Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Spanische und englische Uolonialpolitik,

der Venezuclcmer Baralt (Nistoirc! anticiuo 6v VsnWnvlÄ, Paris, 1841) entwirft:
"Sobald eine Mission einen Stamm unterworfen hatte oder von den Eroberern
unterworfen antraf, bemächtigte sie sich der Regierung desselben mit absoluter
Gewalt und unabhängig von allen Zivilbehörden der Provinz und nahm die
Huldigungen an, welche dem Souverän und dem Priester gehören. Die Mission
lenkte die Seele und den Körper; sie gebot den Gedanken der Eingebornen und
ihrer Hände Arbeit. Die Mission bildete Dörfer und Niederlassungen und teilte
jeder Niederlassung einen der ihrigen zur Verwaltung bei. Zu den Niederlassungen
wurden die schönsten Flußufer, die herrlichsten Thäler und Bergschluchten bestimmt,
stets aber an einsamen und dem Ackerbau und der Viehzucht günstigen Stellen,
weit entfernt sowohl von einander als von den Niederlassungen der Spanier,
um den Verkehr mit andern Stämmen zu verhindern. Auf solche Weise gelang
es den Missionen, große Massen der Eingebornen zu regieren, wenn auch nicht
mit absoluter Gewalt, fo doch als geistliche und weltliche Berater und als
Gesetzgeber. Diese Bevölkerungen enthielten kein fremdes Element, denn das
Gesetz untersagte jedem Fremden den Zutritt zu den Niederlassungen, damit die
Missionen nicht gegen die Hindernisse der Sitten und die Laster andrer Stämme
zu kämpfen brauchten."

Man ersieht daraus, daß die Organisation der spanischen Kolonien sich ans
der Grundlage der Missionsthätigkeit entwickelte, und zwar im Geiste der zu
Granadn 1326 erlassenen Ordonnanz Kaiser Karls V. Diese Ordonnanz war das
Ergebnis der auf den oben erwähnte Konferenzen zu MvlinS de Ney im Jahre 1520
geführten Erörterungen, wobei, im Auftrag des Kaisers, Domingo de Sole> den
Vorsitz führte. Auf jenen Konferenzen vertrat Scpulveda den Satz, daß die
Kriegführung gegen die Eingebornen nicht nur gerechtfertigt, sondern auch ein
zweckdienliches Mittel sei, um den Glauben auszubreiten. Der Bischof von
Chiapas, Las Casas, bekämpfte diesen Satz mit aller Entschiedenheit und
hatte die Genugthuung, daß Kaiser Karl V. sich seiner milden Anschauung
anschloß. Die damals von dem Kaiser und seinen Nachfolgern ans dem Throne
Spaniens erlassenen Gesetze stellten die Grundlage zu der mächtigen hierarchisch-
politischen Organisation des spanischen Kolonialreiches her, welches den ersten
Stoß erhielt, als England im Jahre 1570 den bekannten Kaperbrief an Drake
erteilte. In neuerer Zeit sind über die Kolonialgesetzgebung Kaiser Karls V. von
den Engländern Herbert Spencer (K^stsirr ol svolutivu) und dem Oxforder
Professor Padre (Hi8den/ c>t' lÄirvxöNr oolomos) sehr günstige Urteile gefällt
worden, obgleich die der spanischen Kolonialpolitik zu Grnnde liegenden An¬
schauungen in direktem Gegensatze zu der englischen Kolonialpolitik stehen.

Das spanische Kolonialsystem, dessen Schilderung in kurze": Umrissen wir
versucht haben, beruht auf Voraussetzungen, welche zu unsrer Zeit nicht mehr vor¬
handen sind. Es ist nicht zu verkennen, daß jenes System außerordentlichzur Be¬
festigung und zur Ausdehnung des spanischen Kolonialreiches beigetragen hat.


Spanische und englische Uolonialpolitik,

der Venezuclcmer Baralt (Nistoirc! anticiuo 6v VsnWnvlÄ, Paris, 1841) entwirft:
„Sobald eine Mission einen Stamm unterworfen hatte oder von den Eroberern
unterworfen antraf, bemächtigte sie sich der Regierung desselben mit absoluter
Gewalt und unabhängig von allen Zivilbehörden der Provinz und nahm die
Huldigungen an, welche dem Souverän und dem Priester gehören. Die Mission
lenkte die Seele und den Körper; sie gebot den Gedanken der Eingebornen und
ihrer Hände Arbeit. Die Mission bildete Dörfer und Niederlassungen und teilte
jeder Niederlassung einen der ihrigen zur Verwaltung bei. Zu den Niederlassungen
wurden die schönsten Flußufer, die herrlichsten Thäler und Bergschluchten bestimmt,
stets aber an einsamen und dem Ackerbau und der Viehzucht günstigen Stellen,
weit entfernt sowohl von einander als von den Niederlassungen der Spanier,
um den Verkehr mit andern Stämmen zu verhindern. Auf solche Weise gelang
es den Missionen, große Massen der Eingebornen zu regieren, wenn auch nicht
mit absoluter Gewalt, fo doch als geistliche und weltliche Berater und als
Gesetzgeber. Diese Bevölkerungen enthielten kein fremdes Element, denn das
Gesetz untersagte jedem Fremden den Zutritt zu den Niederlassungen, damit die
Missionen nicht gegen die Hindernisse der Sitten und die Laster andrer Stämme
zu kämpfen brauchten."

Man ersieht daraus, daß die Organisation der spanischen Kolonien sich ans
der Grundlage der Missionsthätigkeit entwickelte, und zwar im Geiste der zu
Granadn 1326 erlassenen Ordonnanz Kaiser Karls V. Diese Ordonnanz war das
Ergebnis der auf den oben erwähnte Konferenzen zu MvlinS de Ney im Jahre 1520
geführten Erörterungen, wobei, im Auftrag des Kaisers, Domingo de Sole> den
Vorsitz führte. Auf jenen Konferenzen vertrat Scpulveda den Satz, daß die
Kriegführung gegen die Eingebornen nicht nur gerechtfertigt, sondern auch ein
zweckdienliches Mittel sei, um den Glauben auszubreiten. Der Bischof von
Chiapas, Las Casas, bekämpfte diesen Satz mit aller Entschiedenheit und
hatte die Genugthuung, daß Kaiser Karl V. sich seiner milden Anschauung
anschloß. Die damals von dem Kaiser und seinen Nachfolgern ans dem Throne
Spaniens erlassenen Gesetze stellten die Grundlage zu der mächtigen hierarchisch-
politischen Organisation des spanischen Kolonialreiches her, welches den ersten
Stoß erhielt, als England im Jahre 1570 den bekannten Kaperbrief an Drake
erteilte. In neuerer Zeit sind über die Kolonialgesetzgebung Kaiser Karls V. von
den Engländern Herbert Spencer (K^stsirr ol svolutivu) und dem Oxforder
Professor Padre (Hi8den/ c>t' lÄirvxöNr oolomos) sehr günstige Urteile gefällt
worden, obgleich die der spanischen Kolonialpolitik zu Grnnde liegenden An¬
schauungen in direktem Gegensatze zu der englischen Kolonialpolitik stehen.

Das spanische Kolonialsystem, dessen Schilderung in kurze«: Umrissen wir
versucht haben, beruht auf Voraussetzungen, welche zu unsrer Zeit nicht mehr vor¬
handen sind. Es ist nicht zu verkennen, daß jenes System außerordentlichzur Be¬
festigung und zur Ausdehnung des spanischen Kolonialreiches beigetragen hat.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0308" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/200413"/>
          <fw type="header" place="top"> Spanische und englische Uolonialpolitik,</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_911" prev="#ID_910"> der Venezuclcmer Baralt (Nistoirc! anticiuo 6v VsnWnvlÄ, Paris, 1841) entwirft:<lb/>
&#x201E;Sobald eine Mission einen Stamm unterworfen hatte oder von den Eroberern<lb/>
unterworfen antraf, bemächtigte sie sich der Regierung desselben mit absoluter<lb/>
Gewalt und unabhängig von allen Zivilbehörden der Provinz und nahm die<lb/>
Huldigungen an, welche dem Souverän und dem Priester gehören. Die Mission<lb/>
lenkte die Seele und den Körper; sie gebot den Gedanken der Eingebornen und<lb/>
ihrer Hände Arbeit. Die Mission bildete Dörfer und Niederlassungen und teilte<lb/>
jeder Niederlassung einen der ihrigen zur Verwaltung bei. Zu den Niederlassungen<lb/>
wurden die schönsten Flußufer, die herrlichsten Thäler und Bergschluchten bestimmt,<lb/>
stets aber an einsamen und dem Ackerbau und der Viehzucht günstigen Stellen,<lb/>
weit entfernt sowohl von einander als von den Niederlassungen der Spanier,<lb/>
um den Verkehr mit andern Stämmen zu verhindern. Auf solche Weise gelang<lb/>
es den Missionen, große Massen der Eingebornen zu regieren, wenn auch nicht<lb/>
mit absoluter Gewalt, fo doch als geistliche und weltliche Berater und als<lb/>
Gesetzgeber. Diese Bevölkerungen enthielten kein fremdes Element, denn das<lb/>
Gesetz untersagte jedem Fremden den Zutritt zu den Niederlassungen, damit die<lb/>
Missionen nicht gegen die Hindernisse der Sitten und die Laster andrer Stämme<lb/>
zu kämpfen brauchten."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_912"> Man ersieht daraus, daß die Organisation der spanischen Kolonien sich ans<lb/>
der Grundlage der Missionsthätigkeit entwickelte, und zwar im Geiste der zu<lb/>
Granadn 1326 erlassenen Ordonnanz Kaiser Karls V. Diese Ordonnanz war das<lb/>
Ergebnis der auf den oben erwähnte Konferenzen zu MvlinS de Ney im Jahre 1520<lb/>
geführten Erörterungen, wobei, im Auftrag des Kaisers, Domingo de Sole&gt; den<lb/>
Vorsitz führte. Auf jenen Konferenzen vertrat Scpulveda den Satz, daß die<lb/>
Kriegführung gegen die Eingebornen nicht nur gerechtfertigt, sondern auch ein<lb/>
zweckdienliches Mittel sei, um den Glauben auszubreiten. Der Bischof von<lb/>
Chiapas, Las Casas, bekämpfte diesen Satz mit aller Entschiedenheit und<lb/>
hatte die Genugthuung, daß Kaiser Karl V. sich seiner milden Anschauung<lb/>
anschloß. Die damals von dem Kaiser und seinen Nachfolgern ans dem Throne<lb/>
Spaniens erlassenen Gesetze stellten die Grundlage zu der mächtigen hierarchisch-<lb/>
politischen Organisation des spanischen Kolonialreiches her, welches den ersten<lb/>
Stoß erhielt, als England im Jahre 1570 den bekannten Kaperbrief an Drake<lb/>
erteilte. In neuerer Zeit sind über die Kolonialgesetzgebung Kaiser Karls V. von<lb/>
den Engländern Herbert Spencer (K^stsirr ol svolutivu) und dem Oxforder<lb/>
Professor Padre (Hi8den/ c&gt;t' lÄirvxöNr oolomos) sehr günstige Urteile gefällt<lb/>
worden, obgleich die der spanischen Kolonialpolitik zu Grnnde liegenden An¬<lb/>
schauungen in direktem Gegensatze zu der englischen Kolonialpolitik stehen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_913" next="#ID_914"> Das spanische Kolonialsystem, dessen Schilderung in kurze«: Umrissen wir<lb/>
versucht haben, beruht auf Voraussetzungen, welche zu unsrer Zeit nicht mehr vor¬<lb/>
handen sind. Es ist nicht zu verkennen, daß jenes System außerordentlichzur Be¬<lb/>
festigung und zur Ausdehnung des spanischen Kolonialreiches beigetragen hat.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0308] Spanische und englische Uolonialpolitik, der Venezuclcmer Baralt (Nistoirc! anticiuo 6v VsnWnvlÄ, Paris, 1841) entwirft: „Sobald eine Mission einen Stamm unterworfen hatte oder von den Eroberern unterworfen antraf, bemächtigte sie sich der Regierung desselben mit absoluter Gewalt und unabhängig von allen Zivilbehörden der Provinz und nahm die Huldigungen an, welche dem Souverän und dem Priester gehören. Die Mission lenkte die Seele und den Körper; sie gebot den Gedanken der Eingebornen und ihrer Hände Arbeit. Die Mission bildete Dörfer und Niederlassungen und teilte jeder Niederlassung einen der ihrigen zur Verwaltung bei. Zu den Niederlassungen wurden die schönsten Flußufer, die herrlichsten Thäler und Bergschluchten bestimmt, stets aber an einsamen und dem Ackerbau und der Viehzucht günstigen Stellen, weit entfernt sowohl von einander als von den Niederlassungen der Spanier, um den Verkehr mit andern Stämmen zu verhindern. Auf solche Weise gelang es den Missionen, große Massen der Eingebornen zu regieren, wenn auch nicht mit absoluter Gewalt, fo doch als geistliche und weltliche Berater und als Gesetzgeber. Diese Bevölkerungen enthielten kein fremdes Element, denn das Gesetz untersagte jedem Fremden den Zutritt zu den Niederlassungen, damit die Missionen nicht gegen die Hindernisse der Sitten und die Laster andrer Stämme zu kämpfen brauchten." Man ersieht daraus, daß die Organisation der spanischen Kolonien sich ans der Grundlage der Missionsthätigkeit entwickelte, und zwar im Geiste der zu Granadn 1326 erlassenen Ordonnanz Kaiser Karls V. Diese Ordonnanz war das Ergebnis der auf den oben erwähnte Konferenzen zu MvlinS de Ney im Jahre 1520 geführten Erörterungen, wobei, im Auftrag des Kaisers, Domingo de Sole> den Vorsitz führte. Auf jenen Konferenzen vertrat Scpulveda den Satz, daß die Kriegführung gegen die Eingebornen nicht nur gerechtfertigt, sondern auch ein zweckdienliches Mittel sei, um den Glauben auszubreiten. Der Bischof von Chiapas, Las Casas, bekämpfte diesen Satz mit aller Entschiedenheit und hatte die Genugthuung, daß Kaiser Karl V. sich seiner milden Anschauung anschloß. Die damals von dem Kaiser und seinen Nachfolgern ans dem Throne Spaniens erlassenen Gesetze stellten die Grundlage zu der mächtigen hierarchisch- politischen Organisation des spanischen Kolonialreiches her, welches den ersten Stoß erhielt, als England im Jahre 1570 den bekannten Kaperbrief an Drake erteilte. In neuerer Zeit sind über die Kolonialgesetzgebung Kaiser Karls V. von den Engländern Herbert Spencer (K^stsirr ol svolutivu) und dem Oxforder Professor Padre (Hi8den/ c>t' lÄirvxöNr oolomos) sehr günstige Urteile gefällt worden, obgleich die der spanischen Kolonialpolitik zu Grnnde liegenden An¬ schauungen in direktem Gegensatze zu der englischen Kolonialpolitik stehen. Das spanische Kolonialsystem, dessen Schilderung in kurze«: Umrissen wir versucht haben, beruht auf Voraussetzungen, welche zu unsrer Zeit nicht mehr vor¬ handen sind. Es ist nicht zu verkennen, daß jenes System außerordentlichzur Be¬ festigung und zur Ausdehnung des spanischen Kolonialreiches beigetragen hat.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200104
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200104/308
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200104/308>, abgerufen am 23.12.2024.