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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr.

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Gespenster.

um Vererbungstheorien kümmert und dem es am wenigsten vor Gespenstern
gruselt. Die Mädchen werden durchschnittlich nach wie vor nicht den Primaner
oder Leutnant ihrer ersten Liebe, sondern höchst wahrscheinlich weiterhin den¬
jenigen unromantischen Ehrenmann heiraten, auf den sich die Neigung der
Eltern und das schließliche Ja ihres Gewissens vereinigen. Sollte der be¬
treffende Ehrenmann sich als kompleter Schuft erweisen, so werden sie nach
wie vor wissen, was sie zu thun haben. Was aber die gespenstischen Krank¬
heiten betrifft, die im Hirn dieser hypochondrischen Federfuchser herumspuken,
so kann ich dir als Soldat versichern, daß es damit nicht so schlimm ist, und
daß wir eher noch an zu viel als an zu wenig gesunden Mannschaften leiden.
Und wenn es solche Unglückskinder heutzutage wirklich mehr geben sollte als
früher, so giebt es auch mehr gesunde Hungerleider als je, die sie ersetzen
können. Solltest du aber zweifeln und trübe in die Zukunft blicken, so kann
ich dir die Beruhigung gebe", daß wir heutzutage eine Gesundheitsschule für
das ganze Volk haben, wie keine Zeit vor uns, und daß "Gewehrgumpen" und
"langsamer Schritt" ganz unfehlbare Bannmittcl gegen solche "Gespenster" sind.
Über die aus dem Schoße der Sozialdemokratie aufsteigenden Litaneien von den
"Lügen der Gesellschaft" und alles, was drum und dran hängt, ist im Prinzip
vollends kein Wort zu verlieren. Das ist nnn einmal jetzt Mode, alle Augen¬
blicke Hort man wieder einmal von einem Buche mit einem derartigen an¬
sprechenden Titel. Die Presse schlägt ihr Kapital daraus, so lange es ihr in
den Kram paßt. Wenn aber Leute, die auf den Titel "bedeutender Dichter"
Anspruch machen, sich mit so trivialen Geflunker befassen, so erweckt das schon
von vornherein Mißtrauen. Ja, wenn einer auf den Gedanken käme, eben diese
"Lügner der Gesellschaft" einmal an den Pranger zu stellen, welche mit solchen
nichtssagenden Phrasen handeln, das wäre schon eher eines "Dichters" würdig.
Überhaupt meine ich doch gehört zu haben, daß ein "bedeutender" Dichter, und
wenn er selbst wie der junge Schiller in Mord nud Brand, Revolution und
Klassenhaß schwelgt, was freilich alles noch poetischer ist als pathologische
Anatomie, daß ein solcher Dichter durch die tiefere Fassung und vor allem durch
die positive Bewältigung solcher Zeitprobleme sich von dem Heer der Schmierer
und Phrasenhelden auszeichnet. Ist dies bei diesem nvrdischfranzösischen Dichter
der Fall?

Dritter. Trotz mancher Anlünfe in den ältern Stücken meiner festen
Überzeugung nach: nein.

Oswald. Dann werde ich den bedeutenden Dichter nicht lesen. Ah, da
ist ja Helene wieder, und mit den Schlittschuhen! Wollen wir also jetzt auf
die Eisbahn gehen?

Ja, jetzt wollen wir auf die Eisbahn gehen.


Helene.
Uarl Borinski.


Gespenster.

um Vererbungstheorien kümmert und dem es am wenigsten vor Gespenstern
gruselt. Die Mädchen werden durchschnittlich nach wie vor nicht den Primaner
oder Leutnant ihrer ersten Liebe, sondern höchst wahrscheinlich weiterhin den¬
jenigen unromantischen Ehrenmann heiraten, auf den sich die Neigung der
Eltern und das schließliche Ja ihres Gewissens vereinigen. Sollte der be¬
treffende Ehrenmann sich als kompleter Schuft erweisen, so werden sie nach
wie vor wissen, was sie zu thun haben. Was aber die gespenstischen Krank¬
heiten betrifft, die im Hirn dieser hypochondrischen Federfuchser herumspuken,
so kann ich dir als Soldat versichern, daß es damit nicht so schlimm ist, und
daß wir eher noch an zu viel als an zu wenig gesunden Mannschaften leiden.
Und wenn es solche Unglückskinder heutzutage wirklich mehr geben sollte als
früher, so giebt es auch mehr gesunde Hungerleider als je, die sie ersetzen
können. Solltest du aber zweifeln und trübe in die Zukunft blicken, so kann
ich dir die Beruhigung gebe», daß wir heutzutage eine Gesundheitsschule für
das ganze Volk haben, wie keine Zeit vor uns, und daß „Gewehrgumpen" und
„langsamer Schritt" ganz unfehlbare Bannmittcl gegen solche „Gespenster" sind.
Über die aus dem Schoße der Sozialdemokratie aufsteigenden Litaneien von den
„Lügen der Gesellschaft" und alles, was drum und dran hängt, ist im Prinzip
vollends kein Wort zu verlieren. Das ist nnn einmal jetzt Mode, alle Augen¬
blicke Hort man wieder einmal von einem Buche mit einem derartigen an¬
sprechenden Titel. Die Presse schlägt ihr Kapital daraus, so lange es ihr in
den Kram paßt. Wenn aber Leute, die auf den Titel „bedeutender Dichter"
Anspruch machen, sich mit so trivialen Geflunker befassen, so erweckt das schon
von vornherein Mißtrauen. Ja, wenn einer auf den Gedanken käme, eben diese
„Lügner der Gesellschaft" einmal an den Pranger zu stellen, welche mit solchen
nichtssagenden Phrasen handeln, das wäre schon eher eines „Dichters" würdig.
Überhaupt meine ich doch gehört zu haben, daß ein „bedeutender" Dichter, und
wenn er selbst wie der junge Schiller in Mord nud Brand, Revolution und
Klassenhaß schwelgt, was freilich alles noch poetischer ist als pathologische
Anatomie, daß ein solcher Dichter durch die tiefere Fassung und vor allem durch
die positive Bewältigung solcher Zeitprobleme sich von dem Heer der Schmierer
und Phrasenhelden auszeichnet. Ist dies bei diesem nvrdischfranzösischen Dichter
der Fall?

Dritter. Trotz mancher Anlünfe in den ältern Stücken meiner festen
Überzeugung nach: nein.

Oswald. Dann werde ich den bedeutenden Dichter nicht lesen. Ah, da
ist ja Helene wieder, und mit den Schlittschuhen! Wollen wir also jetzt auf
die Eisbahn gehen?

Ja, jetzt wollen wir auf die Eisbahn gehen.


Helene.
Uarl Borinski.


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[0338] Gespenster. um Vererbungstheorien kümmert und dem es am wenigsten vor Gespenstern gruselt. Die Mädchen werden durchschnittlich nach wie vor nicht den Primaner oder Leutnant ihrer ersten Liebe, sondern höchst wahrscheinlich weiterhin den¬ jenigen unromantischen Ehrenmann heiraten, auf den sich die Neigung der Eltern und das schließliche Ja ihres Gewissens vereinigen. Sollte der be¬ treffende Ehrenmann sich als kompleter Schuft erweisen, so werden sie nach wie vor wissen, was sie zu thun haben. Was aber die gespenstischen Krank¬ heiten betrifft, die im Hirn dieser hypochondrischen Federfuchser herumspuken, so kann ich dir als Soldat versichern, daß es damit nicht so schlimm ist, und daß wir eher noch an zu viel als an zu wenig gesunden Mannschaften leiden. Und wenn es solche Unglückskinder heutzutage wirklich mehr geben sollte als früher, so giebt es auch mehr gesunde Hungerleider als je, die sie ersetzen können. Solltest du aber zweifeln und trübe in die Zukunft blicken, so kann ich dir die Beruhigung gebe», daß wir heutzutage eine Gesundheitsschule für das ganze Volk haben, wie keine Zeit vor uns, und daß „Gewehrgumpen" und „langsamer Schritt" ganz unfehlbare Bannmittcl gegen solche „Gespenster" sind. Über die aus dem Schoße der Sozialdemokratie aufsteigenden Litaneien von den „Lügen der Gesellschaft" und alles, was drum und dran hängt, ist im Prinzip vollends kein Wort zu verlieren. Das ist nnn einmal jetzt Mode, alle Augen¬ blicke Hort man wieder einmal von einem Buche mit einem derartigen an¬ sprechenden Titel. Die Presse schlägt ihr Kapital daraus, so lange es ihr in den Kram paßt. Wenn aber Leute, die auf den Titel „bedeutender Dichter" Anspruch machen, sich mit so trivialen Geflunker befassen, so erweckt das schon von vornherein Mißtrauen. Ja, wenn einer auf den Gedanken käme, eben diese „Lügner der Gesellschaft" einmal an den Pranger zu stellen, welche mit solchen nichtssagenden Phrasen handeln, das wäre schon eher eines „Dichters" würdig. Überhaupt meine ich doch gehört zu haben, daß ein „bedeutender" Dichter, und wenn er selbst wie der junge Schiller in Mord nud Brand, Revolution und Klassenhaß schwelgt, was freilich alles noch poetischer ist als pathologische Anatomie, daß ein solcher Dichter durch die tiefere Fassung und vor allem durch die positive Bewältigung solcher Zeitprobleme sich von dem Heer der Schmierer und Phrasenhelden auszeichnet. Ist dies bei diesem nvrdischfranzösischen Dichter der Fall? Dritter. Trotz mancher Anlünfe in den ältern Stücken meiner festen Überzeugung nach: nein. Oswald. Dann werde ich den bedeutenden Dichter nicht lesen. Ah, da ist ja Helene wieder, und mit den Schlittschuhen! Wollen wir also jetzt auf die Eisbahn gehen? Ja, jetzt wollen wir auf die Eisbahn gehen. Helene. Uarl Borinski.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200104/338>, abgerufen am 23.12.2024.