicht zu entschuldigen ist und die meine teure Frau mit Engelsgeduld ertrug. Freilich war ich fest überzeugt, daß ich nie wieder gesund werden würde, und wer mir die Beine nimmt, der nimmt mir auch den Kopf." Und in einem (den Tagebüchern uicht entnommenen, seither ungedruckten) Briefe vom 15. Oktober 1862 heißt es: „Ich erinnere mich der diesmal wieder mit Ihnen zugebrachten Tage mit Freuden. Sie haben weniger Ursache dazu, denn ich, war der finstre Saul und Sie neben mir der milde David. Aber ich stehe nun einmal nnter einem so bösen Sterne, daß ich mitunter auffahre, wo ich bloß lachen sollte, und auch Sie haben sich zu meinem Bedauern davon persönlich überzeugen müssen. Nicht, als ob ich mir in der Sache Unrecht gäbe; das wird mir selten begegnen, denn ich bin eine Aristidesnatur und kreuzige mein Fleisch oft über die Gebühr. Aber in der Form; wenn sich ein Architekt mit mir zu Tische setzt und als Maurergeselle wieder aufsteht, so ist das ein Spaß und weiter nichts." Eine nicht minder hinderliche, ja verhängnisvolle Mitgabe als die unzähm¬ bare, leidenschaftliche Heftigkeit in gewissen Augenblicken, war die Unmöglichkeit, von seinem Wege abliegende Leistungen zu würdigen und an sie die Maßstäbe anzulegen, welche sich aus ihrer Natur und Art ergeben. Es trieb Hebbel in solchen Fällen förmlich dämonisch, den härtesten Ausdruck für seine Überzeugung«» zu brauchen. Wer ohne Berücksichtigung der ganzen Anlage und der durchaus subjektiven, von seinem innersten Künstlerbedürfnis bestimmten (an lichtvollen Offenbarungen, wie um feinsten Beobachtungen überreichen) Ästhetik des Dichters sich nur an den Widerspruch vieler seiner Urteile mit dem allgemein giltigen halten will, der findet auch in dem zweiten Bande der „Tagebücher" eine Auslese solcher kritischen Aufwallungen. Wenn Hebbel beim Vergleich Uhlands mit Rückert gelegentlich von Rückerts Jämmerlichkeit spricht, oder Wielands Oberon „eine wie aus der Luft gegriffene Märchenanekdote, die so wenig in die Mysterien

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200104/34>, abgerufen am 23.12.2024.