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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr.

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Spanische und englische Kolonialpolitik.

reiches eine strenge kirchliche und moralische Zensur geübt wurde. So groß
mich der amerikanische Besitz der spanischen Edelleute war, so mußten sie sich
doch stets als Lehnsleute des Königs von Spanien und der Vizekönige sowie
der Kirche betrachten. Der Einfluß der Kirche war allmächtig, und sie hielt
streng darauf, daß das arme einheimische Volk nicht ausgebeutet und nicht von
Lastern angesteckt würde. Ein Beispiel, welches an jene Zustände erinnern mag,
fand sich noch in den vierziger Jahren unsers Jahrhunderts in Kalifornien. Die
dortige Jndianerlvlonie ist bei der Eroberung Kaliforniens durch die Nord-
amerikaner elend zu Grunde gegangen.

Die Dinge nahmen jedoch ein andres Gesicht an, als der Zerfall der
spanischen Kolonialmacht begann. An die Stelle der strengen Zucht trat die
Zügellosigkeit, an die Stelle weiser Verwendung von Macht und Reichtum trat
die Verschwendung und der ausschweifende Gebrauch der Macht. So ist es
gekommen, daß von den ehemaligen Grundsäulen des spanischen Einflusses in
Amerika fast nichts mehr übrig geblieben ist als Ruinen. Die prächtigen Ge¬
bäude der Edelleute, die großartigen Dome und Kirchen, die gewaltigen, trotz
der Zerstörung noch heute imponirenden klösterlichen Gebäude, zahllose Wvhl-
thätigkeitseinrichtnngcn, im Plane großartige, wenn auch zum Teil der Zer¬
störung anheimgefallene Landstraßen, staunenswerte Wasserbauten: sie alle er¬
innern an die stolze, ruhmvolle Zeit, in welcher Spanien das Meer und die
Erde beherrschte; aber sie alle tragen den Stempel des Verfalls oder der Ver¬
nachlässigung an sich, und es ist unmöglich, bei ihrem Anblick den Gedanken
zu verscheuchen, daß das spanische Kolonialshstcm doch viel Schuld an dem heutigen
Verfall des spanischen Amerikas hat. Freilich ist die Frage cinfzuwcrfcn, ob Spanien
überhaupt imstande gewesen wäre, eine andre Kolonialpolitik zu verfolgen. Wir
glauben kaum, wenn wir an die großen Kriege der mächtigsten, begabtesten
Herrscher Spaniens denken: Karl V., in dessen Reich die Sonne nicht unterging,
Philipp II. und ihre Nachfolger. Sie hatten in Europa alle Hände voll zu
thun, und sie verschwendeten die Schätze und das Blut ihrer Länder, um Phan¬
tomen in Europa nachzujagen. Spanien hätte weder die Menschen noch ein
hinreichendes Maß von andern Mitteln besessen, um Amerika thatsächlich in
Besitz zu nehmen. An eine Masseuauswanderung von Spaniern nach Amerika
konnte niemals gedacht werden. So bildeten das Heer und die Marine, die
königliche Verwaltung und die Kirche die einzigen Bande, welche Amerika an
Spanien knüpften. Diese Bande waren ohne Zweifel stark zu jener Zeit, aber
es war vorauszusehen, daß sie früher oder später zerreißen würden.

Die englische Kvlvnicilpolitik trägt von ihrem Anbeginn ganz andre Züge
als die spanische. Sie ist gewissermaßen der Gegensatz derselben, und sie ist
auch in manchen Teilen thatsächlich aus dem Gegensatze zu der spanischen
Kolonialpolitik erwachsen. Als England anfing, die Grundlagen zu seiner See¬
herrschaft zu legen, geriet es in Kampf mit der gewaltigen Seemacht Spaniens,


Spanische und englische Kolonialpolitik.

reiches eine strenge kirchliche und moralische Zensur geübt wurde. So groß
mich der amerikanische Besitz der spanischen Edelleute war, so mußten sie sich
doch stets als Lehnsleute des Königs von Spanien und der Vizekönige sowie
der Kirche betrachten. Der Einfluß der Kirche war allmächtig, und sie hielt
streng darauf, daß das arme einheimische Volk nicht ausgebeutet und nicht von
Lastern angesteckt würde. Ein Beispiel, welches an jene Zustände erinnern mag,
fand sich noch in den vierziger Jahren unsers Jahrhunderts in Kalifornien. Die
dortige Jndianerlvlonie ist bei der Eroberung Kaliforniens durch die Nord-
amerikaner elend zu Grunde gegangen.

Die Dinge nahmen jedoch ein andres Gesicht an, als der Zerfall der
spanischen Kolonialmacht begann. An die Stelle der strengen Zucht trat die
Zügellosigkeit, an die Stelle weiser Verwendung von Macht und Reichtum trat
die Verschwendung und der ausschweifende Gebrauch der Macht. So ist es
gekommen, daß von den ehemaligen Grundsäulen des spanischen Einflusses in
Amerika fast nichts mehr übrig geblieben ist als Ruinen. Die prächtigen Ge¬
bäude der Edelleute, die großartigen Dome und Kirchen, die gewaltigen, trotz
der Zerstörung noch heute imponirenden klösterlichen Gebäude, zahllose Wvhl-
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störung anheimgefallene Landstraßen, staunenswerte Wasserbauten: sie alle er¬
innern an die stolze, ruhmvolle Zeit, in welcher Spanien das Meer und die
Erde beherrschte; aber sie alle tragen den Stempel des Verfalls oder der Ver¬
nachlässigung an sich, und es ist unmöglich, bei ihrem Anblick den Gedanken
zu verscheuchen, daß das spanische Kolonialshstcm doch viel Schuld an dem heutigen
Verfall des spanischen Amerikas hat. Freilich ist die Frage cinfzuwcrfcn, ob Spanien
überhaupt imstande gewesen wäre, eine andre Kolonialpolitik zu verfolgen. Wir
glauben kaum, wenn wir an die großen Kriege der mächtigsten, begabtesten
Herrscher Spaniens denken: Karl V., in dessen Reich die Sonne nicht unterging,
Philipp II. und ihre Nachfolger. Sie hatten in Europa alle Hände voll zu
thun, und sie verschwendeten die Schätze und das Blut ihrer Länder, um Phan¬
tomen in Europa nachzujagen. Spanien hätte weder die Menschen noch ein
hinreichendes Maß von andern Mitteln besessen, um Amerika thatsächlich in
Besitz zu nehmen. An eine Masseuauswanderung von Spaniern nach Amerika
konnte niemals gedacht werden. So bildeten das Heer und die Marine, die
königliche Verwaltung und die Kirche die einzigen Bande, welche Amerika an
Spanien knüpften. Diese Bande waren ohne Zweifel stark zu jener Zeit, aber
es war vorauszusehen, daß sie früher oder später zerreißen würden.

Die englische Kvlvnicilpolitik trägt von ihrem Anbeginn ganz andre Züge
als die spanische. Sie ist gewissermaßen der Gegensatz derselben, und sie ist
auch in manchen Teilen thatsächlich aus dem Gegensatze zu der spanischen
Kolonialpolitik erwachsen. Als England anfing, die Grundlagen zu seiner See¬
herrschaft zu legen, geriet es in Kampf mit der gewaltigen Seemacht Spaniens,


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[0310] Spanische und englische Kolonialpolitik. reiches eine strenge kirchliche und moralische Zensur geübt wurde. So groß mich der amerikanische Besitz der spanischen Edelleute war, so mußten sie sich doch stets als Lehnsleute des Königs von Spanien und der Vizekönige sowie der Kirche betrachten. Der Einfluß der Kirche war allmächtig, und sie hielt streng darauf, daß das arme einheimische Volk nicht ausgebeutet und nicht von Lastern angesteckt würde. Ein Beispiel, welches an jene Zustände erinnern mag, fand sich noch in den vierziger Jahren unsers Jahrhunderts in Kalifornien. Die dortige Jndianerlvlonie ist bei der Eroberung Kaliforniens durch die Nord- amerikaner elend zu Grunde gegangen. Die Dinge nahmen jedoch ein andres Gesicht an, als der Zerfall der spanischen Kolonialmacht begann. An die Stelle der strengen Zucht trat die Zügellosigkeit, an die Stelle weiser Verwendung von Macht und Reichtum trat die Verschwendung und der ausschweifende Gebrauch der Macht. So ist es gekommen, daß von den ehemaligen Grundsäulen des spanischen Einflusses in Amerika fast nichts mehr übrig geblieben ist als Ruinen. Die prächtigen Ge¬ bäude der Edelleute, die großartigen Dome und Kirchen, die gewaltigen, trotz der Zerstörung noch heute imponirenden klösterlichen Gebäude, zahllose Wvhl- thätigkeitseinrichtnngcn, im Plane großartige, wenn auch zum Teil der Zer¬ störung anheimgefallene Landstraßen, staunenswerte Wasserbauten: sie alle er¬ innern an die stolze, ruhmvolle Zeit, in welcher Spanien das Meer und die Erde beherrschte; aber sie alle tragen den Stempel des Verfalls oder der Ver¬ nachlässigung an sich, und es ist unmöglich, bei ihrem Anblick den Gedanken zu verscheuchen, daß das spanische Kolonialshstcm doch viel Schuld an dem heutigen Verfall des spanischen Amerikas hat. Freilich ist die Frage cinfzuwcrfcn, ob Spanien überhaupt imstande gewesen wäre, eine andre Kolonialpolitik zu verfolgen. Wir glauben kaum, wenn wir an die großen Kriege der mächtigsten, begabtesten Herrscher Spaniens denken: Karl V., in dessen Reich die Sonne nicht unterging, Philipp II. und ihre Nachfolger. Sie hatten in Europa alle Hände voll zu thun, und sie verschwendeten die Schätze und das Blut ihrer Länder, um Phan¬ tomen in Europa nachzujagen. Spanien hätte weder die Menschen noch ein hinreichendes Maß von andern Mitteln besessen, um Amerika thatsächlich in Besitz zu nehmen. An eine Masseuauswanderung von Spaniern nach Amerika konnte niemals gedacht werden. So bildeten das Heer und die Marine, die königliche Verwaltung und die Kirche die einzigen Bande, welche Amerika an Spanien knüpften. Diese Bande waren ohne Zweifel stark zu jener Zeit, aber es war vorauszusehen, daß sie früher oder später zerreißen würden. Die englische Kvlvnicilpolitik trägt von ihrem Anbeginn ganz andre Züge als die spanische. Sie ist gewissermaßen der Gegensatz derselben, und sie ist auch in manchen Teilen thatsächlich aus dem Gegensatze zu der spanischen Kolonialpolitik erwachsen. Als England anfing, die Grundlagen zu seiner See¬ herrschaft zu legen, geriet es in Kampf mit der gewaltigen Seemacht Spaniens,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200104/310>, abgerufen am 23.12.2024.