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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr.

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Friedrich Hebbels Tagebücher von ^3^2 bis ^863.

sind nur Bruchstücke mitgeteilt, welche die oben erwähnte Gewohnheit bestätigen.
Die betreffenden Briefsteller enthalten jederzeit eine tiefe Anschauung über künst¬
lerische und allgemein menschliche Fragen und offenbaren das rastlose und un¬
ablässig in die Tiefe strebende Geistesleben Hebbels. Die Eigentümlichkeit
Hebbels war es, daß er nur da, wo er seine Kräfte ganz ins Spiel zu setzen,
die letzten Konsequenzen zu ziehen, auf den Grund der Dinge zu dringen ver¬
mochte, sich zur Thätigkeit angeregt fühlte, daß er den schweren, grübelnden Ernst
seiner Natur mit in die freundschaftliche Korrespondenz und das Gespräch hinüber-
nehmen mußte. "Sie denken vielleicht -- schrieb er dein Verfasser dieser Zeilen
einmal, als eine längere Pause in ihrem Briefwechsel eingetreten war -- indem
Sie dieses lesen, daß ich inzwischen große Heldenthaten vollbracht und zum
allerwenigsten unsern Wiener Kahlenberg von der Stelle gewälzt habe. Kein
Gedanke. Ich habe einmal wieder eine Zeit, wo ich nur studiren kauu, was
ich in meinen Jahren nicht mehr zu den Arbeiten rechnen darf, und wo ich es
beklage, nicht auch in Staat oder Kirche, wie mancher andre, untergebracht
zu sein. Denn Vorlesungen oder Predigten halten und Referate ausarbeiten
oder Toten- und Taufregister führen könnte ich natürlich mich." Hebbel täuschte
sich auch darüber nicht, daß diese besondre Artung seines Geistes, dies Be¬
dürfnis, das "selbst die Blutkügelchen noch wieder zersetzte," der Wirkung seines
außerordentlichen Talents Abbruch that. Am 23. Januar 1847 schrieb er in
sein Tagebuch: "Heute habe ich mich den ganzen Tag in der angeregtesten
Stimmung befunden und doch, wie so oft, nichts gethan, sondern mich ganz
einfach des erhöhten Daseins erfreut! Sicher ist das naturgemäß, aber eben
so sicher ist das auch ein Grund, weshalb ich so weit hinter vielen andern
zurückbleibe, was die Wirkung auf die große Masse anlangt, denn diese will
nicht Tiefe, sondern Breite, und wenn man zu lange mit seinen Gedanken spielt,
streifen sie alle die bunten Hülsen ab, durch die sie sich bei ihr einschmeicheln
könnten, und werden zu ernst und streng."

Aber gleichviel unter welchen schweren und strengen Bedingungen Hebbel
im Besitze seiner schöpferischen Begabung war -- er blieb sich dieses Besitzes
bewußt und gewann aus ihm die starke und zähe Widerstandsfähigkeit gegen
die Ungunst der Zeit und das häßliche Treiben der Eintagstalente, welche (zum
Teil mit vollkommner Überzeugung und aus der Wahrheit ihrer flachen und
dürftigen Natur heraus) gegen jede Lebensäußerung und jede Wirkung seiner
Kraft ankämpften. Der zweite (im Verhältnis zum ersten sehr starke) Band
der "Tagebücher" umfaßt die Reisejahre des Dichters in Frankreich und Italien
(1843 bis 1345) und die Zeit seiner Niederlassung in Wien, vom Jahre 1846
bis zu seinem im Dezember 1863 erfolgten Tode. Es ist die Zeit, in welcher
Hebbel sich mit einem verzweifelten Entschlüsse von Elisa Lensing, seiner Jugend¬
freundin, losriß, einem Entschluß, welcher bereits in den Tagen seines Aufent¬
haltes in Rom seine Schatten vorauswirft. Wenn es heißt: "Schüttle alles


Friedrich Hebbels Tagebücher von ^3^2 bis ^863.

sind nur Bruchstücke mitgeteilt, welche die oben erwähnte Gewohnheit bestätigen.
Die betreffenden Briefsteller enthalten jederzeit eine tiefe Anschauung über künst¬
lerische und allgemein menschliche Fragen und offenbaren das rastlose und un¬
ablässig in die Tiefe strebende Geistesleben Hebbels. Die Eigentümlichkeit
Hebbels war es, daß er nur da, wo er seine Kräfte ganz ins Spiel zu setzen,
die letzten Konsequenzen zu ziehen, auf den Grund der Dinge zu dringen ver¬
mochte, sich zur Thätigkeit angeregt fühlte, daß er den schweren, grübelnden Ernst
seiner Natur mit in die freundschaftliche Korrespondenz und das Gespräch hinüber-
nehmen mußte. „Sie denken vielleicht — schrieb er dein Verfasser dieser Zeilen
einmal, als eine längere Pause in ihrem Briefwechsel eingetreten war — indem
Sie dieses lesen, daß ich inzwischen große Heldenthaten vollbracht und zum
allerwenigsten unsern Wiener Kahlenberg von der Stelle gewälzt habe. Kein
Gedanke. Ich habe einmal wieder eine Zeit, wo ich nur studiren kauu, was
ich in meinen Jahren nicht mehr zu den Arbeiten rechnen darf, und wo ich es
beklage, nicht auch in Staat oder Kirche, wie mancher andre, untergebracht
zu sein. Denn Vorlesungen oder Predigten halten und Referate ausarbeiten
oder Toten- und Taufregister führen könnte ich natürlich mich." Hebbel täuschte
sich auch darüber nicht, daß diese besondre Artung seines Geistes, dies Be¬
dürfnis, das „selbst die Blutkügelchen noch wieder zersetzte," der Wirkung seines
außerordentlichen Talents Abbruch that. Am 23. Januar 1847 schrieb er in
sein Tagebuch: „Heute habe ich mich den ganzen Tag in der angeregtesten
Stimmung befunden und doch, wie so oft, nichts gethan, sondern mich ganz
einfach des erhöhten Daseins erfreut! Sicher ist das naturgemäß, aber eben
so sicher ist das auch ein Grund, weshalb ich so weit hinter vielen andern
zurückbleibe, was die Wirkung auf die große Masse anlangt, denn diese will
nicht Tiefe, sondern Breite, und wenn man zu lange mit seinen Gedanken spielt,
streifen sie alle die bunten Hülsen ab, durch die sie sich bei ihr einschmeicheln
könnten, und werden zu ernst und streng."

Aber gleichviel unter welchen schweren und strengen Bedingungen Hebbel
im Besitze seiner schöpferischen Begabung war — er blieb sich dieses Besitzes
bewußt und gewann aus ihm die starke und zähe Widerstandsfähigkeit gegen
die Ungunst der Zeit und das häßliche Treiben der Eintagstalente, welche (zum
Teil mit vollkommner Überzeugung und aus der Wahrheit ihrer flachen und
dürftigen Natur heraus) gegen jede Lebensäußerung und jede Wirkung seiner
Kraft ankämpften. Der zweite (im Verhältnis zum ersten sehr starke) Band
der „Tagebücher" umfaßt die Reisejahre des Dichters in Frankreich und Italien
(1843 bis 1345) und die Zeit seiner Niederlassung in Wien, vom Jahre 1846
bis zu seinem im Dezember 1863 erfolgten Tode. Es ist die Zeit, in welcher
Hebbel sich mit einem verzweifelten Entschlüsse von Elisa Lensing, seiner Jugend¬
freundin, losriß, einem Entschluß, welcher bereits in den Tagen seines Aufent¬
haltes in Rom seine Schatten vorauswirft. Wenn es heißt: „Schüttle alles


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[0032] Friedrich Hebbels Tagebücher von ^3^2 bis ^863. sind nur Bruchstücke mitgeteilt, welche die oben erwähnte Gewohnheit bestätigen. Die betreffenden Briefsteller enthalten jederzeit eine tiefe Anschauung über künst¬ lerische und allgemein menschliche Fragen und offenbaren das rastlose und un¬ ablässig in die Tiefe strebende Geistesleben Hebbels. Die Eigentümlichkeit Hebbels war es, daß er nur da, wo er seine Kräfte ganz ins Spiel zu setzen, die letzten Konsequenzen zu ziehen, auf den Grund der Dinge zu dringen ver¬ mochte, sich zur Thätigkeit angeregt fühlte, daß er den schweren, grübelnden Ernst seiner Natur mit in die freundschaftliche Korrespondenz und das Gespräch hinüber- nehmen mußte. „Sie denken vielleicht — schrieb er dein Verfasser dieser Zeilen einmal, als eine längere Pause in ihrem Briefwechsel eingetreten war — indem Sie dieses lesen, daß ich inzwischen große Heldenthaten vollbracht und zum allerwenigsten unsern Wiener Kahlenberg von der Stelle gewälzt habe. Kein Gedanke. Ich habe einmal wieder eine Zeit, wo ich nur studiren kauu, was ich in meinen Jahren nicht mehr zu den Arbeiten rechnen darf, und wo ich es beklage, nicht auch in Staat oder Kirche, wie mancher andre, untergebracht zu sein. Denn Vorlesungen oder Predigten halten und Referate ausarbeiten oder Toten- und Taufregister führen könnte ich natürlich mich." Hebbel täuschte sich auch darüber nicht, daß diese besondre Artung seines Geistes, dies Be¬ dürfnis, das „selbst die Blutkügelchen noch wieder zersetzte," der Wirkung seines außerordentlichen Talents Abbruch that. Am 23. Januar 1847 schrieb er in sein Tagebuch: „Heute habe ich mich den ganzen Tag in der angeregtesten Stimmung befunden und doch, wie so oft, nichts gethan, sondern mich ganz einfach des erhöhten Daseins erfreut! Sicher ist das naturgemäß, aber eben so sicher ist das auch ein Grund, weshalb ich so weit hinter vielen andern zurückbleibe, was die Wirkung auf die große Masse anlangt, denn diese will nicht Tiefe, sondern Breite, und wenn man zu lange mit seinen Gedanken spielt, streifen sie alle die bunten Hülsen ab, durch die sie sich bei ihr einschmeicheln könnten, und werden zu ernst und streng." Aber gleichviel unter welchen schweren und strengen Bedingungen Hebbel im Besitze seiner schöpferischen Begabung war — er blieb sich dieses Besitzes bewußt und gewann aus ihm die starke und zähe Widerstandsfähigkeit gegen die Ungunst der Zeit und das häßliche Treiben der Eintagstalente, welche (zum Teil mit vollkommner Überzeugung und aus der Wahrheit ihrer flachen und dürftigen Natur heraus) gegen jede Lebensäußerung und jede Wirkung seiner Kraft ankämpften. Der zweite (im Verhältnis zum ersten sehr starke) Band der „Tagebücher" umfaßt die Reisejahre des Dichters in Frankreich und Italien (1843 bis 1345) und die Zeit seiner Niederlassung in Wien, vom Jahre 1846 bis zu seinem im Dezember 1863 erfolgten Tode. Es ist die Zeit, in welcher Hebbel sich mit einem verzweifelten Entschlüsse von Elisa Lensing, seiner Jugend¬ freundin, losriß, einem Entschluß, welcher bereits in den Tagen seines Aufent¬ haltes in Rom seine Schatten vorauswirft. Wenn es heißt: „Schüttle alles

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200104/32>, abgerufen am 23.12.2024.